Carovigno (2)

Apulische Augenblicke (4)

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Italienische Städte haben eigentlich alle irgendetwas unterm Namen stehen. So nach dem Muster: Kleinkleckersdorf – die Stadt der großen Maler. Carovigno begrüßte uns bei der täglichen Einfahrt auf dem Weg zum Morgen-Espresso mit dem Hinweis, sie sei die Città della Nzegna.

Nzwasbitte? Mein kleines italienisches Handwörterbuch versagte, doch ein Blick in den Touristen-Prospekt verriet es: Die Nzegna ist ein Wettkampf der Fahnenschwenker, der zu Ehren der Heiligen Maria ausgetragen wird. Nur an drei Tagen im Jahr – dann aber heftig: Am Ostermontag und -dienstag sowie am Samstag nach Ostern vor den Toren der Stadt bei der Wallfahrtskirche von Belvedere aus dem 8. Jahrhundert.

Die ansonsten eher beschauliche kleine Stadt quillt dann über von Zuschauern, alles ist auf den Beinen, um zuzusehen, wie bunte Fahnen an langen Stöcken kunstvoll in die Luft geworfen und dann – wenn’s klappt: Jubel und Applaus! – auch wieder aufgefangen werden. Zu Trommeln und Pfeifen (man kennt das von Mittelaltermärkten) mühen sich jeweils zwei Männer auf dem Platz ab, ziehen die Fahne samt Stange zwischen den Beinen hindurch, umschmeicheln die Fahne, tätscheln den Stock mit dem Fuß – ach, es ist so wie in den 50er Jahren beim Rock’n’Roll nur dass die Jungs damals statt der Fahnen mit Mädchen tanzten, was irgendwie graziler aussah. Aber wir haben es ja hier nicht mit irgendeinem Tanz zu tun, sondern mit Tradition. Das ganze Spektakel macht einen sehr karnevalistischen Eindruck, inklusive dem nötigen Ernst und dem unvermeidlich eintönigen Trommeln und Pfeifen.

Auf der PiazzaWir waren aber nicht zu Ostern da, sondern in ruhigeren Zeiten. Carovigno bietet dann typischen italienischen Alltag, mit Männergrüppchen hier und da und auch dort – es ist erstaunlich, was die alltäglich zu bereden haben. Frauen sieht man sehr gerne, wenn sie die Wäsche aufhängen oder einkaufen. Sie schwatzen auch miteinander, aber nicht so offensichtlich wie die Männer.

Was uns auffiel: Wir haben keinen ordentlichen Bäcker gefunden. Zwei, drei Läden hätten es der Aufschrift nach sein können, aber sie hatten geschlossen. Brot und Brötchen gab es im Supermarkt – zwar in ordentlicher Qualität, aber eben nicht aus der eigenen Backstube. Auch die Zahl der mobilen Händler (Fisch-Ape, Gemüse-Ape) tendierte gegen Null: Das war andernorts vielfältiger. Aber ansonsten gibt Carovigno schon einen guten Einblick in das italienische Einkaufsgefüge einer Kleinstadt.

Due caffé
Die Bar ist eine wunderbare italienische Institution: Man kommt rein – und wenn man dort bekannt ist, stehen schon schwupps schwupps zwei Untertassen auf der Theke. Von einer monumentalen Kaffeemaschine nimmt der Barmann (ganz ganz selten: die Barfrau – aber wenn es eine ist, dann ist sie meistens supergut!) zwei Espressotassen, die schön heiß sind und stellt sie unter die Maschine. Ins Kaffeesieb kommt das Pulver, der Siebträger in die Maschine über dieTassen – und heraus läuft gaaaaanz langsam eine schwarze Brühe, die alsbald schaumig und bräunlich wird. Dann macht der Chef die Maschine aus, stellt die Tassen auf die Unterteller und holt zwei Gläser, die er mit Wasser füllt. Wenn man neu ist, fragt er, ob das Wasser sprudeln soll oder nicht; am zweiten Tag erübrigt sich die Frage natürlich. Man kennt sich!
Nebenan stehen Bauarbeiter, Rechtsanwälte, wasweißich, jedoch selten mal eine Frau. Wie heißt es in der Sendung mit der Maus: Das klingt komisch, ist aber so. Andererseits musst du als Frau auch keine Angst haben, besonders blöd angeguckt zu werden, nur weil du einen Espresso willst. Manchmal trinken die Anwesenden – auch frühmorgens – nicht nur ihren Caffè, sondern auch härtere Sachen. Meistens passiert das alles im Stehen – aus gutem Grund: Da kostet’s nicht so viel. Wir haben durchschnittlich 90 Cent pro Tasse Espresso bezahlt (nie mehr als 1 Euro, einmal nur 70 Cent – und das war nicht der schlechteste!)

