Dresdner Tafelkultur: Was Neues aus dem Osten?

Volkhard Nebrich und Josef Matzerath

Es ist angerichtet. Und es geht dabei um eine gehörige Portion Selbstbewusstsein sowie um den kulinarischen Brückenschlag zwischen dem, was Ernst Max Pötzsch 1898/99 auf 388 Seiten unter dem Titel „Vollständige Herrschaftsküche des Kronprinzen v. Sachsen“ handschriftlich auf 21,6 x 19 Zentimetern niedergelegt hat, und dem JetztHierHeute. Wie aus dem Halbleinenband mit braun marmoriertem Buntpapier über Pappe ein 2,938 Kilo schwerer Band mit 608 Seiten und zahlreichen Farbabbildungen wurde, ist ein spannendes Stück aktueller Wissenschaftsgeschichte. Und da geht es dann auch um Deutungshoheit und Inszenierung.

Die Handschrift des Kochs Ernst Max Pötzsch wurde im Juli 2006 der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek, die sie hier in Dresden alle nur kurz SLUB nennen, geschenkt. 2007, entnehmen wir einem Vermerk im Digitalisat des Originals, wurde es durch Bestrahlung sterilisiert: „Verfärbungen stellen keine Gefahr dar!“ Das digitalisierte Werk kann man sich bequem als PDF herunterladen – ob’s dann hülft bei der eigenen Arbeit, kann bezweifelt werden: Pötzsch hat’s ja eigentlich auch nur für sich aufgeschrieben: hastig, fachmännisch – und in (s)einer heute nicht mehr gebräuchlichen Handschrift. 1898/99 halt!

Josef MatzerathJosef Matzerath, Historiker und Professor an der TU Dresden, hatte das Buch in der SLUB gefunden („entdeckt“ klingt zu sehr nach etwas Großartigem, aber es steht ja ganz normal im Katalog!) und es für sich zum Forschungsgegenstand erklärt. Sein aktuelles Forschungsprojekt zur Ernährungsgeschichte lautet „Kulinarische Tradition – 500 Jahre exquisite Kochkunst in Sachsen“. Ernährungsgeschichte ist ja in der Tat ein spannendes Thema, warum also nicht. Obwohl 500 Jahre exquisite Kochkunst schon ganz schön spektakulär klingt und wir gespannt wie ein Flitzebogen sind, was man 1513 Exquisites in Dresden zu essen hatte. Da war ja noch nicht einmal Caterina de’ Medici geboren, die Mutter der französischen Kochkunst. Aber egal, Forscher und Satire dürfen zuvörderst erst einmal: alles.

Olav Seidel | Josef MatzerathAls das Projekt im Mai vergangenen Jahres im Haus der Kathedrale vorgestellt wurde, war es noch am Anfang – jetzt hat es mit der Veröffentlichung mehrerer Bücher zum Thema einen ersten Abschluss erreicht. Was uns ein wenig verwundert: Im Frühjahr 2012 wurde noch alles bei Olav Seidel in Bärwalde gekocht – von dem ist nun gar keine Rede mehr, weder in den Publikationen noch auf den Seiten des eigens gegründeten Vereins Ernährungsgeschichte in Sachsen e.V. (Seitenhieb: Wer genau liest, fand den Seidel lange Zeit doch noch – siehe Screenshot vom 16. November: Sein Name wurde bei der Überarbeitung des Textes im Web vergessen zu löschen. Mittlerweile ist der Text geändert. Und in einem alten Slow-Food-Beitrag steht er auch noch drin , das Web vergisst ja bekanntlich nicht so gerne– aber der ist mittlerweile (Sept. 2014) auch nicht mehr verlinkt. Es gibt eine PDF-Fotomontage).Forschung in Bärwalde

Volkhard NebrichDem Verein Ernährungsgeschichte in Sachsen e. V. werden vom Freistaat Sachsen für die Umsetzung seines Vorhabens mit dem Projekttitel „Ernährungsgeschichte in Sachsen“ im Zeitraum vom 05.12.2011 bis 31.12.2014 Fördermittel in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses gewährt. Die insgesamt 659.855 Euro scheinen gut angelegt, wenn man den Scherz von Volkhard Nebrich schalkhaft deutet: „Und wenn die Herren dann kamen, um die Sachen zu probieren, wollten sie ja auch immer guten passenden Wein dazu haben!“ sagte er bei einer Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung die „Tafelkultur um 1900“ im Stadtarchiv Dresden und grinste. Nebrich ist der Koch, der die alten Rezepte nun schlussendlich umgesetzt hat. Er war für kurze Zeit mal in Dresden, doch Fuß fassen konnte Nebrich, der Anfang der 90er Jahre für die Gastronomie der gesamten Frankfurter Oper zuständig war, mit dem VN im Komplex des Swissôtels nicht. Der im April 2012 gestartete Versuch führte sehr schnell zu einem Ende. Schade, denn der Mann ist engagiert und hat was drauf. Das Fördergeld ist übrigens nicht für den Wein gedacht, der Zuwendungszweck – wie das bei derlei Dingen offiziell heißt – teilt sich in zwei Teile auf: rechtliche Untersuchungen, ob man die alten Rezepte unter juristischen Schutz stellen kann (vorhersehbares Ergebnis: eher nicht) und zweitens wird die wissenschaftliche Aufarbeitung gefördert.

