Glücklich die Stadt, die solche Weinbar hat

Eröffnungswoche der Weinzentrale von Jens Pietzonka in Dresden

Jens Pietzonka

Die Erwartungen waren groß: Wie ist sie denn nun, die neue Weinzentrale von Jens Pietzonka? Nach drei Terminen auf der Baustelle zum Palettentrinken und einer Veranstaltung unplugged (mit Apero in der Weinzentrale und Essen im Raskolnikoff) ging es am 24. August dann offiziell los. Aber nicht mit einem einfachen opening – das wäre doch zu einfach! Es kamen die ganze Woche Winzer und Köche aus ganz Deutschland, um das Ereignis gebührend zu feiern.

Gast der ersten StundeUm mal gleich mit dem Resümee anzufangen: Mit der Weinzentrale hat Dresden ganz offensichtlich einen Ort für Weintrinker (und, natürlich auch -trinkerinnen!) bekommen, den es so bislang nicht gab. Es ist nicht der einzige, wo es gute Weine gibt. Es ist nicht der erste, (wie denn auch?), wo man Winzer*innen live treffen kann. Auch andernorts ist man gut beraten und/oder hat eine gute Auswahl. Und nicht nur in der Weinzentrale geht es locker zu. Aber die Kombination und Mischung ist schon einzig – wer den Herrn Pietzonka kennt, wird das eher nachvollziehen können als die (noch) Unwissenden. „Der Jens ist ja nicht irgendwer!“ sagte mir an einem der Abende ein weit angereister Gast – und genau so isses.

Bitte trennenFlair lässt sich ja schwerlich an konkreten Dingen festmachen – aber einige tragen dann eben doch zum Gesamtbild bei. Da gibt es den Selfie Point vor der Tür als Empfehlung für die beste Position für Selbstportraits (Jens Pietzonka macht’s auf dem Eingangsbild vor), da findet sich unter dem Toiletten-Schild ein wunderbar feinsinniger Hinweis auf tunlichste Beachtung der Wein-Trennung, da gab es Buttons für die ersten Besucher als Gast der 1. Stunde. Derlei hat zwar nur bedingt was mit Wein zu tun, trägt aber zur Atmosphäre bei. Wie natürlich auch das Weinregal, durch das man die Weinbar betritt und die (bislang von den Mitgliedern des VDP leider nur spärlich bestückte) Adler-Ecke. Wenn dann mal, wie verabredet, alle mitspielen, dann wäre das ein wirklich einzigartiger Ort!

Die Drei von der WenzentraleDie nicht-dingliche Seite der Atmosphäre sind natürlich die Menschen. Und zwar die hinter wie auch die vor dem Tresen. Neben Jens Pietzonka gehören Jana Schüller im Service und Daniel Heinrich in der Küche zum festen Team – wenn’s voll wird, kommen andere hinzu. Die Drei hinter der Tankstelle treffen auf Ichweißnichtwieviele davor, die (zumindest an den ersten fünf Tagen) die erwünschte Lässigkeit und die allseits gewünschte Freundlichkeit mitbrachten. Die Open Bar ab 21 Uhr gab’s allerdings nur in der ersten Woche (damit Winzer, Köche und Service bis dahin ein wenig entspannter arbeiten konnten), ab sofort gelten dann die normalen Öffnungszeiten.

Weinzentrale 24.8Den Startschuss in die Woche gaben die beiden Weinverliebten Meike Näkel (Weingut Meyer-Näkel aus Dernau an der Ahr) und Markus Klumpp (Weingut Klumpp aus Bruchsal in Nordbaden). Die junge Familie aus den beiden Familienbetrieben macht mit der jeweiligen Familie auch eigene – und mit Hand in Hand sehr harmonische (was sonst???) – Regionen übergreifende Weine. Björn Swanson (Gutshaus Stolpe) hatte die vier Schmakazien zum Wein quasi ohne detaillierte Kenntnis der Weine vorbereitet, das blind pairing aber erstaunlich gut getroffen. Hammer-Hauptgang: Geschmortes Herz vom Lamm – dazu ein Blauschiefer Spätburgunder von Näkel. Man wusste nicht, ob man laut schwärmen oder still genießen sollte…

Weinzentrale 25.8Zwei Winzer aus zwei Anbaugebieten kann man wie toppen? Genau: Mit fünfen aus einem – Sachsen. Die Winzer der Gemischten Bude an den Flaschen und Ralf Hiener vom Raskolnikoff setzten am Eröffnungswochen-Dienstag starke regionale Akzente. Rund sechs Hektar bewirtschaften die sechs Winzer – zwischen 0,4 ha und 2 ha, wenn man es einzeln betrachtet. Dass sie sich gemeinsam vermarkten und gemeinsam auftreten, macht offensichtlich den Winzern Spaß – und bereitet den Gästen größeres Trinkvergnügen, kann man doch die unterschiedlichsten Handschriften beim Weinmachen miteinander vergleichen. Ralf Hieners Küche setzt ja stark auf regionale Produkte – Tomaten aus Pirna, Ziegenkäse aus Lauterbach, Forelle aus Rathmannsdorf, Kaninchen aus Wildenhain, Zwetschgen aus Freital – das ging alles gut mit den Weinen „von hier“. Lieblingsgang des Abends: Wildenhainer Kaninchen mit der Chimäre von Frederic Fourrée.