Ab dem dritten Tag war der Caffé schon in der Mache, wenn wir rein kamen – der Chef hatte sich unser Auto gemerkt! Irgendwann irritierte ihn offenbar, dass wir so lange in Carovigno blieben: Ob das unser letzter Tag sei, wollte er wissen – es war der vorletzte, und natürlich waren wir auch am letzten dort – mit bereits gepackten Koffern im Auto. Soviel Abschied muss sein!

Frutta e verdura
Die zweite Station des Tages war fast immer der kleine Gemüseladen. Ein Familienbetrieb, wie so oft in den kleineren Städten Italiens: Er brachte das Gemüse an und wuchtete Kisten, Sie kassierte und beriet, packte auch mit ein, wenn nichts los war. Hinzu kam ein erwachsener Junge, der ein wenig deutsch konnte – aber er war nicht immer da, so dass ich nicht mehr dazu gekommen bin ihn zu fragen, wo er das her hat. Es war offensichtlich mehr, als für eine rein touristische Kommunikation nötig ist. Egal. Von der Frau lernten wir das italienische Wort für Kirsche (ciliega)- und sie von uns das deutsche Wort für ciliega (Kirsche). Das ging problemlos, weil wir einfach drauf zeigten, und es hat beiden Seiten viel Spaß gemacht!

Zur angenehmen Seite dieser Einkaufskultur gehört sehr viel: Offensichtlich gab es dort wirklich Marktpreise – die (natürlich handgeschriebenen) Preisauszeichnungen variierten von Tag zu Tag. Und wenn man (weil es Fisch gibt) nur eine Zitrone kaufen will, geht das nicht: Man bekommt sie geschenkt. Auch werden Preise gerne abgerundet (jawohl: ab!). Derlei Kundenbindung gefällt mir besser als jede Kundenkarte, denn sie kommt wirklich dem Kunden zu gute und dient nicht dem Sammeln von Daten und anderen Erkenntnissen.

Supermercato
Die Supermärkte in den Kleinstädten haben noch einen Hauch von Tante Emma: Sie sind übersichtlich, es laufen dort richtige Menschen herum, die einen (meistens hinter gar nicht so schlecht bestückten Fleisch- und Käsetheken) nett bedienen. An der Kasse gibt es selten Schlangen, weil so viele Leute da nicht reinkommen und notfalls eben der Chef an die Kasse nebenan geht. Wenn nicht viel los ist, kommt jemand und hilft beim Einpacken – was unsere amerikanischen Freunde ja auch kennen – aber wir in Deutschland eben nicht (ich mag es ja gar nicht schreiben: Ausgerechnet ein Azubi und ausgerechnet beim örtlichen Lidl hilft auch regelmäßig, die Tüten zu füllen und ist auch ansonsten ganz der Dienstleister. Aber er ist leider die Ausnahme).

An der Bedientheke macht es immer großen Spaß, sich nur eine oder zwei oder vier Scheiben von diesem und jenem geben zu lassen: Das geht problemlos, keiner meckert – und man hat die Sachen wirklich frisch.

Verpasst haben wir auch was – die Osteria gia Sotto l’Arco. Sie gilt als das beste Restaurant Apuliens, liegt mitten in der Stadt. Gesehen haben wir sie, bei unserem ersten Stadtbummel – aber dass es sich gelohnt hätte, da auch hinein zu gehen, das habe ich erst nach dem Urlaub gelesen. In der Osteria kocht die Autodidaktin Teresa Buongiorno, und ihr Mann Teodosio hat sich als Sommelier einen Namen gemacht. Wir müssen nochmal da hin!

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