Zurück zu Nebrichs Probierküche. Sie war in Auerbachs Keller untergebracht, immerhin ein literarisch-essverbundener Ort. Allerdings muss man augenzwinkernd hinzufügen: Ob das lokalpolitisch korrekt ist – die sächsische Hofküche ausgerechnet in Leipzig zu probieren? Das mögen andere entscheiden. Goethe, der Auerbachs Keller immer noch große PR bescheidet („Solang´ der Wirt nur weiter borgt, / Sind sie vergnügt und unbesorgt„), liest ja keiner. Sonst würde man doch stutzig, wenn Mephistopheles spricht: „Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann, / Soll die Gesellschaft uns ergetzen.

Minister Frank Kupfer und Chefkoch Stephan Mießner mit Stör aus MoritzburgGute Gesellschaft ist natürlich immer wichtig, der Verein  Ernährungsgeschichte in Sachsen kümmert sich da professionell: Man gewann Wolfram Siebeck, der völlig zu Recht als einer der Wegbereiter des Schreibens über gutes Essen gilt. Wer sein Blog verfolgt, endet in letzter Zeit freilich öfter kopfschüttelnd und denkt sich vielleicht, dass es nicht nur Altersweisheit gibt. Siebeck jedenfalls konnte für eine der Publikationen als Kritiker gewonnen werden. „Hofmenüs für heute – Rezepte vom Dresdner Hof zubereitet von sächsischen Köchen und Pâtissiers“ heißt das Werk, in dem 15 Meister ihres Fachs die von Pötzsch notierten Rezepte essbar aufbereiten. Auf der Verlagswebseite heißt es im Untertitel daher auch irgendwie richtiger „aktualisiert“ statt „zubereitet“. Das Buch verdient eine eigene Besprechung! Die andere nicht zu vernachlässigende gute Gesellschaft ist natürlich der Sponsor: das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft verspricht sich heftigen Imagegewinn für die Region durch die Entdeckungen. Staatsminister Frank Kupfer nannte bei einem Pressegespräch (mit Essen: Stephan Mießner kochte im Elements ein Menü nach, mehr dazu im anderen Beitrag) einige Aspekte für sein Engagement: „Wir wollen Wege zu den Produzenten ebnen und das Bewusstsein für Lebensmittel stärken!“ Die anwesenden Produzenten nickten kräftig, als der Minister formulierte, „für Qualität auch gute Preise zu zahlen“.

Das Dresdner Stadtarchiv zeigt, angeregt durch die Forschung an der handschriftlichen Rezeptsammlung von Ernst Max Pötzsch, noch bis Februar 2014 die Ausstellung zur sächsischen Kochtradition. Ein Ausstellungskatalog „Tafelkultur Dresden um 1900″ erschien im Thorbecke Verlag.

Öffnungszeiten Stadtarchiv Ausstellung:
Mo/Mi: 9-16 Uhr, Die/Do: 9-18 Uhr, Freitag: 9-12 Uhr.
Die Ausstellung wird bis zum 7. Februar gezeigt. Der Eintritt ist kostenfrei.

Veranstaltungsreihe (auch mit abgelaufenen Terminen):

25. November 2013, 18 Uhr
Vortrag: „Dresdens führende Restaurants um 1900″. Referent: Manfred Wille

28. November 2013, 18 Uhr
Vortrag: „Gelbe Suppe – Das Jahresabschlussessen der Dresdner Stadtverordneten und des Dresdner Rates“. Referentin: Annemarie Niering

2. Dezember 2013, 18 Uhr
Vortrag: „Dresdner Kochbücher 1871 – 1918″. Referent: Benedikt Krüger

9. Dezember 2013, 18 Uhr
Film: „Hunger“ und anschließende Diskussion. Kooperation mit: MOVE IT! YOUNG

16. Dezember 2013, 18 Uhr
Film: „Die Slow Food Story“. Kooperation mit: Slow Food Convivium Dresden

13. Januar 2014, 18 Uhr
„Hausbrauerei Christian Schwingenheuer: Sachsens erste Biobiere & Bierbrauseminare
Christian Schwingenheuer

14. Januar 2014, 18 Uhr
„AUGUSTUS REX. Königliche Destillate“
Georg W. Schenk

20. Januar 2014, 18 Uhr
„zaffaran – Gewürzatelier & Café“. Mit Manuela Schütte, Barbara Klingenburg

23. Januar 2014, 18 Uhr
„Mrs Brown – Coffee & Chocolate“, Königsbrücker Straße 96, 01099 Dresden

27. Januar 2014, 18 Uhr
„Weingut DREI HERREN Radebeul“. Referent Prof. Dr. Rainer Beck

30. Januar 2014, 18 Uhr
Vortrag: „Der König ist Kunde. Dresdner Hoflieferanten“. Referent: Mario Kliewer

3. Februar 2014, 18 Uhr
Vortrag: „Tafeln am sächsischen Hof: Die Vermählung von Kronprinz Friedrich August 1891 und das Doppeljubiläum von König Albert im Jahr 1898“. Referenten: Marco Iwanzeck, Alexander Bergk

6. Februar 2014, 18 Uhr
Vortrag: Europäische Küche und Dresdner Tafelkultur um 1900. Referenten: Prof. Josef Matzerath, Volkhard Nebrich

1 Kommentar

  1. Mein Urgrossonkel Martin Wolf war bis 1918 Oberhofkuechenmeister am Saechsischen Koenigshof. Er lebte mit seiner Frau und Kindern bis dahin im Schloss. Seine Sohn Werner wurde mit den Prinzen erzogen und meine Grossmutter war oft im Schloss zu Besuch und als Kind zu prinzlichen Geburtstagsfeiern eingeladen. Sie wurde ueber hundert Jahre alt und hat mir oft davon erzaehlt.
    Ichschreibe einen Roman angelehnt an ihr Leben und ihr Blog kam mir unter die Haende beim recherchieren. Ich wuensche dieses Wiederauflebung der allen Kuechentraditionen viel Glueck.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*