Ostern in Bautzen

Osterreiter

Bautzen kennt man, wenigstens den Namen der Stadt: Einerseits mit weniger guten Konnotationen als Knast-Ort (Gelbes Elend der eine, Stasi-Knast der andere), andererseits als Heimat des Bautz’ner Senfes, den Kenner eher als gelbe Wohltat beschreiben und der nur echt mit dem Apostroph ist! Bautzen ist auch, und das wissen nun längst nicht mehr so viele, das kulturelle Zentrum der Sorben. Viele wissen ja nicht einmal, wer die Sorben sind – aber um das heraus zu bekommen, besucht man ja fremde Städte und erfreut sich dann am neuen Wissen.

ReichenturmDie Sorben sind ein slawisches Volk, das in der Lausitz lebt. Slawen besiedelten früher die Gegend – der Städtename Dresden leitet sich beispielsweise aus dem altsorbischen Drežďany für Sumpfbewohner ab, und auch Mockritz (der Stadtteil, in dem ich wohne) wird vom sorbischen mokry abgeleitet, was übersetzt nass, feucht bedeutet und ebenfalls auf die sumpfigen Bodenverhältnisse hinweist. Doch zurück nach Bautzen, das auf obersorbisch Budyšin heißt. Ortsschilder sind hier – wie auch Straßenschilder – zweisprachig sorbisch-deutsch, und lediglich so überflüssige Geschäfte wie künstliche Sonnenbräuner treiben es deutsch-englisch als „Sonnenstudio City Sun“.

OsterreitenWie man das bei Minderheiten häufig vorfindet, sind die Sorben Bewahrer von Traditionen. Sie pflegen nicht nur ihre Sprache, sondern auch Gebräuche – wie den des Osterreitens. Osterreiter gab es „schon immer“, und wie so oft erfahren wir davon meist durch aufgeschriebene Verbote oder aktenkundig gewordene Zwischenfälle. So ritten die Wittichenauer als „Kreuzreiter“ (so heißt das Osterreiten auf obersorbisch heute noch: Křižerjo – Kreuzreiten) vor 1541 nach Hoyerswerda. Doch dann wurde man dort lutherisch und mochte den Brauch nicht – weswegen sich seitdem die Reiter aus Ralbitz und Wittichenau gegenseitig besuchen. Diese Gegenbesuche sind üblich – außer beim Osterritt von Bautzen nach Radibor, das ist one way plus Zurückreiten.

OsterreiterEinmal gab es sogar einen regelrechten Osterreiterkrieg – jedenfalls wird das so genannt, was sich da am Ostersonntag des Jahres 1623 zugetragen hatte: Christoph von Minkwitz, damals Gutsherr von Radibor, verbot den Osterreitern, den Friedhof zu betreten – auch er wollte so den lutherischen Glauben im Ort durchsetzen. Die Idee war schlecht und ging nach hinten los: Die Radiborer wollten reiten und kebbelten sich so handgreiflich mit Angestellten des Gutshofes, dass das als „Osterreiterkrieg“ in die Geschichte der Pfarrgemeinde einging.

Ostern in BautzenWas Verbote nicht schafften, hätte der irreal existierende Sozialismus beinahe vollbracht: Weil es immer weniger Pferde gab, war den Osterreitern quasi die Grundlage ihres Tuns entzogen. Rafael Ledschbor erwähnt in seinem lesenswerten Beitrag für das Bistum Dresden-Meißen, dass das Osterreiten in Bautzen nur bis 1969 präsent war: „Zu wenig Pferde sowie mangelndes Interesse“. Und auch die Storchaer Prozession nach Radibor pausierte von 1973 bis 1977, weil der Pferdebestand sehr stark reduziert war.

Alte Wasserkunst und MichaeliskircheMittlerweile aber reiten sie alle wieder – 1.700 insgesamt, neugierig beäugt von geschätzten 35.000 Zuschauern. Für die Touristen ist es eine fotogene Attraktion, für viele Kinder ein Erlebnis – vor allem wenn die Zossen ungeniert den Schweif heben und die Straße beäppeln. Für die Reiter scheint es immer noch eine Mischung aus Tradition, Religion und Heimatbindung zu sein, sie machten allesamt nicht den Eindruck, besonders kamerageil zu sein und waren konzentriert bei der Sache – was die Gebete vor dem Start anbelangt und den lautstarken Gesang beim dreimaligen Umrunden der Liebfrauenkirche, mit dem der Ostermarsch hoch zu Ross beginnt. Die Herren können nämlich alle laut, aber nur einige schön. Beeindruckend war’s dennoch.

Auf zum ProtschenbergWährend die Osterreiter in festlichen Prozessionen nach Radibor ritten, strömten die Bautzener (ohne Apostroph, weil kein Senf) auf den Protschenberg zum Eierschieben. Selbst noch oben auf der Ortenburg stehend sah man über die Spree eine fröhliche Menschenschlange bergan ziehen – ein Bild, an dem die Herren Goethe und Spitzweg gleichermaßen ihre Freude gehabt hätten. Der Protschenberg ist ebenfalls seit ewigen Zeiten der richtige Ort zur rechten Zeit: Seit 1830 ist das Eierschieben dort verbürgt. Hartgekochte Eier, Äpfel, Nüsse, Apfelsinen und allerlei Gebäck kullerte den Steilhang hinunter und wurde unten von den Kindern aufgefangen. Oder auch nicht, wie man gerne erzählt: Dann sprangen die Kinder eben in die Spree, was ein kaltes Vergnügen ist zu dieser Jahreszeit.

Die Spender von Eiern & Co waren übrigens wohlhabende Bürger, das ganze hatte also zumindest in den Anfängen eine soziale Komponente. Die sucht man heutzutage vergebens: Alles Jahrmarkt, umsonst ist da nur der Aufstieg auf den Berg. Ansonsten kauft man Plastikbälle im Apfelsinennetz, und die können dann gefangen und umgetauscht werden – in „Geschenke“ steht auf der Internetseite zum Eierschieben, aber die sind ja vorher bezahlt.

Ostern in Bautzen (1)Das ganze Vergnügen ist in eine Show eingebettet, mit Bühne vorne und Bratwurst, Sau am Spieß und was man sonst noch so zum Sattwerden braucht an der Seite. Es gibt jedenfalls reichlich Gelegenheit für die Bautzener, den Bautz’ner zu probieren! Auf der Bühne gastierte unter anderem das Sorbische National-Ensemble, dem man ansah, dass dort Profis tanzen. In den Ausgehtrachten sahen die Jungs gut und die Mädels hervorragend aus. Gut drauf waren sie alle, und das machte nun nicht den Eindruck von Schauspielerei…

[Bautzen-Besuch Ostern 2009 | Lage auf der Karte]

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