Mit Volldampf ganz langsam die Landschaft erkunden

Unterwegs an Bord des Schaufelraddampfers nach Schloß Pillnitz

dampferDie Entdeckung der Langsamkeit lässt sich heutzutage am besten an Bord eines Schiffes nachvollziehen: Was dem staugeplagten Autofahrer die Galle in Wallung bringt, nämlich das Nicht-Vorankommen, ist mit dem Lösen eines Tickets für eine Fahrt mit dem Dampfschiff programmiert: Es geht extrem langsam voran – und mal wieder ist der Weg das Ziel.

Am Dresdner Terrassenufer direkt unter dem Balkon Europas – den Brühlschen Terrassen – legt die „Weiße Flotte“ der Sächsischen Dampfschifffahrt an und startet elbaufwärts Richtung Blaues Wunder, Schloss Pillnitz oder noch weiter bis in die Sächsische Schweiz oder ins Böhmische; wer mag, kann aber auch elbabwärts dampfen nach Meißen und bis zu den Weindörfern Diesbar und Seußlitz.

Wir besteigen den Dampfer „Pillnitz“ und fahren – wohin sonst, bei dem Namen? – nach Schloss Pillnitz. Dampfer, umgangssprachlich für fast jedes Schiff geläufig, stimmt hier wie bei sieben weiteren Raddampfern der Flotte wirklich, denn sie sind dampfgetrieben. „Älteste und größte Raddampferflotte der Welt“ steht werbewirksam im Dampfschiff-Echo, das an Bord ausliegt. Ob’s stimmt? Aber bevor die Lektüre von Mark Twains „Leben auf dem Mississippi“ und den Abenteuern von Tom Sawyers und Huckleberry Finn hilft, der globalen Wahrheit eventuell ein wenig mehr auf die Spur zu kommen, habe ich mich entschlossen, erst einmal mit der gelesenen Aussage vorlieb zu nehmen – und näher als New Orleans ist Dresden mit seinen Dampfschiffen allemal.

An Bord der etwas über 64 Meter langen und nur gut fünfeinhalb Meter breiten „Pillnitz“ haben es sich die Mitreisenden mittlerweile eingerichtet: Bei 36 Grad im Schatten drängt es alle aufs Oberdeck, auf dem man sonnengeschützt unter einer Persenning freiluftsitzend die Kulturlandschaft an sich vorüberziehen  oder irgendwo an der Reling stehend sich den Fahrtwind um die Nase wehen lässt. Vor allem kamerabehängte Touristen stehen hier sozusagen in der ersten Reihe.

So ein Stehplatz ist extrem kommunikativ. „Wissen Sie,“ fragt die junge Dame, „wo diese Seefahrerkirche kommt?“ Als nicht mehr ganz so jugendlicher, wiewohl ortskundiger Mann antwortet man gerne, gibt Geheimwissen von „Maria am Wasser“ nach der letzten Biegung der Elbe vor Pillnitz preis, muss dann aber beschämt zugeben, dass das Baujahr leider gerade entfallen sei. Nicht wirklich schlimm, lernt der Dampfschiff-Passagier, denn ein zeitlich exakt eingesetztes Tonband lässt die schauspielergeschulte Stimme von Friedrich Wilhelm Junge ertönen. Er plaudert über Sehenswertes links und rechts der Elbe, macht das wissend-humorvoll und liefert die gewünschte Zahl: um 1500. Hätte er es nur etwas eher gesagt, dann wäre sogar die Blamage erspart geblieben…

Dem angeregten Gespräch mit der jungen Studentin aus Köln, die wegen Geographiestudien mit einer Gruppe nach Dresden kam, tut das keinen Abbruch, denn es gibt ja noch eine Menge mehr zu sehen: Brücken, vor denen die „Pillnitz“ ihren Dampfschornstein abknickt, die drei Elbschlösser, das „Blaue Wunder“ – und natürlich Pillnitz selbst, wo das Aussteigen lohnt.

Da die Schipperei auf der Elbe als Liniendienst eingerichtet ist, kann man Pillnitz im 2-Stunden-Takt erobern und muss nicht mit dem selben Schiff zurückfahren. Der ganz gemächlich reisende Tourist kann sich sein Elbflorenz sogar von der Elbe aus erobern, am Blauen Wunder aussteigen, in Pillnitz Pause machen, die Sächsische Schweiz ansteuern.

Nach zwei Stunden fährt – so man nicht gerade den letzten Radschaufler erwischt hat – der nächste Dampfer zurück. Elbabwärts schneller zwar, aber immer noch langsam genug, um an Bord die Langsamkeit der Zeit zu genießen…

Ulrich van Stipriaan

Veröffentlicht in: TaschenbergNews 3/1998
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