Sieg für Team Germany in der Karibik

Spring Regatta und Sailing Festival auf den British Virgin Islands

Sea Cloud

“Dreh! Komm! Los! Dreh! Passt schon! Komm! Und auf die Kante alle – komm, Konni!” Der Start eines Segelrennens ist nicht der Ort für lange Sätze. Skipper Jörg, hochkonzentriert, gibt Kommandos. Und alle hören auf ihn, no questions asked. Keine Minute nach dem hektischen Moment aber wird’s schon deutlich normaler: “Prima Start, traumhaft. Das war der beste bisher!” Loben kann er auch, der Jörg, nicht nur antreiben.

Sieben Leute sind an Bord der “Frevo”, davon drei Segler, zwei absolute Neulinge und zwei Gewohnheitsmitsegler. Sie bilden das “Team Germany” bei der Spring Regatta mit vorgeschaltetem Sailing Festival in der Karibik rund um die British Virgin Islands (BVI).

132 Boote aus 15 Nationen waren in diversen Klassen am Start der BVI Spring-Regatta, das “Team Germany” in der “Bareboat B”: Ein Charterschiff, eigentlich mehr für gemütliches Familiensegeln denn für Rennregatten gedacht. Charterer Sunsail bietet die “Oceanis 411” konsequenterweise überall an, wo es postkartenschön ist, von den BVI und Antigua in der Karibik über die Côte d’Azur und Palma, Griechenland, die Türkei und Kroatien rund ums Mittelmeer bis nach Australien. Mit acht Kojen in drei Kabinen und zwei Bädern/Duschen ist das 12 Meter 70 lange Boot einem VW-Campingbus vergleichbar – wobei Skipper Jörg Mößnang als gelernter und selbstständiger Segelmacher augenzwinkernd von einem “tiefer gelegten VW-Bus mit breiten Reifen” sprach, nachdem das Boot neue Segel erhalten hatte.

Ein Bayer als Skipper

An Bord duzt man sich, also auch hier: Jörg ist ein Bayer wie aus dem Bilderbuch. Ein Pfundskerl, ein gestandenes Mannsbild, sozusagen. “Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein grandioser Sportler bist!” sagte am Ende der Spring Regatta bei einem Empfang Charles Tobias, in jungen Jahren selbst Weltklasse-Segler und heute Chef der Firma, die den legendären “Pusser’s Rum” herstellt. Charles, 70, ist gertenschlank und durchtrainiert. Jörg sieht nicht so aus. Aber er sollte mit seinem Team Germany siegen – in fünf von sechs Rennen…

Darauf war ich, ehrlich gesagt, nicht vorbereitet. Als eher unsportlicher Elbanrainer mit einem latenten Hang zur Seekrankheit und ständig schussbereiter Kamara wäre mein Platz vielleicht besser im Presse- oder Fotografenboot gewesen als an Bord der Frevo – aber das Team war offensichtlich stark genug, trotz der Anwesenheit eines behäbigen Berichterstatters die Karibik gewinnbringend zu zerpflügen.

Auf den Start kommt es an

Wie konnte es dazu kommen? “Der Start ist wichtig!” erklärt der erfahrene Skipper, der sich schon für die Olympiade 1980 in Moskau qualifiziert hatte. Wenn ich das als Laie richtig beurteile, ist Jörg ein hervorragender Starter: Die Startlinie überquerte er stets exakt beim Startschuss unter vollen Segeln und – soweit der Wind es zuließ – mit ordentlicher Geschwindigkeit.

Ein gewiefter Taktiker scheint er auch zu sein. Manchmal wählt er eine andere Route als die Meute der restlichen Boote, meistens kommt er mit weniger zeitaufwändigen Wenden aus als die anderen – und wenige Worte nur reichten aus, um sich mit seinem Navigator (und Segelclubkameraden aus Tutzing) Konni sowie der aus Hamburg stammenden Seglerin Mareike zu verständigen. Konni bediente die Genua, Mareike stand an der Winsch, um das Großsegel zu trimmen. Jaja: Die Sprache der Segler ist eigen, wenn die Fachleute sich verständnisvoll unterhalten, versteht unsereins als Landratte nicht einmal Bahnhof. Aber die wesentlichen Dinge sind erlernbar, und wer einmal bei passender Gelegenheit luv und lee verwechselt hat und wichtige Geschäfte gegen den Wind zu erledigen versuchte, wird sich merken: mit “u” ist es unangenehm, mit “e” empfehlenswert…

Wo die Jungfrauen liegen…

Aber wir sind ja schon im ersten Rennen, nach hervorragendem Start auf dem Weg von Nanny Cay, einem Hafen der größten BVI-Insel Tortola, zur Insel Virgin Gorda, was “dicke Jungfer” heißt. Sie erhielt ihren Namen von Christopher Columbus. Immer hart am Wind segeln wir anfangs, doch dann ist nichts mehr mit Wind: Pusten hilft nichts, also schleichen wir dahin und haben ein wenig Zeit zum Klönschnack. “Sag mal ehrlich, wusstest Du, wo die Bristish Virgin Islands liegen?” fragte mich der Journalistenkollege Jochen – und ich bekannte tapfer “nöö”! Nun, da wir mittendrin sind im Meer der rund sechzig Inseln, von denen aber nur rund sechzehn bewohnt sind, weiß ich es natürlich: Rund hundert Kilometer östlich von Puerto Rico, oder – leger formuliert – rechts neben der DomRep, wenn man sich eine Karte der Gegend ansieht. Atlantik hier, Karibik da, wunderbar klares blaues Wasser in diversen Abstufungen und Nuancen von türkis bis pelikan-tinten-dunkel, eigentlich meistens ein segelfreundlicher Wind. Meistens.

