Mein Leben als Raser

Wer bremst, verliert

Ich bin 50 und ein Raser. Das mit den 50 ist Fakt, das mit dem Rasen behaupten Polizei, Starenkastenverwalter und Ordnungsamt. Meine Frau hingegen behauptet, ich sei ein gelassener und behutsamer Fahrer, der 16jährige Sohn zuckt die Schultern und meint, zum Rennfahrer hätte ich nun wirklich nicht das Zeug. Ansonsten bewundert er, wie ich bei sinnlosen Diskussionen mit der Polizei beim Live-Erwischtwerden die Ruhe bewahre.

15 Punkte in Flensburg, mehrheitlich gesammelt auf deutschen Bundesautobahnen, legen Zeugnis ab über die Ansichten eines Uneinsichtigen. Denn wiewohl alle rechtens, scheint doch keiner gerechtfertigt: Geräumte Baustellen mit zwei Spuren ohne Gegenverkehr am Samstagmorgen stellen sicher keine größere Gefahrenquelle dar als eine ganz normale Autobahn, und wenn man da 110 fährt, ist man eher noch ein Schleicher. Nur dass das Schild 80 zeigte: 3 Punkte und (es ist schon fast sechs Jahre her, aber ich glaube:) 175 Mark. Wenn man in Dresden die Goethealle mit 53 Stundenkilometern befährt, kostet das wieder Geld und einen Punkt. Da wohnen nämlich so viele Reiche, dass die ein Recht auf Ruhe haben. 30 höchstens, angeblich aus Lärmschutzgründen. Es gibt zwar lautere Straßen, aber die haben die falschen Anwohner.

Sechs Punkte kostete ein Ausflug ins Münsterland: Am einen Tag hin drei, am anderen zurück wieder drei, an einer anderen Stelle. Wieder so beliebte Blitzer wie nachts um elf allein auf der Piste und (nur) 130 statt (gebotenen) 100 gefahren: Ich bin ein treuer Staatsbürger und gönne den Kommunen die Mehreinnahmen, da haben schließlich alle was von.

Ganze Orte scheinen nur erfunden worden zu sein, um das Geld ahnungsloser Fremder einzunehmen. Beutersitz ist kein erfundener Name, der Namensbestandteil Beute hingegen ist gut gewählt: Ortseingangsschild, Blitzer, Ortsausgangsschild. Mit 180 Mark und einem Punkt erweist der Ahnungslose dem Ort seine Referenz – die drei Einheimischen (größer ist das da scheinbar nicht) wissen ja Bescheid und können sich korrekt verhalten.

Ungerechtigkeiten widerfahren auch dem, der sich dem unerträglichen Nonsensgelaber hiesiger Privatsender und des öffentlich-rechtlichen Dudelfunks zu entziehen trachtet. Der bekommt nämlich die Blitzmeldungen („Danke, René!“) nicht mit. Merke: Wer sich für Informationen und Kultur interessiert, wird mit Flensburgpunkten nicht unter einem bestraft.

Nun hocke ich also, angeordnet (kostet noch mal extra was, ich liebe mein Ordnungsamt) und nicht freiwillig, nach 32 Jahren nahezu unfallfreien Fahrens wieder in der Fahrschule. Beim ersten Mal, im Sommer 1969, war ich gut drauf und die Welt hielt den Atem an. Nicht meinetwegen, versteht sich. Doch am 20. Juli, vier Tage vor dem Führerscheintermin in einer Ferienfahrschule, betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Ein großer Schritt für die Menschheit, ein kleiner für ihn: An so was erinnert man sich gerne. Heute passiert nichts dermaßen Großartiges, aber man freut sich ja auch über die kleinen Dinge des Lebens. Zum Beispiel, wenn einem der frisch gekürter Sportler des Jahres und Radrennprofi Erik Zabel bei einem Treffen in der Uhrenmanufaktur Glashütte Original angesichts der Leidensgeschichte des Fahrschulnachsitzers mit seinem Erfolgsrezept tröstet: Wer bremst – verliert.

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