Der Herr der Saucen

Bärwalde Mai 2012
Bis Oktober, steht auf dem kleinen Schild im Speisekarten-Schaukasten, nur freitags und samstags ab 18 Uhr geöffnet.* Aus Gründen: Olav Seidel, der uns regelmäßig im Gasthof Bärwalde zum Schwärmen bringt, widmet sich derzeit der Wissenschaft. Zusammen mit Prof. Dr. Josef Matzerath von der TU Dresden erkundet er Menüs der Dresdner Hofküche des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Während die Historiker Archivalien studieren und interpretieren, versucht Olav Seidel das Geschmacksbild der Rezepte zu rekonstruieren und liefert damit auf seine Weise auch Interpretationen aus der Versuchsküche (mehr dazu in einem separaten Artikel).

Wir ergatterten eher zufällig einen der raren Plätze an einem der kurzen Wochenenden, um endlich einmal die sommerliche Küche in Bärwalde zu genießen. Die Gerichte der Karte sind, wie gehabt, bodenständig-bürgerlich, allerdings im gewohnten Überschwang der Aromen. Vor allem erwies sich Olav Seidel einmal mehr als der Herr der Saucen – und fast bin ich geneigt zu schreiben: Soßen, denn das ist deutlich regionaler vom Wort her.

Der Ziegenhof Lauterbach, den wir ja auch schon einmal für ein Portrait besucht haben, spielte in zwei Gängen die Hauptrolle: Lauwarmer Lauterbacher Ziegenfrischkäse mit Bärwalder Frühlingswildkräutern und Olivenöl aus Messinien (6,90 Euro) war mild und crémig, was ja die konsequente Fortsetzung des Lauterbacher Gedankens ist: Der Käse schmeckt auch Menschen, die eigentlich bei Ziegenkäse die Nase rümpfen.

Die Ziegenmilch, die zum Käse geworden ist, steht ja den Zicklein nicht mehr zur Verfügung. Sie durften die ersten Wochen, dann ist time to say good-bye, zum Beispiel für Schmorstücke vom Lauterbacher Bio-Milchzicklein (18,00). Das schwamm nachgeradezu in einer feinen braunen Soße, die ganz leise – aber unüberhörbar! – flüsterte: Ditsch mich! Ditschen, sei den Nicht-Sachsen gesagt, ist auftunken, und weil der Koch diesen Soßenwunsch kennt, gibt’s Kartoffelgratin zum Essen, das – wir sind bei Olav Seidel in Bärwalde, da ist das so! – beim Ditschvorgang einen gehörigen Schuss Sahne in die Soße bringt.

Wir haben uns am Tisch – das einmal als Einschub vor einem kurzen Blick auf das Essen des Anderen – lange über diese Saucenfreudigkeit unterhalten. Die Quintessenz: In den einfacheren Restaurants, die fälschlicherweise oft gutbürgerlich genannt werden, obwohl doch häufig so wenig gut drin ist, in den einfacheren Restaurants also gibt es Saucen, aber die schmecken immer irgendwie nach Tüte, wenn Sie wissen was ich meine. (Ausnahmen gibt es, aber eben nur Ausnahmen.) Je feiner die Restaurants dann werden, desto mehr geizen sie mit Sauce. Es gibt meist diese mengenminimalistischen Spiegel, die zwar (wenn’s gut gemacht ist) Geschmacksbomben sind, aber eben nicht das Gefühl der Kindheit aufkommen lassen. Und das brauchen wir manchmal. So wie die Oma die Rouladen gemacht hat, so wie sie, extra für den Enkel, immer eine anbraten ließ, so wie sie dazu Soße servierte: Selbst gemacht, nicht aus dem Hause Maggiknorr und auch nicht fix auf den Tisch gebracht, sondern einen langen Sonntagvormittag lang in der Küche gekocht.

Zurück zum Essen im Gasthof Bärwalde, wo wir die Besinnung auf das Einfache in Vollendung so lieben. Gelegenheit dazu gab’s auch beim Marinierten lauwarmen Spargel mit Traubenölvinaigrette (6,90 Euro), auf dem wie bei der anderen Vorspeise Bärwalder Frühlingskräuter für Überraschung sorgten. Gefunden und gesammelt auf der Wiese hinterm Hof, erzählte Manuela Seidel uns und half, die Bestandteile zu identifizieren. Schafgarbe, Sauerampfer, Kornblume, Acker-Stiefmütterchen und derlei mehr. „Allerlei am Weg ich fand“ (frei nach dem ollen Löns) ist also noch machbar. Man muss nur wissen, wo – und die Dinge auch erkennen.

Das Suprême vom Schwarzfederhuhn auf Pot-au-feu vom Spargel erwies sich als eine durch und durch saftige Angelegenheit, mit knackigem Spargel und – natürlich, siehe die Zwischenbemerkungen – excellenter Soße. Geschmack dank hervorragender Qualität des Schwarzfederhuhns und dezent-gezieltem Einsatz von Kräutern: Alles ganz einfach. Wenn man weiß, wie es geht.

Ach ja, zum Dessert verweise ich auf die vorherigen Besuche. Wir können uns einfach nicht entscheiden, etwas anderes als die Crème d’Anjou (dieses Mal mit einem Sorbet vom Rhabarber serviert, 6,00 Euro) zu probieren.

Gasthof Bärwalde
01471 Bärwalde
Kalkreuther Straße 10a
Tel. 035208 / 342901

Geöffnet [2013 aktualisiert]:
Montag ab 18.00 Uhr
Dienstag und Mittwoch: Ruhetag
Donnerstag, Freitag, Samstag ab 18.00 Uhr
Sonntag: 12.00 – 15.00 Uhr
Reservierung empfohlen

Wegen Teilnahme am Forschungsprojekt „Ernährungsgeschichte in Sachsen“ (Bärwalde ist die Projektküche) nur Freitag und Samstag ab 18 Uhr geöffnet 
* Update Anfang Juli
: Es gelten wieder die üblichen Öffnungszeiten!

[Besucht am 25. Mai 2012 | Besuche Dezember 2011, März 2011 und Februar 2010]

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