Lausitzer Lichtblick

Goldener Hahn

Streng genommen liegt Finsterwalde ja ganz zentral – wenn nur die Entfernungen nicht wären: 78 km nördlich von Dresden, 112 km südlich von Berlin, 52 km südwestlich von Cottbus (alle Angaben ungeprüft der Wikipedia entnommen). Wenn man als weiter entfernt Lebender die Stadt überhaupt kennt, dann meist wegen des Ohrwurms, der seit 1899 mit dem Zweizeiler „Wir sind die Sänger von Finsterwalde, wir leb’n und sterben für den Gesang“ Werbung für den niederlausitzer Ort macht.

Wir sind aber nicht der Sänger wegen nach Finsterwalde gefahren, sondern wegen des Schreibers: Frank Schreiber kocht nämlich im Goldenen Hahn dermaßen gut, dass es den einschlägigen Restaurantführern viel Lob und uns die Reise Wert war. Der Goldene Hahn krähte uns zur Begrüßung auch mal gleich an: In einer Kupfer-Ausgabe hängt er an einer Ecke des Hauses und regt sich zur vollen Stunde, flattert mit den Flügel und kräht so vor sich hin.

So munter-locker wie der Hahn es andeutete, ging’s erst einmal weiter: Die Chefin empfahl Plätze im Innenhof und plauschte noch ein wenig mit uns. Wir hatten einen der wenigen lauen Abende des diesjährigen Sommers erwischt und bereuten die Innenhof-Entscheidung nicht. Bei schlechtem Wetter gibt’s noch zwei Essbereiche drinnen, einen im Bistro-Stil, einen etwas feiner eingedeckt als Restaurant. Vom Bistro aus kann man die Küche einsehen – was ja auch was hat, dem 1974 geborenen und mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Chef beim Handwerk zuzuschauen. Der scheut seine Gäste nicht, im Gegenteil, er „nimmt sie als Ansporn“ (entnehme ich der Webseite des Hauses).

Zumindest das mit dem Ansporn hatte sich bis zu unserer Bedienung noch nicht herumgesprochen. Wenn wir nicht so gut drauf gewesen wären, hätte er uns mit seiner ausgesprochenen muffeligen Desinteressiertheit glatt den Abend verderben können. Aber wir ließen uns nicht anstecken und erfreuten uns umso mehr am (soviel schon mal vorweg) fabelhaften Essen. Die Karte bietet etliche Anregungen in fertigen Menüs (Regional, Modern, Vital und Tradition), die man jeweils auch mit weniger als der maximalen Zahl der Gänge bestellen kann. Außerdem geht’s natürlich auch a la carte, und das alles zu sehr manierlichen Preisen. Wir entschieden uns für jeweils vier Gänge aus der Sparte „Regional“ (40 €) und „Tradition“ (50 €) und tauschten dann auch noch den einen oder anderen Gang untereinander aus – weswegen das hier gleich Beschriebene munter durcheinander gegessen klingt.

Menü REGIONAL
Kleiner Gruß aus der Küche
Kräuter-Quarkmousse | Brunnenkresse-Eis | Gurken-Chutney | Leinöl-Kieselsteine | Brot-Chips
Spargel-Samtsuppe | Gebackenes Ei | Pfifferlinge
Zweierlei vom Niederlausitzer Heidelamm | Bärlauch | Bohnen-Kartoffel-Chartreuse | Rotwein-Zwiebel-Confit
Kaffee-Crème brûlée | Tonkabohnen-Eis | Schokoladenküchlein | Erdbeeren

Menü TRADITION
Kleiner Gruß aus der Küche
Carpaccio vom Rinderfilet | geräucherte Nüsse | Aronia-Gel| geflammtes Petersilienbrot| Parmesan-Chips
Gebratenes Zanderfilet | Krustentiersauce | Pfifferlinge | Blumenkohl-Graupenrisotto
Gebräunte Kalbszunge | Rotwein-Beurre-Rouge | Spargel als Tarte, Creme und gebraten
Eis von weißer Schokolade | Joghurt | Rhabarber

Den „Kleinen Gruß“ aus der Küche kann man getrost eine nette Untertreibung nennen: ein vergnügliches Fünferlei, das insgesamt ein nettes Mini-Menü darstellte und bei dem die Kartoffelsuppe so bemerkenswert war, dass wir die gerne einmal mittags als Hauptgang hätten. Köstlich!  Die Kräuter-Quarkmousse in der „regionalen“ Vorspeise kam unglaublich geschmackvoll daher, die Leinöl-Kieselsteine hätten wir uns hingegen etwas kräftiger nach Leinöl schmeckend gewünscht – aber das liegt natürlich an unserer Leinöl-(Vor-)Liebe. Begeisterung ohne Einschränkung beim Carpaccio, das (endlich einmal!) abwechslungsreich anders schmeckte, ohne die Grundidee zu verleugnen. Was so ein paar geräucherte Nüsse und Aronia-Tupfer ausmachen können!

Ein wenig verwundert waren wir, im Juli noch Spargel auf der Karte zu finden. Der kommt gleich von nebenan aus Sallgast und schmeckte, auch wenn wir ihn deutlich nach dem traditionell letzten Stich-Tag (24. Juni, Johanni) aßen. Aber so spät wie die Spargelernte in diesem Jahr begonnen hat, sind die Spargelbauern sicher ein wenig in die Verlängerung gegangen. Gelohnt hat es sich für uns, denn wann kommt man sonst schon mal in den gemeinsamen Genuss von Spargel und Pfifferlingen?

Die beiden Hauptgänge kamen uns vor wie Gemälde. Alles optisch sehr trefflich arrangiert – und es ist quasi überflüssig zu schreiben, dass es natürlich auch schmeckte, und zwar intensiv nach den jeweiligen Grundzutaten, die sich Schreiber (nicht nur im regionalen Menü) möglichst von Produzenten aus der Umgebung besorgt. Was muss besonders erwähnt werden? Vielleicht, dass die Zunge komplett anders schmeckte als gewohnt. Besser! Sie erinnerte uns eher an gut gemachte Bäckchen… Das Spiel mit den Texturen bereitete auch beim Lamm großes Vergnügen, der Gaumen fühlte sich extremst geschmeichelt!

Goldener Hahn
Hotel und Restaurant
Inhaber Frank Schreiber
Bahnhofstraße 3
03238 Finsterwalde

Telefon: 03531 / 2214
www.schreiber-cuisine.de

Geöffnet: Dienstag bis Samstag mittags ab 12 und abends ab 17 Uhr

[Besucht am 2. Juli 2013 | Karte der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

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