“Siehst Du den Wind?”

Wir dümpeln gerade vor uns hin, und ich mache eine neue Erfahrung: Man kann Wind sehen, bevor er da ist. Man kann es natürlich nur, wenn man es kann – also wenn man weiß, wie die verschiedenen Farben und Bewegungen des Wassers zu deuten sind. “Mareike, siehst Du Wind?” fragt Jörg leicht beunruhigt, und die Antwort “Nee, nicht wirklich!” macht ihn nicht froh. Ein leichter Trost nur, dass die anderen Segler, die zwischen Start und Ziel eine andere Route gewählt hatten, offensichtlich noch mehr leiden als wir. Später erfahren wir, dass lediglich 18 der ursprünglich 60 zum Sailing Festival gemeldeten Boote überhaupt unter Segeln und in der vorgeschriebenen Mindestzeit die Ziellinie überquert hatten.

Champagner und Limbo

Wir waren in unserer Klasse die Ersten! Nach der Siegerehrung gab’s Champagner, aber nicht wie bei Schumi und seinen Bolidenkollegen unsinnig in die Gegend gespritzt, sondern genussvoll selbst getrunken. Segler wissen das Leben eben wirklich zu genießen. Im “Bitter End Yacht Club” auf Virgin Gorda fällt der Gesamtgenussfaktor nicht zu niedrig aus: Eine noble Anlage, die nur per Boot (oder für Nichtsegler mit der kostenlosen Fähre) erreicht werden kann. Mit Shops und Hotel, mit Strand und Restaurant – und mit abendlicher Live-Musik, die auch den stoisch ruhigsten Segler nicht unberührt lässt. Auf der Tanzfläche hüfpfen sie zu Reggae-Rhythmen noch mit, doch wenn Sängerin Susi die Band verlässt und beim Limbo-Wettbewerb mitmacht, hat ungelenke europäische Körpermasse keine Chance…

Von Sieg und Sieg

Der Weg zurück nach Nanny Cay brachte mehr Wind – von hinten. Die Frevo mit Team Germany legte – schon wieder – einen guten Start hin, kam gut durch und belegte: Platz eins. Nein, nicht schon wieder Champagner, aber ein sehr fröhlicher Skipper und sechs Teammitglieder wussten den Sieg auch so zu genießen.

Am nächsten Tag begann die eigentliche BVI Spring Regatta – die 33. in Folge in diesem Paradies für Segler: Mit ausreichend Wind ging es auf einem Rundkurs um eine zwei weitere Inseln: die kleine “Dead Chest” und “Peter Island” wurden im Uhrzeigersinn umkreist. Wir lernten bei Windstärken zwischen zwei und drei aus gleicher Richtung unterschiedliche Techniken des Segelns kennen – und belegten Platz eins.

Ein zweites Rennen am Nachmittag führte zuerst zu Peter Island, dann zurück gen Tortola’s “Pockwood Pond”, wo eine Wendeboje viele Boote in arge Bedrängnis brachte. Wir segelten souverän und allein drumrum, steuerten das Südende von Peter Island’s “Great Harbour” an und segelten zum Ziel: Erster Platz.

Technisches KO

Man gewöhnt sich gerne an die Rolle als Sieger. Und nachdem das erste Rennen des zweiten Spring-Regatta-Tages wieder zu einem Platz eins führte, kam parallel zum eigenen Strahlen und zur teameigenen Freude bei den konkurrierenden Teams teilweise so etwas wie Neid auf. Wie kann man denen denn den Sieg nehmen? Eine ganz grandiose Idee hatte ein Team, das bis dato einen zweiten, dritten, und fünften Platz belegt hatte: Es protestierte und reklamierte einen Regelfehler. Da hat doch jemand auf der Frevo seinen Körperschwerpunkt bei lauem Wind außerhalb des Bootes gehabt, was streng genommen nach dem Regelhandbuch verboten ist. Dass das – bei nachlassendem Wind – alle gemacht haben, blieb unberücksichtigt. Und wenn ich schreibe alle, dann meine ich alle: Ein Foto des klagenden Bootes zeigt den gleichen Fehler – nur dass dagegen keiner protestiert hatte.

Um’s kurz zu machen: Das vierte Spring-Regatta-Rennen, das Frevo mit Platz drei abgeschlossen hatte und Team Germany mit weitem Abstand vor den Verfolgern in der Gesamtwertung auf Platz eins seiner Klasse sah, wurde neu ausgewürfelt: Frevo disqualifiziert, die protestierende Mannschaft dadurch in der Gesamtwertung mit einem Punkt Vorsprung auf Platz eins vor gehoben.

Team Germany nahm’s relativ gelassen, freute sich über den zweiten Platz, die Begrüßung von Charles Tobias („Welcome to the real winners!“) und gönnte den British Virgin Islands, dass nun ein Team dieser schönen Inseln die Nummer eins stellte – honi soit qui mal y pense, wie es schon so nett auf dem britischen Hosenbandorden geschrieben steht…

Ulrich van Stipriaan

Originalbeitrag STIPvisiten · 04/2004

Poster: British Virgin Islands 2009

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