Olav Seidel | Fritz KellerZur Wochenmitte das persönliche Highlight: ein Abend mit Schmelz war das, als sich Olav Seidel (Gasthof Bärwalde) und Fritz Keller vom Weingut Franz Keller in Oberbergen (Baden) trafen – das zweite VDP-Weingut in der Woche. Eigentlich: wieder trafen, denn Seidel war Sous-Chef im Schwarzen Adler, dem Restaurant mit Michelin-Stern seit 1969 und Weinkarte mit 2.650 Positionen. Fritz Keller ist nicht ohne Grund ein mehrfach ausgezeichneter Winzer (die Falstaff Wein Trophy für sein Lebenswerk als Winzer erhielt er 2013 – einer der anderen Geehrten an jenem Abend war Jens Pietzonka als Sommelier des Jahres).

Weinzentrale 26.8Dass an diesem Abend Weine und Essen besonders gut zusammen passen, war abzusehen – der Gasthof Bärwalde ist weinmäßig quasi eine Außenstelle des badischen Weinguts. Den Lieblingswein des Abends gab’s übrigens nicht zum Menü, sondern danach an der Open Bar: 2012 Chardonnay Kirchberg A. Und zum Essen überraschte uns gleich eingangs beim Sächsischen Sashimi (Forelle und natürlich keinerlei Sojasauce, sondern Butter, Sahne) ein Müller Thurgau. Einen „Antisnobwein“ nannte Fritz Keller, dessen großes Ding die Burgunder sind, diesen Müller mit nur 1 g Restzucker. Und er schob nach: „Mein Lieblings-Müller Thurgau – ein Frühstückswein!“ Glücklich das Land, dass solche Weine als Frühstückswein hat!

Weinzentrale 27.8Eigentlich hatten wir für den Donnerstag ja einen Riesling-Abend erwartet, aber Philipp Wittmann vom Weingut Wittmann (Rheinhessen) baut auf den 25 bewirtschafteten Hektar zwar hauptsächlich Riesling an – aber eben nicht nur. Zum Beispiel gefiel uns (wen wundert’s?) die Scheurebe sehr gut, weil sie so wunderbar fruchtig war und alles an feiner Säue mitbrachte, was ihr die nötige Balance gab. Und das passte perfekt zur wilden Dorade mit Tomatensalat. Die hatte André Tienelt zubereitet, den viele noch als Sternekoch aus dem Restaurant Sendig in Bad Schandau kennen. Seit September vergangenen Jahres kocht er im Hotel Ritter in Durbach (Baden) und hat schon wieder den Stern. Unser Lieblingsgang: Reh mit Ketchup und Pilzen – letztere zur kleinen (oder vielleicht besser: großartigen) Geschmacksbombe püriert. Mit passendem 2011 Spätburgunder – schon gut, wenn nicht alles Riesling ist (obwohl: die Auslese zum Dessert…)

Weinzentrale 28.8Mit Schwung ins Wochenende – so soll’s in der Weinzentrale immer sein. Wie er sich das vorstellt, zeigte Jens Pietzonka schon mal: mit Markus Schneider vom Weingut Markus Schneider kam ein Schwergewicht der deutschen Weinlandschaft (mal wieder) nach Dresden. Was ihn mit der Stadt und Jens Pietzonka vereint: der Sommelier war einer der ersten, der ihm – dem damals noch unbekannten Winzer aus Ellerstadt in der Pfalz – Wein abnahm. Sowas verbindet, und aus dem unbedeutenden ist mittlerweile ein über Deutschland hinaus bekannter Meister des Trinkflusses geworden. Einige seiner Weine sind manchmal was für den breiten Geschmack, andere wiederum polarisieren. Trinkbar sind sie immer, wie wir beim köstlichen Essen aus der Küche feststellen durften, in der die Gewinnerin der ZDF Küchenschlacht, Heike Heinze, werkelte. Wie immer gab’s einen Lieblingsgang: eine wunderbar scharfe Gurken-Gazpacho mit Panko-Garnele – und dazu einen dieser Weine mit lustigem Namen, die das Markenzeichen des (frühen) Markus Schneider waren. Der Hullabaloo ist (in diesem Jahr) eine Cuvée aus Sauvignon Blanc und Viognier – manchmal ist auch noch Chardonnay drin. Wie war das noch mit dem Trinkfluss? Genau.

DJane Curly / Kristina MayAm Freitag soll’s mit Schwung ins Wochenende gehen – das ist der Plan. Wie das in der Weinzentrale funktionieren könnte, erlebten wir am letzten Tag der Eröffnungswoche. DJane Curly Kristina May sorgte für den richtigen Groove. Und der run auf die Bar setzte nicht nur wegen der zusätzlichen Schneider-Weine (darunter auch der Blackprint) ein, sondern vor allem auch wegen des erstmaligen Restesaufens. Was sich dahinter verbirgt? Ganz einfach: Alle im Laufe der Woche geöffneten und nicht ausgetrunkenen Flaschen kommen auf die Theke – und jedes Glas daraus kostet 3 Euro, egal wie hochwertig der Wein ist. Wer sich auskennt, kann sich da manch Schnäppchen ertrinken. Glücklich die Stadt, die solche Weinbar hat…

Restesaufen

Weinzentrale
Hoyerswerdaer Straße 26
01069 Dresden

Tel. +49 178 6048718
www.weinzentrale.com

Öffnungszeiten:
Mo bis Do ab 15 Uhr, Fr ab 12 Uhr.
Montags alle Weine im offenen Ausschank, Freitags ab 22 Uhr Restesaufen

[Besucht am 24./25./26./27./28. August 2015]

Hinweis: Jens Pietzonka und ich sind befreundet – und einige der Abende wurden (teilweise) in der Währung Wein gegen Fotos bezahlt. 

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