„Das Leben ist zu kurz, um nur offene Weine zu trinken…“

Ein Gespräch beim Dinner mit Prof. Dr. Reiner Pommerin über die schönen und die ernsten Dinge des Lebens

Der Einstieg ins Gespräch ist manchem Wissenschaftler ein Semester wert. Was herauskommt, gilt freilich unter der Heerschar von Lehnstuhl-Psychologen als Binsenweisheit: Man plauscht Belangloses. Zum Beispiel über Söhne und Schwiegereltern, über Reisen und fremde Städte – und ist doch plötzlich mittendrin. Reiner Pommerin, ein veritabler Professor und Lehrstuhlinhaber für „Neuere und Neueste Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden“, erzählt nämlich schon in der bei Psychologen und Journalisten gleichermaßen beliebten Aufwärmphase des Gesprächs von Reisen, die vor hundert Jahren Anlaß zu mehrbändigen Romanen gewesen wären. Johannisburg, Madagaskar, Mauritius, Perth. London, Oxford. Amerika. Und zwischendurch Vertrautes wie Jena, Bonn, Berlin, Dresden.

Der Mann, scheint‘s, ist viel rumgekommen. Und hat überall ein Wörtchen mitgeredet, am Rad der Zeit mitgedreht. Der erste Eindruck verstärkt sich in den vier Stunden, die wir schwatzend und essend, fragendantwortend und trinkend-genießend miteinander im Intermezzo, dem Restaurant des Taschenbergpalais, einen Abend lang uns kennenlernen.

Wie bei solchen Gesprächen üblich: Es gibt kaum einen roten Faden. Es ist wie mit dem Essen, das Alexander Tschebull empfiehlt: Jeder Gang für sich ein Highlight und allein bemerkenswert, doch zusammen erst ergibt es ein rundes Bild, das zusammenpaßt und genossen werden will.

Tschebull, der seit fast einem Jahr der Küche des Intermezzo seinen Stempel aufdrückt, empfahl der Gesprächsrunde [im November] eine kross gebratene Ente, von der es zuerst die Brust gab (am Tisch tranchiert) und, nachdem sie ein wenig weitergebraten hat, anschließend die Keule. Vorweg empfahl der Chef Variationen von Langustinen, und zum Abschluß ein „nicht so schweres“ Gratin von exotischen Früchten. Professor Pommerin, der sich schon bei der Auswahl des Aperitifs als Mann mit feiner Zunge geoutet hatte (Champagner Krug statt Campari Soda), lächelt, nickt und bekennt: „Ich habe ein Herz für Köche – denn immer, wenn ich‘s selbst versucht habe, ging‘s daneben…“

Bei der Auswahl der Weine (white wine with the fish: 93er Würzburger Stein Riesling Spätlese trocken aus dem Juliusspital und einen 92er Pommard von Pierre André zur Ente) gerät Pommerin ins Sinnieren: Ja, ein gute Wahl – und auf jeden Fall passender als sächsischer Wein, der „noch weit entfernt von einem ordentlichen Preis-Leistungs-Verhältnis“ sei. Und wo wir schon bei klaren Worten sind, die ein wenig wider den Stachel löken, kommen wir irgendwie auf Bonn und Berlin und die Hauptstadtfrage. Reiner Pommerin war gegen Berlin als Hauptstadt und hat eine plausible Begründung: „Eine gute Demokratie muß doch nicht von der Größe der Stadt abhängig sein!“ Wobei der Hauptstadt-Zug abgefahren ist und Pommerin vielleicht ganz unbewußt mit seiner Argumentation auch ein wenig Heimatstolz in die Diskussion eingebracht hat: Er ist gebürtiger Rheinländer (1943 in der Nähe von Wesel am Niederrhein) und hat in Bonn studiert. Zwischen Geburt und Studium lag mehr Zeit als man das normalerweise vermutet: Sein Abitur machte Pommerin erst mit 29 – vorher war er bei der Luftwaffe. Die Verbindung mit der Bundeswehr hält er heute noch, als Oberst der Reserve und als Vorsitzender des Beirats „Innere Führung“.

Sein Lehrstuhl „Neuere und Neueste Geschichte“ ist gar nicht so aktuell wie es klingt: Im 15. Jahrhundert geht‘s eigentlich schon los, und deswegen gehört auch August der Starke zum Lehrplan, wenn auch durch die Brille des Heutigen gesehen: „Ich sehe ihn stark im europäischen Kontext!“

Den Wissenschaftsstandort Dresden schildert Pommerin zwar nicht wie das Paradies, aber irgendwie muß es nicht weit dahin sein: Kurze Wege zum Minister („hier bekomme ich ein Gespräch innerhalb weniger Tage, im Westen – wenn überhaupt – nur in Monaten!“), eine überschaubare Zahl von Studenten („250 Lehrerstudenten Geschichte und 500 Magisterstudenten – in Bonn hatte ich 4.000 Studenten!“) und nicht zuletzt die Möglichkeit, eine alte Idee in die universitäre Wirklichkeit umsetzen zu können: Ein fächerübergreifender Studiengang „International Relationships“ soll die Studenten in der Juristerei, den Wirtschafstwissenschaften und den Sprachen fit machen für die Zukunft, soll sie auf einen Arbeitsplatz auch im Ausland vorbereiten.

Und während Pommerin noch von dieser Idee schwärmt und erzählt, trifft sich – in Personalunion – der Akademiker mit dem Gourmet. Das Leben sei viel zu kurz, um nur offene Weine zu trinken. „Es gehört zur akademischen Ausbildung“, sagt er nach einem genießerischen Schluck vom Pommard, „daß man guten von schlechtem Rotwein unterscheiden kann!“

Ulrich van Stipriaan

Veröffentlicht in: TaschenbergNews 1/1998
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