Erst Liebe, dann Hiebe

Siegmunds wunde Stelle
Grafik: Einhart Grotegut ©1996

Was für ein Werk! Am Anfang ist eigentlich alles eitel Sonnenschein, sozusagen Friede, Freude, Eierkuchen. Am Ende gibt es fürchterliches Gemetzel, Leid und Trauer. Dazwischen liegen etliche Geschichten des Stoffes, aus dem heutzutage Fernsehserien gestrickt werden: Hübsche Frauen, starke Männer, Liebe, Abenteuer, Mord…

Die Geschichte heißt Nibelungenlied, der Dichter ist unbekannt. Vielen bekannten Schreibern wollte die Wissenschaft die insgesamt neununddreißig Abenteuer bereits zuschreiben: Wolfram von Eschenbach, Konrad von Würzburg, Walther von der Vogelweide – aber keiner von ihnen ist’s gewesen.

Was der Herr der Nibelungen da zusammengereimt hat, ist inhaltlich wie formal grandios. Im zwischen 1200 und 1204 geschriebenen Nibelungenlied sind nämlich nicht nur seinerzeit aktuelle Ereignisse reportagenhaft aufgezeichnet (ein früher Ersatz für die Zeitung oder das Nachrichtenmagazin mit einer gehörigen Portion Klatsch und Tratsch), sondern auch noch zwei eigentlich sehr unabhängige Sagen miteinander verknüpft: Siegfried der Drachenkämpfer ist Held der einen Sage, der Hunnenkönig Attila die tragische Hauptfigur der anderen. Während Attila im Jahre 453 tatsächlich starb (in der Hochzeitsnacht an einem Blutsturz – aber wer glaubt denn sowas? Da macht sich die Sage eines Mordes doch viel besser!), ist es mit Siegfried etwas mysteriöser. Das fängt mit der Drachen-Geschichte an, geht weiter mit dem Gewinn eines verfluchten Schatzes, einer trügerischen Brautwerbung und endet mit Siegfrieds Ermordung. Sie sehen: Harte Zeiten für Helden waren das – immer mussten die ‘ne Menge durchmachen, um dann meist sehr gewaltsam oder sonstwie mysteriös zu sterben.

Das burgundische Königskind Kriemhild leitet die Abenteuer ein:  Zwar war sie enorm schön („solch edel Mägdelein, dass in allen Landen nichts Schönres mochte sein“), doch sollte sie im Laufe des Liedes eine weniger angenehme Rolle spielen, was der Dichter uns auch schon recht früh andeutungsweise klarmacht: Sie war „ein schönes Weib, um die viel Degen [das sind: Ritter] mussten verlieren Leben und Leib“.

Siegfried kommt aus Xanten am Niederrhein, ist auch Königssohn (wie praktisch, dass es damals so viele Königsreiche gab…) und außerdem ein Held. Das bewies er einmal, als er die Nibelungen besiegte und den Nibelungenschatz erbeutete – seitdem war er der Siegfried „von Nibelungen Land“. Als später nach Siegfrieds Tod die Burgunden den Schatz in Besitz nahmen, ging auch der Name auf sie über. Siegfried erhielt jedoch nicht nur Schatz und Namen, sondern auch noch das Schwert Balmung (damals hatten Schwerter noch Namen) und eine Tarnkappe – ein äußerst praktisches Kleidungsstück, das einen unsichtbar machen konnte.

Die andere heldenhafte Angelegenheit ist der Kampf mit dem Drachen: Ein Lindwurm, in dessen Blut nach erfolgreichem Kampf Siegfried badete. Da bekam er eine Hornhaut, die ihn unverletzlich machte. Aber man kennt das ja aus der Antike: Irgendwo gibt’s auch bei solchen Unverletzlichen immer einen Fleck, an dem sie dann irgendwann scheitern. Um es einmal sehr gewagt zu formulieren: Siegfrieds Achillesverse war eine Stelle zwischen den Schulterblättern. Dorthin kam nämlich wegen eines just vom Baum gewehten Lindenblattes kein Drachenblut – und das war für Siggis Leben gar nicht gut…

Zurück zur Handlung des Liedes: Der tapfere Siegfried möchte die schöne Kriemhild freien. Er hatte sie zwar nie gesehen, aber das ist ja eher eine neumodische Erscheinung, dass man sich sehen muß, bevor man sich liebt: Erst die Heirat, der Rest wird schon kommen – das war jahrhundertelang die Devise. Bei Siegfried und Kriemhild ging das mit der Zuneigung sehr schnell: „Mit lieben Blick der Augen sahn einander an der Held und das Mägdelein; das indes ward heimlich getan“ verrät der Dichter und mutmaßt zugleich (obwohl er es nicht gesehen hat!), dass die beiden zärtlich die Hände drückten – sie knutschten, würde man heute sagen, still und heimlich vor sich hin.

Es folgen ganz spannende Szenen, bei denen einerseits die Liebe von Kriemhilds Bruder Gunter zur (natürlich ebenfalls schönen, zusätzlich aber ungeheuer starken und außerdem weitab in Island beheimateten) Königin Brünhild eine Rolle spielt und andererseits Siegfried sich als echter Kumpel zeigt, indem er unter die Tarnkappe schlüpft und es der starken Brünhild zeigt: Im Kampf besiegt er (unsichtbar) sie, während Gunter (sichtbar) den Hampelmann mimt und nur kämpferische Gesten zeigt.

