Ohne Furcht, doch mit Tadel

RolandZugegeben: ganz so riesig war er dann wohl doch nicht: Roland „der Riese“, so wie er auf zahlreichen norddeutschen Marktplätzen zu bewundern ist, mag zwar für seine Zeit ein überragender Mann gewesen sein – aber auf zehn Meter und mehr hat er es natürlich nicht gebracht!

Vor allem aber war Roland in den Köpfen der Leute riesig: Ein Held, ein furchtloser Kämpfer, der leider einmal ein wenig Pech gehabt hat – und das hieß in den wilden Zeiten vor mehr als tausend Jahren dann eben, dass er es nicht überlebt hat.

Doch der Reihe nach. Roland, der von den Säulen und aus dem französischen Rolandslied, ist nicht nur ein sagenhafter Held; er hat tatsächlich gelebt. Er war, wie man überall lesen kann, ein Paladin Karls des Großen (wobei die einschlägigen Autoren allesamt davon ausgehen, dass jeder weiß, was denn ein Paladin sei, nämlich einer von zwölf Angehörigen des Heldenkreises am Hofe Karls des Großen). Roland gab es tatsächlich, es ist der Graf Hruotland aus der Bretagne.

Dieser Roland hat das Glück gehabt, was man braucht, um Held diverser Volkssagen zu werden. Ein wesentlicher Bestandteil ist: Man muss vor langer Zeit gelebt haben – möglichst weit weg von irgendwelchen Schreibern, die die Wahrheit notieren. Unserem Roland ist dieses Glück widerfahren – sein Tod im August 778 liegt weit vor der ältesten Fassung des Rolandsliedes – einer Handschrift, die um 1100 datiert.

Eine weitere wichtige Zutat für eine ordentliche Sagengestalt ist natürlich, dass irgendetwas ganz Tolles passiert sein muss. Vor tausend Jahren hieß das meistens: Frauen mussten hübsch und in irgendwelche (meist vollkommen aussichtslose) Liebschaften verstrickt sein – und die Männer hatten ganz fürchterlich stark zu sein und in den Kämpfen Mann gegen Mann alles niederzumetzeln. Das Tüpfelchen auf dem i ist dann meistens, daß trotz allen Heldenmuts diese Männer dennoch das Zeitliche segnen, indem irgendein Schuft ihnen einen Hinterhalt stellt.

Soweit die (zugegeben: sehr pointierte) Theorie. Nun die Praxis am Beispiel von Roland!

Das war also im Jahr 778, genauer am 15. August. Die Franken sind unterwegs von Spanien nach Frankreich. Drei Wege gab es da seinerzeit: Am Meer entlang oder durch die Berge. Diesmal ging es durch das Tal von Ronceval in den Pyrenäen. Der Großteil des fränkischen Heeres ist schon übern Berg, hat den steilen Abstieg hinter sich. Die Nachhut mit Roland hat aber noch ein heftiges Scharmützel zu gewärtigen.

Oliver, ein Freund Rolands, hat es als erster bemerkt: „Von Spanien sehe ich ein großes Gewimmel heranziehen!“ Alles Feinde, die es auf die Nachhut und deren Gepäck abgesehen haben. Oliver gibt seinem Freund einen guten Rat: er möge doch, bitteschön, in das berühmte Horn stoßen. Doch Roland will sein Horn Olifant nicht stoßen – weil er mehr noch als den Feind die Schmach fürchtet. Laut Rolandslied sagte er die verhängnisvollen Worte: „Ich verlöre in Frankreich meinen Ruhm! Ich will kämpfen und mit meinem Schwert Durendal gewaltige Schläge austeilen.“

Hätte er doch sofort ins Horn gestoßen und so Karl mit dem Hauptheer alarmiert – er hätte vielleicht einen Teil des Ruhms verloren, aber nicht unbedingt das Leben. Erst als es aussichtslos wird, bläst Roland den Olifant – zu spät, denn als Karl kam, sind die Helden tot.

Was blieb? Natürlich die Geschichten, das Horn und das Schwert. Bei der Beliebtheit des Themas und des Mannes eigentlich kein Wunder, daß man Horn und Schwert an mehreren Orten bewundern kann: Roland gehört eben allen! In Bordeaux und Toulouse gibt es Olifanten, Blaye am rechten Ufer der Gironde reklamiert Schwert und Grab Rolands für sich.

Und die norddeutschen Städte – was haben die damit zu tun? Warum haben die ihren Roland, groß und mit dem Schwert versehen, auf dem Markt herumstehen? Wenn man es – aus der zeitlichen Entfernung betrachtet – so sagen darf: Nichts eigentlich. Denn wahrscheinlich sind die vielen Rolandsäulen eigentlich welche, die Rügeland heißen. Und das wiederum bedeutet Gerichtsstätte. Also eigentlich haben sie nichts mit dem Roland zu tun! Aber da das Volk sie schon dazu gemacht hat und der sagenhafte Roland für alles Gute zu haben ist, warum denn nicht auch das? Also ist er, den Statuen sei Dank, auch der Vertreter der Marktgerichtsbarkeit…

Geschrieben 1988/89,
1996 zu Weihnachten als Geschenkband erschienen. Grafik von Einhart Grotegut.
Sagenhaft – 12 Sagen. Nacherzählt von Ulrich van Stipriaan.

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