Keine Banditen in Orgosolo

Geschichten aus Sardinien (14)

Kulturlandschaft

Das Schönste an Oliena ist die Landschaft nach der Ortsausfahrt. Leicht hügelig, Weinstöcke, Olivenhaine, kaum Autos unterwegs auf hervorragenden Straßen – so macht das Reisen Spaß. Das Ziel ist Orgosolo, die Banditenstadt. Es gibt da eine ganz bezaubernd-gruselige Mär und einen Film von Vittorio de Seta, Banditi a Orgosolo. Berühmt ist Orgosolo aber für seine Wandmalereien, die Murales. Aber fast mehr noch als die Wandmalereien interessierte uns, ob es dort etwas zu essen geben könnte, nach dem Restaurantdesaster in Oliena.

Bandit am StraßenrandKurz vor dem Ort geht das mit den Furcht erregenden Darstellungen schon los. Unser Wanderfohrer hatte uns in seinem Rundumwissenkompendium (Eberhard Fohrer, Sardinien, S. 618) wissen lassen: „Die meisten neugierigen Touristen fahren .. mit gemischten Gefühlen in das Bergdorf. Einen gewissen Druck in der Magengegend werden die wenigsten los“, wegen der Banditen und so. Unsere Gefühle waren nicht gemischt, und der einzige Druck in der Magengegend kam vom Hungergefühl – aber als da drei Kurven vor dem Ort plötzlich ein feister grimmig dreinschauender blauäugiger Bandit uns mitten in einer Kehrtwende auflauert, wird’s uns plötzlich doch sehr komisch im Bauch. Tapfer ergreifen wir nicht die Flucht, sondern halten an: Ich bremse auch für Banditen! Zumal wenn sie aus Stein und lustig angemalt sind sowie hinter der Leitplanke im Gras liegen.

SupramonteWir schossen aus beiden Kameras und machten uns danach von hinnen, Orgosolo zu besichtigen. Das Dorf machte beim ersten Durchfahren einen unspektakulären Eindruck auf uns – und wir waren schnell wieder draußen, allerdings an einem netten Aussichtsplatz, der eigens für durchrauschende Touristen angelegt zu sein scheint. Von hier aus hat man eine wunderbare Fernsicht ins Supramonte-Massiv – so lange man wirklich in die Ferne sieht. Ein Blick nach unten offenbart ein riesiges Loch, in dem kleine Laster herumkutschieren (also in Wirklichkeit sind sie natürlich groß, aber sie sehen von hier oben klein aus, das kennt man ja). Und noch näher dran erinnert eine rammelige Hütte mit einem vor sich hin rostenden Auto an Oliena.

Zurück im Dorf (Orgosolo hat so um die viereinhalbtausend Einwohner), in dem sich die Einheimischen am Marktplatz gegenüber der Kirche friedlich um einen Broilerwagen versammeln, um dort käuflich ein halbes Hähnchen zu erwerben. Ja bin ich denn in Dresden? Sieben Euro sollte der gegrillte Gockel kosten – wir fanden das sehr unromantisch und beschlossen, erst einmal die Murales zu besichtigen. Es gibt in der Tat viel zu sehen – aber ob das, was da nach 1975 so nach und nach entstand, nun mehr Ausdruck irgendwelcher Proteste sein soll oder nur touristische Anmache? Von der künstlerischen Qualität ganz zu schweigen, aber über Kunst kann man ja immer trefflich streiten.

Banditi a OrgosoloIrgendwo habe ich gelesen, dass die Wandmalereien quasi ein therapeutisches Abarbeiten räumütiger Banditen seien – aber das glaube ich nicht. Denn die Banditen haben einerseits eine lange Tradition in der Gegend – aber dank so famoser Erfindungen wie der Blutrache hat sich ja auch andernorts schon aus einer bier- oder weinseligen Frozzelei ein generationenlanger messerscharfer Streit zwischen Familien entwickelt. Nicht witzig, aber Realität – und meistens mittlerweile auch überwunden. Vittorio de Setas Film über die Banditen von Orgosolo aus dem Jahr 1961 greift diese Aspekte der Geschichte auf – mit Laiendarstellern und beeindruckenden Bildern.

Murales a OrgosoloDie Murales, die es andernorts auch noch (und nicht mal schlechter, im Gegenteil) gibt, nahmen in Orgosolo 1975 ihren Anfang: Der aus Siena stammende Kunstlehrer Francesco Del Casino initiierte die Aktion – er war Lehrer in Orgosolo und brachte anlässlich der Feiern zur 30jährigen Befreiung vom Faschismus in Italien mit seinen Schülern Politisches auf die Wände. Irgendwannn ging der Künstler heim in die Toskana und die Leute von Orogosolo machten zunehmend folkloristischer weiter. Langfristig ist es eh besser, auf sanften Banditismus zu machen und den Leuten das Geld legal aus der Tasche zu ziehen: Touristen willkommen! Auf Wunsch mit inszeniertem Busüberfall und dem Rest all-inclusive.

Womit wir beim Lieblings-Thema Essen und Trinken wären. In Ermangelung anderer geöffneter Lokalitäten versammelten sich alle Tagestouristen gleich hinterm Broilerwagen, pardon: der mobilen Rosticceria da Tonino in eher rüder Atmosphäre am Caffé Dandana (Piazza S. Croce 6). Die Außenplätze waren fest in deutscher Hand: Ein Motorradclan aus dem Bergischen Land und Köln versorgte alle mit rheinisch-bergischer Frohnaturlaune und den neuesten Geschichten des Beinahe-Unfalls eines Mitfahrers, dann gab es noch ein junges verliebtes und ein altes fotografierendes Paar. Dazwischen wir (nicht mehr jung, noch nicht alt, aber auch verliebt und fotografierend). Zu essen gab es Nudeln aus der Vakuumverpackung, wie man sie im ganzen Land so bekommt. Convenience ist ein sehr schmeichelndes Wort, aber Schlechtes muss nicht billig sein. Dafür waren die beiden Mädels, die den Laden schmissen, sehr aufgeregt, nett und zuvorkommend, wenn auch ein wenig überfordert. Aber immerhin gab es ordentlichen Hauswein vom Fass – wir ließen, weil wir ja nur nippen konnten in der Mittagspause, uns gleich mal eine Literflasche abzapfen und genossen die dann nach unserer Ankunft in Bosa…

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