Der Restaurantkritiker

Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist,
Denn ich bin beruflich Pharmazeut,
Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist:
Je schlechter, um so mehr freun sich die Leut.

Georg Kreisler, Musikkritiker

Essen gehen und drüber schreiben – das muss doch ein großes Vergnügen sein! Ja, ist es – aber es ist auch Arbeit. Unbefangen den Abend genießen geht nicht, und geschrieben werden will die Kritik ja auch! Weil immer mal wieder Fragen auftauchen, wie so ein Testessen denn funktioniert, gibt es hier einige Antworten…

Die wichtigste vielleicht gleich zu Beginn: Natürlich gehen wir anonym in die Gaststätten, die wir besuchen. Zur Anmeldung (denn ohne geht’s ja meistens nicht) wählen wir am Telefon einen anderen als den wirklichen Namen und riskieren dabei lediglich, den ganzen Abend vom aufmerksamen Personal falsch angeredet zu werden. Meistens aber verpasst das Personal diese Chance und redet uns gar nicht an. (Dass es auch anders geht, durfte ich einmal in Berlin im Hotel Adlon erfahren: Dort wird man zum Frühstück empfangen und gibt seine Zimmernummer an – so weit nichts Unübliches. Aber dass dann die Servicekraft, die uns zum Tisch geleitete, uns mit Namen ansprach, fand ich schon bemerkenswert.)

Und was ist mit Gaststätten, wo man Euch kennt? Die gibt’s, natürlich. Aber man kennt uns ja dort, weil wir mehr als einmal da waren – und dann fällt es auch nicht auf, wenn man ausgerechnet bei dem einen Besuch dienstlich wird.

Kann man denn da noch objektiv sein? Na klar kann man das! Wenn dann was nicht gepasst hat, hat das allerdings beim nächsten Besuch meist längere Gespräche zur Folge!

Wir kommen also weitgehend unerkannt und benehmen uns eher touristisch. Wir bestellen prinzipiell unterschiedliche Dinge, um möglichst viel mitzubekommen von der Küchenleistung. So die Karte es zulässt also sowohl Fisch als auch Fleisch, möglichst etwas Vegetarisches und eine Suppe. Und wenn es geht, auch noch ein Dessert.

Wie schafft man das? Man muss ja nicht aufessen, auch wenn die Bedienung dann manchmal enttäuscht guckt. An das Märchen mit dem guten Wetter bei leergegessenem Teller glauben ja nicht mal mehr Kinder – wir auch nicht. Außerdem funktioniert auch in Deutschland, was andernorts (Italien beispielsweise) gang und gäbe ist: Sich eine Portion zu teilen. Zumindest bei der Vorspeise, eventuell dem Zwischengang und auf jeden Fall beim Dessert. Außerdem hat es sich bewährt, ein wenig neugierig die Tische rundum zu beobachten: Wie sehen andere als die selbst bestellten Gerichte aus? Was sagen die anderen Gäste (manchmal reicht es schon, deren Mimik zu beobachten)?

Und, wenn etwas nicht so ist wie es sein sollte – sagt Ihr dann was? Einer der ganz heiklen Punkte bei der Restaurantkritik, denn natürlich bedeutet jede Äußerung eine Beeinflussung des Tests. Im Theater kommt es ja auch äußerst selten vor, dass bei der Premiere einer Oper sich jemand im dritten Rang erhebt, um lauthals die Regie zu hinterfragen. Wir greifen also nur ein, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt – wenn beispielsweise das „Rosarot gebratene Lamm“ der Karte grau wie ein Endsechziger daherkommt. Meistens wird aus der Ess- dann eine Bedienkritik, aber es gibt durchaus hervorragende Kellner(innen), die das Desaster elegant zu handhaben wissen. Das gibt dann Pluspunkte!

Wie bewertet Ihr eigentlich? Gibt es nachvollziehbare Kriterien? Nun – die einen sagen so, die anderen sagen so! Natürlich gibt es objektive Dinge, über die man gar nicht diskutieren muss. Das graue rosa Lamm fällt in diese Kategorie, aber schon bei der Menge des Salzes oder dem Gargrad von Gemüse kann man unterschiedlicher Meinung sein. Was hilft? Die Dinge zu beschreiben, wie sie sind, statt sie zu interpretieren. Das ist übrigens schon seit Journalisten-Generationen eine bewährte Methode – der Prager Journalist Egon Erwin Kisch (* 29. April 1885; † 31. März 1948), eins der schreibenden Vorbilder, hat die Grundregeln aufgestellt.

Ansonsten sind wir ganz normale (naja…) Gäste, die sich hauptsächlich wohl fühlen und einen netten Abend haben wollen. Ganz wichtig: Wir versuchen die Lokale da abzuholen, wo sich selbst einordnen. Also gibt es andere Erwartungshaltungen in der Dorfkneipe nebenan als beim Edelitaliener, der durch Arrangement und Preis zu erkennen gibt, wer er sein möchte. Da Köche übrigens eine sehr sensible Berufsgattung sind, gibt es hier die meisten Enttäuschungen: Wenn jemand mehr sein möchte als er kann und dabei erwischt wird…

Natürlich ist jede Kritik subjektiv – so wie die Küche gute und schlechte Tage haben kann, hat auch ein Schreiber gute und schlechte Momente. Man schleppt ja sein ganzes Leben jeden Tag mit sich herum! Ein Teil der Professionalität ist allerdings, mit den eigenen Launen / Vorlieben / Antipathien etc so objektiv wie möglich umzugehen. Da hilft es manchmal schon, ein oder zwei bis drei Tage das Erlebte sacken zu lassen und erst dann zu schreiben. Und dann das Geschriebene nach einer Nacht nochmal zu lesen und gegebenenfalls zu überarbeiten! Verrisse schreiben sich übrigens deutlich schwerer als Lobhudeleien!

Muss denn immer genörgelt werden? Nein, muss es nicht! Aber leider gibt es nur selten Abende, wo alles stimmt. Manchmal ist es übrigens noch schlechter als wir schreiben möchten – aber meistens schreiben wir dann lieber gar nicht!

Und, wenn’s schlecht war, geht Ihr dann noch mal hin für eine zweite Chance? Nein – es sei denn, der Wirt würde zu uns kommen und sagen: „Sorry, wir hatten heute einen schlechten Tag – Sie müssen nicht zahlen!“ Übrigens: Wenn es gut war, sollen wir dann auch nochmal hin, bis wir die Küche an einem schlechten Tag erwischen? Eben!

Zum gleichen Thema: Injeladen – nich uffgefordert.

Geschmackssache

2 Kommentare

  1. ja Köche, sie sind immer Diven mal große mal kleiner, sie vertragen nicht ein mal Anregungen oder Kritik aus der freundlichen privaten Ecke. Wie verkraften sie dann etwas professionell geschriebenes 😉

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