Die aussterbende Kunst der Muschelseidenspinnerei

Chiara Vigo

„Die Eile wohnt nicht hier“ steht auf einem handgeschriebenem Zettel an der Tür, auf deutsch und natürlich auch auf italienisch (La fretta non abita qui). Außerdem erfahren wir, bevor wir überhaupt eingetreten sind, dass man in diesem Haus überhaupt gar nichts nicht kaufen kann. Fabelhaft! Hier sind wir richtig! Wir stehen (nicht mehr lange, denn die Tür mit den Hinweisen ist offen) vor dem Museo del Bísso, in dem Chiara Vigo die Muschelseidenspinnerei hoch leben lässt.

Chiara VigoChiara Vigo sitzt vor einer kleinen Gruppe von Touristen, als wir dazukommen. Begrüßung und kurze Verständigung (sie: woher wir kommen, welche Sprache wir verstehen; wir: ob man fotografieren darf?) – dann macht sie weiter, erklärt mit ruhiger und sanfter Stimme die Feinheiten der Muschelseidenspinnerei. Die Bysso ist eine Faser tierischen Ursprungs – gewonnen von der Steckmuschel, der größten Muschelart des Mittelmeers. Rar war sie schon immer, und obendrein auf betörende Art schön: unter der Einwirkung von Licht färbte sich die Muschelseide gülden. Da die gereinigten, gekämmten und verwobenen Fäden feine Textilien abgaben, waren sie begehrt und „reserviert für Päpste und Könige“, wie es auf der Webseite von Chiara Vigo heißt.

Museo del BissoMeist reicht es aber eh nur (was heißt hier: nur!?) für Bestickungen. Man kann auch darin eine Meisterschaft entwickeln. Die Motive sind traditionell und oft rein geometrisch. Il leone fenicio, der phönizische Löwe, ist ein Lieblingsmotiv – aber die Lieblingsbeschäftigung von Chiara Vigo ist eher der Kampf für den Erhalt der Umwelt und ein sauberes Meer. Nur so, sagt sie, könnten die Muscheln (die bis zu einem Meter lang werden) überleben. Und nur wenn die Muscheln weiterleben, könne auch die Kunst der Muschelseidenspinnerei weiter bestehen.

WebstuhlZu den ökologischen Rahmenbedingungen gesellen sich freilich auch noch ökonomische. Um aus den Fäden der Muscheln etwas Ordentliches zu machen, bedarf es reichlicher Zuwendung. Nach der aufwändigen Ernte unter Wasser werden die Fäden gewässert, um sie vom Salz zu befreien. Dann getrocknet und im Spezialbad wieder feucht gemacht, damit sie elastisch werden. Dann muss man sie kämmen und spinnen – und das alles nur in recht bescheidenen Mengen. Es ist nichts, um davon zu leben – aber es ist viel, um das Leben zu bereichern. Das Missionieren fällt Chiara Vigo nicht schwer, sie ist mit Leidenschaft bei der Sache.

Museo del BissoDie Zuhörer hingen jedenfalls gebannt an den Lippen der Signora, abgelenkt allenfalls mal durch den nicht minder faszinierten Blick auf ihre Hände, die unermüdlich Fäden kämmten und verdrillten. Natürlich kann sie nicht den ganzen Herstellungsprozess mit den Touristen durchgehen, aber man kann frei im großen Gewölberaum herumlaufen und sich die Dinge ansehen. Wenn Zeit ist (eigentlich ja immer, denn die Eile wohnt hier ja nicht…), gibt’s auch noch Erklärungen am Webstuhl. Und wenn man Glück hat, ein Souvenir: Ein kleines Stückchen Byssu, frisch gedrillt und eingepackt in einem Blatt Papier, frisch bemalt und von Chiara Vigo signiert. Grazie mille, signora!

Museo del Bisso
Viale Regina Margherita n°111
09017 Sant’Antioco (CI)
Sardegna – Italia

Tel. (+039) 347.3302237
http://www.chiaravigo.com/

Öffnungszeiten:
9:30 – 12:30 und 16:00 – 20:00

Weitere Informationen zu Muschelseide (auf deutsch):
www.muschelseide.ch

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