Das ist alles sehr pikant und spannend wie bei Dallas inszeniert, weil die starke Brünhild ja eigentlich den starken Siegfried haben wollte. Der aber hatte (weil in Kriemhild verknallt) sich als Lehnsmann, als Untergebenen von Gunter ausgegeben – und so einen heiratete man früher nicht. Dass sich blaues Blut mit ganz normalem Menschenblut überhaupt mischen kann, wissen wir erst, seitdem es die hübsche Silvia direkt von der Olympiade in München von der Dolmetscherin zur Königin von Schweden brachte.

Weil er saubere Arbeit geleistet hat, darf Siegfried nun Verlobung mit Kriemhild feiern – worüber sich Brünhild sehr wundert: Kriemhild, die Königstochter, und (der von ihr verehrte) Siegfried, ein Untergebener?!? Sie rächt sich auf ihre Art und verweigert dem Gunter schlicht das Bett beziehungsweise das, was darin normalerweise nach der Hochzeit so passiert, wenn man nicht gerade schläft. Doch auch hier ist Siegfried ganz nett, zieht sich seine Tarnkappe über und opfert sich im Bett der Königin von Island… Dann begeht er, nach erfolgreicher Tat, noch einen verhängnisvollen Fehler: Er nimmt den Gürtel und einen Ring von Brünhild, um ihn seiner Kriemhild zu schenken. Sowas kann nicht gutgehen!

Geht es auch nicht: Vor dem Wormser Dom kommt es zum Eklat. Kriemhild will als erste durch die Tür, die Königin Brünhild sieht das nicht ein, ein Wort gibt das andere – und da zeigt Kriemhild keck auf ihren Gürtel und behauptet, daß Brünhild die Kebse (wie man Nebenfrauen und Geliebte so schön nennt) ihres Siegfrieds sei. Diesen Spruch (nicht die Sache) empfinden Brünhild und auch ihr König Gunter als große Schande und verlangen eine Rechtfertigung. Siegfried meint dann zwar, dass er nichts verraten habe, äußert sich aber wohlweislich auch nicht zu dem nächtlichen Abenteuer. Das nun ruft Hagen von Tronje, einen echten Lehensmann Gunters, auf den Plan: Er schwört Rache und will es Siegfried geben.

Gesagt, getan: Hagen erfährt durch eine fiese List von Kriemhild, wo Siegfrieds verwundbare Stelle ist und tötet Siegfried nach einem noch gemeineren Plan während der Jagd – es ist ein Meuchelmord, hinterrücks (also besonders gemein) und nicht ohne Folgen. Denn von nun an geht es jäh bergab, von nun an sind nicht mehr die Liebe und der Hof mit seinen schillernden Farben und Prächtigkeiten das Thema, sondern nur noch wilde Rauferei: Das sechzehnte Abenteuer „Wie Siegfried erschlagen ward“ macht den Anfang, und je weiter sich das Lied dem Ende neigt, desto mehr edle Ritter werden erschlagen. Die meisten freilich, muss man zur Ehrenrettung sagen, im ehrlichen und offenen Kampf.

Kriemhild ist über den Tod ihres geliebten Mannes natürlich erbost und schwört Rache – zumal sie den Mörder genau kennt: Als Hagen an die Totenbahre von Siegfried tritt, beginnt die Wunde erneut zu bluten. Und das das galt in jenen Tagen als sehr eindeutiger Beweis!

Nach angemessener Zeit echter und tiefer Trauer begab es sich, dass der Hunnenkönig Etzel [das ist: Attila] seine Frau Helke verliert, ebenfalls ein wenig trauert und dann um Kriemhilds Hand anhält. Die denkt gar nicht daran, ihn zu lieben, sinniert aber fürderhin nach Rache und sagt dem Überbringer des Heiratsantrags: Okay, so soll es sein – wenn Du, lieber Rüdiger von Bechelaren, mir den Treueeid leistest und alles Leid, das man mir antut, rächen wirst. Rüdiger sagt leichtsinnigerweise zu.

Kriemhild heiratet also Etzel, liebt ihn nicht, schenkt ihm aber dennoch einen Sohn („wat mut dat mut“ sagt man in Norddeutschland…) und plant nach dreizehn Jahren Pflichtehe die Rache an Siegfried zu vollenden. Etzel lädt die Wormser zu sich ein, ein großes Gelage sollte es geben. Und was war? Die Wormser kamen mit 1060 Recken und 9000 Knechten (es war nur eine kleine Abordnung), sahen  und fanden, dass das Wort Gelage bei ihnen irgendwie eher netten Charakter hatte, während es an Etzels Hof wegen Kriemhilds böser Gedanken eher vernichtend sein sollte: Intrigen gibt es und nicht standesgemäße Behandlung. Kriemhild schreckt vor nichts zurück, die Dinge nehmen ihren Lauf, bis dass so nach und nach alle gegeneinander kämpfen und „vom Blute nass und auch rot“ waren, was eine sehr vornehme Umschreibung für den Umstand ist, dass sie am Ende alle nicht mehr leben.

So nimmt die aufregende Geschichte ein überaus tragisches Ende, das der unbekannte Dichter treffend zusammenfaßt: „Mit Leid war beendet des Königs Festlichkeit, wie ja stets am Ende die Freude gelohnt wird mit Leid.“

Geschrieben 1988/89,
1996 zu Weihnachten als Geschenkband erschienen. Grafik von Einhart Grotegut.
Sagenhaft – 12 Sagen. Nacherzählt von Ulrich van Stipriaan.

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