Der Schauspieler und sein Kritiker

Thomas Thieme und C. Bernd Sucher beim Tischgespräch im Elephant

Sucher Thieme ArtikelDie Ansprüche sind hoch: Thomas Thieme, Schauspieler („Faust“), und C. Bernd Sucher, Kritiker (Süddeutsche Zeitung), mögen es beide deutlich. Der Schauspieler soll schauspielern, der Kritiker kritisieren – und zusammen sollten beide möglichst nichts unternehmen, sich nicht gemein machen. Lange Zeit haben sie das miteinander durchgehalten, nun wird’s schwer: Auf der Terrasse des „Anna Amalia“ genossen sie Seit’ an Seit’ ein köstliches Menü von Marcello Fabbri und verloren bei Wein (Sucher) und Pfefferminztee (Thieme) die Unschuld der Distanz.

Schöne laue Sommerabende sind ja an sich schon ein Vergnügen. Genießt man sie im Garten eines guten Restaurants, ist das eine verständliche Steigerung. Aber wenn dann noch zwei Männer am Tisch sitzen, die jeder für sich ein anregendes Gespräch wert wären, dann ist der Abend perfekt. Thomas Thieme, und Bernd Sucher an einem Tisch: der Schauspieler des Jahres 2000 und der Schriftsteller und Kritiker geeint im guten Gespräch und bei feinem Essen. Geht das denn?

Eigentlich nicht, meinen beide, als ihr Gastgeber Hoteldirektor Paul Kernatsch das Gespräch auf Premierenfeiern bringt: „Ein Kritiker hat auf Premierenfeiern nichts zu suchen!“ meint Sucher, und Thieme stimmt zu: „Richtig, und das gilt auch für Schauspieler!“ Warum nicht? Weil sie dort einander zu nahe kommen könnten, die kritische Distanz verlieren und somit ein Stück notwendiger Unschuld im Umgang miteinander. Und dann sehen sich die beiden, die nebeneinander an der einen Seite des Tisches sitzen, ein wenig schräg von der Seite an, grinsen kein bisschen verlegen und prosten sich mit Wasser zu: „Jetzt geht’s,“ meint Thieme, „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!“

Dabei reut ihn allenfalls, dass weder Schnaps noch Wein die neue Freundschaft besiegeln, sondern eben Wasser. Aber mit einer Sommergrippe sollte man nicht spaßen, und schon gar nicht, wenn man auf die Stimme angewiesen ist…

Doch, das Essen schmeckt, so schlimm ist es nicht. Und so gibt es immer wieder Gesprächspausen, wenn der Service den nächsten Gang aus der Küche bringt, die der „Feinschmecker“ jüngst wieder als eine der zehn besten ausländischen Restaurants Deutschlands ausgezeichnet hat. Und Marcellos Risotto ist eben einfach ein Muss, wenn man im Anna Amalia speist…

Natürlich ist, wenn die Teller gutes Wetter für den nächsten Tag verheißend leer gegessen sind, die Weimarer Faust-Inszenierung ein Thema. Für Thieme ein Arbeitsschwerpunkt in diesem Jahr – andere führten ihn nach Hannover und Salzburg. in Berlin, wo er eigentlich wohnt, war er hingegen kaum. Lohnt sich auch nicht, die Theater da seien – außer unter Castorf – nicht so vielversprechend. Weimar also, die alte Heimat (hier wurde er geboren). Und während Thieme noch über eine Veranstaltung am Vorabend mit dem Publikum nachdenkt („Das war ein Gespräch der dritten Art, ich schon angeschlagen…“), gibt der Kritiker ein Statement ab, das wie Medizin sein muss: „Ich werb’ mal für den Faust. Ich halte Faust I für ein nicht gutes Stück. Aber hier in dieser Inszenierung, da passiert was!“ meint Sucher. Noch nie habe er eine so spannende Aufführung gesehen. „Da wird eine Geschichte richtig erzählt – Sie sollten damit als Gastspiel in die Republik gehen!“

Zaghafte Zwischenfrage von der anderen Seite des Tisches, an der Hoteldirektor und Journalist sich über das muntere Zwiegespräch der beiden Theaterprotagonisten erfreuen: „Sind Kritiker eigentlich fair?“

Thomas Thieme legt die Gabel bei Seite, verschränkt die Arme und brummt voller Erwartung: „Eine gute Frage!“ Und bekommt eine Antwort, die ob ihrer Ehrlichkeit verblüfft: „Das ist nicht unsere Aufgabe!“ Der Leser müsse lediglich nachvollziehen können, was der Kritiker schreibe – und selbstverständlich am Ende des Beitrags auch zu einem anderen Ergebnis kommen dürfen. So gesehen ist das Schreiben einer Kritik durchaus mit einer Aufführung vergleichbar: Da muss etwas schlüssig erzählt werden. Sucher: „Erst muss der Kritiker einmal schlau sein, und dann muss er schreiben können.“

Ulrich van Stipriaan

Menü

Rochenflügel mit Kapernmarinade
*
Gazpacho mit klassischer Einlage
*
Parmesanrisotto
mit gebratener Entenleber und Balsamicosoße
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Rinderfilet „Rossini“
an buntem Sommergemüse
auf sautierten Kaiserschoten und Kartoffelgitter
*
Vanillefächer an karamelisierten
Waldbeeren und Pfirsichsorbet

Weine

2000er Roero Arneis
Giacosa Fratelli
Piemont/ Italien
*
1999er Zweigelt Reserve
Weingut Glätzer
Carnuntum/ Österreich

Veröffentlicht in: Connection 4/01
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