Der kleine Mann und das Fass

Grafik: Einhart Grotegut ©1996
Grafik: Einhart Grotegut ©1996

Er war man nur hundertzehn Zentimeter groß – aber, mit Verlaub, einer der größten Säufer seiner Zeit. Ist das der Stoff, aus dem man Vorbilder oder Statuen schnitzt? Gemeinhin nicht, aber in diesem Fall schon: Die Rede ist von einem gewissen Clemens, besser bekannt als „Perkeo“. So hieß er, weil er in Tirol aufgewachsen war und auf entsprechende Nachfrage nämlich italienisch zu antworten pflegte: „Wollt Ihr noch ein Gläschen?“ – „Perché no!“. Was soviel heißt wie: Warum nicht?

Eine gute Frage! Denn zu trinken hatte Perkeo reichlich. Man sagt, er habe es auf fünfzehn bis achtzehn Flaschen Wein gebracht. Täglich. Bis zu seinem Tode, der angeblich nur eingetreten sein soll, weil er – auf ärztlichen Rat hin – einmal ein Glas Wasser getrunken hat.

So etwas macht man nicht ungestraft, wenn man im Heidelberger Schloss beschäftigt ist. Da hatte Perkeo nämlich einen Traumjob für Weinliebhaber: Er musste das Heidelberger Fass bewachen. Und da verhalten sich achtzehn Weinflaschen zum Fass wie eine Sekunde zur Ewigkeit: 220.000 Liter Wein fasst das Fass – da steht man fassungslos davor, oder auch obendrauf, und fragt sich: Wozu das?

Eine gute Frage, die sich recht einfach beantworten läßt: Sportlicher Ehrgeiz war es, ein Wettstreit zwischen dem Kurfürsten von der Pfalz und dem sächsischen Kurfürsten. Die Herren hatten seinerzeit nicht viel anderes zu tun und beschlossen, das größte Fass der Welt bei sich zu haben. Beschlossen und verkündet: Zum ersten, zum zweiten und zum dritten. Denn jeweils drei Fässer standen im Heidelberger Schloss und auf der Festung Königstein unweit von Dresden.

Angefangen hatte es 1586: Da hatten die Heidelberger ein Fass, das für normale Menschen groß genug gewesen wäre, denn 1.185 Hektoliter Wein passten hinein. Daraufhin entstand auf der Festung Königstein ein Fass mit 1.450 Hektolitern Inhalt. Das ließ dem Pfälzer keine Ruhe: 1666 war Fass Nummer zwei fertig, 1.651 Hektoliter Inhalt galt es zu schlagen.

1680 war es soweit: Königstein meldete: Wir haben ein neues Fass aufgemacht, 2.235 Hektoliter passen rein!

Die Freude währte jedoch nicht lange, das Fass fiel auseinander. Weswegen prompt ein neues gebaut wurde – eins mit fast 250.000 Litern Fassungsvermögen. Oder, wie man rund um Dresden damals zu rechnen pflegte: Eins mit 3.709 Dresdner Eimern Inhalt. (Wobei galt: 1 Eimer = 72 Kannen = 13,5 Stübchen = 67,36 Liter.)

Gut Ding will Weile haben – 1751 gab es dann wieder Nachricht aus Heidelberg: Ein Fass mit einem Durchmesser von sieben Metern, einer Länge von 8,50 Metern – und es passten hinein über 220.000 Liter.

Als Erbauer des Fasses gilt der Kurfürst Karl Theodor, obwohl der natürlich selbst gar nicht Hand angelegt hat. Das tat er lediglich beim Entleeren des Fasses: Ordentlich zu bechern war Sitte am kurfürstlichen Hof – 2.000 Liter sollen es pro Tag gewesen sein, die dafür sorgten, daß alle mal „wieder fol gewesen“ sind (wie es Kurfürst Friedrich IV ins Tagebuch zu schreiben pflegte).

Dermaßen sagenhafte Gelage regten natürlich die Phantasie der Zeitgenossen an – dem Zwerg Perkeo sagt der Dichter Victor von Scheffel gar nach, in den Weinkeller gestiegen und erst wieder hochgekommen zu sein, als das Fass leer war: Nach 15 Jahren.

Die Wirklichkeit sieht meist weniger verklärt aus: Hobbies wie das der Heidelberger oder Königsteiner Herren sind eine kostspielige Angelegenheit – und sowas fällt irgendwann auf. Auf der Festung Königstein ward das große Fass bald marod, so dass man noch vor den Zeiten des Herrn Potemkin dessen Idee vom mehr Schein als Sein vorwegnahm: In das Riesenfass hängten die Sachsen ein kleines, aus dem der Wein den Gästen dargeboten wurde…

Geschrieben 1988/89,
1996 zu Weihnachten als Geschenkband erschienen. Grafik von Einhart Grotegut.
Sagenhaft – 12 Sagen. Nacherzählt von Ulrich van Stipriaan.

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