Auf den Spuren der Nuraghen

Nuraghe Ardasài

Es gibt sie quasi überall auf Sardinien – man sieht sie allerdings nicht immer: Nuraghen, über 3.000 Jahre alte Türme. Es gibt sie so nur auf Sardinien, dort aber reichlich. 10.000 sollen es mal gewesen sein, von denen immerhin noch 7.000 (andere Quellen sagen: 8.000-9.000) stehen – wenn auch mehr oder weniger unkomplett. Aber egal wie zerstört sie sind: sie üben eine eigentümliche Faszination aus.

Nuraghe Sellersu_5292„Es ist ein magischer Ort!“ sagte unser Begleiter Mauro, der uns zusammen mit seinen Freunden Cinzia und Marco den Nuraghen Sellersu zeigte. Viel sieht man nicht mehr, die Nebentürme sind kollabiert und haben den Hauptturm mit verschüttet – aber so kommt man recht bequem hoch und kann von oben rein sehen. Beim Drumherum des Turms sehen die Archäologen mehr als es sich uns offenbart – laut Plakat die Reste von fünf kleineren Nebentürmen und zahlreichen Hütten. Dafür fehlte uns bei diesem Komplex die Phantasie. Aber da man hochkraxeln und in den Hauptturm mit seinen acht Metern Durchmesser hineinsehen kann, ist das, bei aller Magie, natürlich auch ein guter Ort zum spitzenmäßigen Lernen. Marco, der als unser guida locale bei dieser Nuraghe fungierte, erzählte uns von der Geschichte der Nuraghen – und erklärte die Landschaft drumherum. Denn eins hat man fast immer von den alten Türmen: eine ausgezeichnete Aussicht. In diesem Fall über die Bucht von Cea in die eine Richtung und in die Berge in die andere- Außerdem: „Von jeder Nuraghe siehst Du mindestens drei andere!“ lernten wir – die Türme wurden, schon vor dreitausend Jahren, zur Kommunikation über weite Strecken genutzt.

Nuraghe S'Ortali e su MontiWir sahen keine anderen Türme, obwohl es Fingerzeige in die eine oder andere Richtung gab – was aber auch daran liegen kann, dass sie die volle Höhe nicht mehr haben, es um sie herum aber oft nett grünt. In 3.000 Jahren wächst ja viel… Und auch den Nuraghen S’Ortali e su Monti erkennt man aus der Entfernung inmitten von Büschen und Bäumen nur schwer – obschon, wenn man dann nah dran ist, das alles sehr licht aussieht. S’Ortali e su Monti ist nicht frei zugängig, sondern bewacht, der Eintritt von drei Euro für den gesamten archäologischen Komplex auf dem Granithügel oberhalb des Küstenabschnitts von Orri (bei Tortoli) mit Nuraghe, Gigantengräbern und einem Domus de Janas, einem Felsengrab aus der Zeit vor dem Nuraghenzeitalter, geht durchaus in Ordnung.

Nuraghe S'Ortali e su MontiDomus de Janas – was ist denn das schon wieder? Das sind Felsengräber aus der Zeit vor der Nuraghenkultur – äußerlich unspektakulär, aber es gibt ja ein Hinweisschild! Wörtlich übersetzt bedeutet Domus de Janas „Häuser der Feen“. Über 4.500 solcher Gräber hat man auf Sardinien schon gefunden, und Archäologen entdecken immer wieder welche (neue wäre sich nicht das richtige Wort – immerhin stammen die ältesten aus der Mitte des 4. Jahrtausends vor Christi Geburt!). Manche Grabanlagen sind so groß, dass die italienische Wiki-Seite von einer veritablen Nekropolen U-Bahn spricht – bei S’Ortali e su Monti handelt es sich aber nur ein ein einfaches Grab. Die Nähe zur Nuraghe ist kein Zufall: Die Nuraghensiedlung wurde zwischen der mittleren und späten Brozezeit (1400–1300) über der bereits bestehenden jungsteinzeitlichen Siedlung mit dem Domus de Janas errichtet.

Nuraghe S'Ortali e su Monti Nuraghe S'Ortali e su MontiBeeindruckender ist da schon das Gigantengrab, das rund 150 Meter südlich der Nuraghe zu finden ist und ebenfalls aus der pränuraghischen Zeit stammt. Es gibt Gigantengräber mit und ohne Portalstelen – dieses hier hat einen wunderbaren zentralen Verschlussstein, hinter dem das Grabgelege ist – natürlich unbewohnt… Aber die Dimension kann man gut erkennen, wenn man sich die Anlage von hinten ansieht. Was man von dort auch im Hintergrund erkennt, sind zwei geschätzt drei Meter hohe Menhire. Hinkelsteine nannte Obelix, der Welt bekanntester Hinkelstein-Lieferant, diese Teile – bei den Sarden heißen sie perdas fittas. Was uns hier schon auffiel, war die besondere Form der Grabanlage: Die vordere Reihe der Steine beschreibt einen Kreisbogen (bzw. einen Teil dieses Bogens), es macht alles einen streng geometrischen und aufgeräumten wie auch gut proportionierten Eindruck.

Francesco Manca im Bosco SeleniDas Gefühl hat uns nicht getäuscht, denn beim Besuch des archäologischen Parks Bosco Seleni hatten wir mit Francesco Manca einen erfahrenen Begleiter dabei. Der erklärte uns nicht nur die Anlage, sondern auch die Formensprache einzelner Teile. Heilige Quellen, von denen es zwei in dem Gebiet gibt (die wir aber nicht sahen) hätten eine eindeutige Form, meinte Francesco: sie seien der Vagina nachempfunden. Die Brunnen seien auch mit den Mondphasen verbunden – bei Vollmond würde das Mondlicht exakt durch ein Loch in der Anlage scheinen. Und da der Zyklus der Frauen mit dem Mond verbunden sei, sei das alles sicher kein Zufall.

Bosco SeleniDer archäologische Park liegt im Bosco Seleni, einem Wald aus beeindruckenden Steineichen und Kastanien in etwa 1000 Metern Höhe. Im Abstand von nur 80 Metern sind hier zwei Gräber erhalten – eins aus dem fünfzehnten Jahrhundert vor Christus und das andere aus dem vierzehnten Jahrhundert vor Christus. Das ältere Grab ist mit einer Stele versehen. Die Form der Gräber in der Draufsicht könnte mit einem Bullenkopf verglichen werden – für unseren guida ganz klar das Zeichen für Männlichkeit und somit das Pendant zum Heiligen Brunnen. Die bei Ausgrabungen gefundenen Materialien stammen aus der Bronzezeit und mittleren Bronzezeit (1660 vor Christus bis 900 vor Christus). Einige der hier gefundenen Bronzen sind im Archäologischen Nationalmuseum von Cagliari ausgestellt.

Nuraghe ArdasàiDer Nuraghe Ardasài liegt weiter im Landesinneren, er gehört zum „Parco Archeologico di Ardasài“ in der Kommune Seui. Wir waren mit dem Auto unterwegs quer durch die Wälder und kamen kurz vor Sonnenuntergang an – eine sehr gute Zeit, um die Magie des Ortes ein wenig in sich aufzunehmen. Allerdings wehte ein lausig frischer Wind, was der Magie ein wenig Abbruch tat. Der Komplex besteht aus einem Hauptturm, der mal höher war – die oberen Etagen sind abgebrochen. Man erkennt Reste einer Mauer und von Rundhütten. Grandios ist die Aussicht rundherum.

Nuraghe Ardasài

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