„Barmherzigkeit geht mich und Dich an“

Landesbischof Jochen Bohl bei der Christvesper vor der Frauenkirche

Striezelmarktbaum, Frauenkirche

Jochen Bohl ist ein Mann der klaren Worte. Sie sind unmissverständlich, weswegen manchmal einige den Kopf schütteln und protestieren. Manche gehen auch – das war vor Jahren so, als der evangelische Landesbischof auf einer Christvesper derart über Armut sprach, dass es den anwesenden Reichen im schnieken Pelz vor Ärger die Kolliers schüttelte. Und das war dieses Jahr so, als Bohl unmissverständlich Stellung bezog zu den Spaziergängern, die unter dem Deckmantel des Schutzes des Abendlandes das Klima der Stadt vergiften.

Die Predigt des Landesbischofs, die er am 23. Dezember auf dem Platz vor der Frauenkirche vor rund 21.000 Menschen (darunter ganz sicher nicht nur Christen, schon gar nicht alles Kirchensteuerzahlende) hielt, steht [update: leider nicht mehr] im Netz. Hier einige Kerngedanken:

Barmherzigkeit ist eine Tugend, sie ist Ausdruck einer persönlichen Haltung, spricht von der Menschlichkeit eines Menschen, und gereicht jedem und jeder zur Ehre. Verlangen, fordern kann man sie von niemandem. Sondern nur darauf hoffen, dass es barmherzige Menschen gibt, die in dem Moment, in dem es darauf ankommt, aus freien Stücken das Gute tun, das Hilfreiche, das dem Zusammenleben dient, die Not wendet.

Bei uns in Sachsen kann nicht im Entferntesten die Rede davon sein, die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft sei überfordert. Wer anderes sagt, wie bei Pegida zu hören, schürt Ängste, für die es keinen realen Grund gibt. Aus Angst aber wächst nichts Gutes; dafür braucht es Respekt vor anderen Religionen und Kulturen. Ohne Gespräch kann das Zusammenleben nicht gelingen und für unsere Stadt hoffe ich, dass wir im neuen Jahr einen Weg finden, miteinander zu reden. Nach der Demonstration muss der Dialog kommen.

Barmherzigkeit ist noch etwas anderes als Politik, die an Recht und Gesetz gebunden ist. Sie geht mich und Dich an, und keine Instanz dazwischen.

Der Freiluftgottesdienst beginnt (nach einer musikalischen Intrada von Ludwig Güttler und seinem Blechbläserensemble) immer mit der Weihnachtsgeschichte nach Lukas, und sie endet mit dem gemeinsam gesungenen Lied Oh du fröhliche. Weihnachtsgeschichte und Oh du fröhliche bilden seit Jahren auch den Rahmen von „Weihnachten auf dem Theaterkahn“, wenn der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge Geschichten zur Weihnacht liest, begleitet von Musikern (in diesem Jahr das Michael-Fuchs-Trio).

In diesem Jahr war nicht Schluss nach dem Lied, das die 216 Gäste im Theaterkahn mitsangen oder -summten. Es gab noch was Lustiges – und was Ernstes: Die Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte. Mit Flucht, Asyl und freundlichen Gastgebern. Denn hätten die Ägypter der heiligen Familie nicht vor 2000 Jahren Asyl vor Herodes gewährt, wäre die Geschichte anders verlaufen: Kein Christentum, keine Weihnacht. Wir waren, nach einem eher heiteren als betulichen Abend, Fiete Junge sehr dankbar für dieses klare Statement – aber es gab deutlich weniger Beifall als für die Lachnummern – und auch einen Auspfeifer. So ist das derzeit in Dresden, nicht schön…

Wenn man übrigens das Große einmal runterbricht ins ganz Kleine, dann gibt es neue Geschichten. Auch solche, die ohne Glauben auskommen und daher vielleicht ein wenig griffiger sind. Zum Beispiel die drei Frauen, die nach dem zweiten Weltkrieg von Schneidemühl quer durchs Land flüchteten – bis sie in Ostfriesland landeten. Natürlich war die Frau nicht amused, die die drei Flüchtlinge in ihrem Haus aufnehmen musste. Aber irgendwie arrangierte man sich – und die jüngste der drei Frauen lernte dort meinen Vater kennen (was daraus geworden ist, liest man), während die Aufnehmende (eine Schwester meines Vaters) und die Mutter meiner Mutter beste Freundinnen wurden. Die älteste im Bunde – meine Uroma – freundete sich altersgerecht mit den „drei Tanten“ (drei Schwestern, für mich blieben sie immer ohne Vornamen) im Haus gegenüber an. So war das damals, nicht nur in Ostfriesland…

2 Kommentare

  1. Danke, Ulrich van Stipriian. Meine Mutter, aus Schlesien geflohen und mein Vater, aus den Masuren geflüchtet, erkrankten als Kriegsfolge schwer an Tuberkulose. Im Krankenhaus in Schwerin lernten meine Eltern einander kennen. Die beiden Schwerbeschädigten wurden Eltern von vier Kindern, die heute, auch beruflich, für eine bessere Welt unterwegs sind.

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