Ein Grab für drei

Das Königsgrab von Seddin

Königsgrab von Seddin

Du kommst hin und siehst, das Du nichts siehst. Also nichts Außergewöhnliches, denn ein bewaldeter Hügel in der Landschaft kann ja schon mal vorkommen. Wenn man aber ein wenig rumkraucht und den richtigen Wegen folgt, steht man vor dem „Königsgrab“. Es gilt als die bedeutendste Grabanlage des 9. Jh. vor Christus im nördlichen Mitteleuropa – nicht nur, weil es so groß ist, sondern auch wegen der besonderen Konstruktion des Grabhügels und der großen, lehmverputzten und bemalten steinernen Grabkammer mit ihrer reichen Grabausstattung.

Dieses Grab, das scheint klar, gehörte jemandem aus der Seddiner Oberschicht. Und die war, um das modern auszudrücken, gut vernetzt, nicht nur in der nahen Umgebung, sondern durch Handel europaweit. Vor 3.000 Jahren!

Königsgrab von SeddinWoher man das weiß? Die Grabbeigaben lassen diesen Schluss zu: Von den 41 Objekten ist vor allem eine bronzene Amphore bemerkenswert. Nicht, weil sie sehr wahrscheinlich, bevor sie als Urne ihrer Endbestimmung zugeführt wurde, den Herren zu Seddin als Mischgefäß für alkoholische Getränke diente. Spannend ist vielmehr, dass die nur elf noch erhaltenen Amphoren aus der Zeit in einem weiten Raum zwischen Italien und Dänemark gefunden wurden und die Fachleute bislang den Raum Ungarn/Rumänien als Herstellungsort vermuteten. Die in Seddin gefundene (wie auch eine weitere, nicht fernab bei Herzberg im Landkreis Ostprignitz-Ruppin entdeckte) Amphore scheint jedoch homemade zu sein. Keine Vermutung, sondern Gewissheit, gibt es beim Vergleich der beiden dekorierten bronzenen Gefäße, die mit einem Laserscanner exakt vermessen wurden. Dabei stellte sich ein unerwartet hoher Grad an Übereinstimmungen heraus. Abgesehen vom größten Durchmesser der Gefäße stimmen alle anderen Werte nahezu perfekt überein. Vieles spricht dafür, dass beide Stücke vom selben Bronzeschmied getrieben wurden oder dass sie zumindest aus einer Werkstatt stammen.

Königsgrab von SeddinAn dieser Stelle sollte, angesichts so viel hehrer Forschungsergebnisse, der Eingang zu diesem Text vielleicht relativiert werden: ein bewaldeter Hügel in der Landschaft könne ja schon mal vorkommen, hatte ich geschrieben. Theoretisch stimmt das ja auch – aber praktisch sind in dieser Gegend eigentlich gar keine Hügel vorgesehen! Dieser hier ist nämlich künstlich errichtet und war ursprünglich zwischen neun und zehn Meter hoch. Ein Kreis mit einem Durchmesser von ca. 61,5 m bildete die Basis. Große Findlinge markierten den Rand einer etwa 3.000 m² großen Fläche. Große Findlinge auf einem Kreisumfang von etwa 193 Meter – die muss ja auch erst einmal jemand dahin schleppen (nicht vergessen: vor 3.000 Jahren)!

Erstaunlicherweise fanden die Grabbauer dann den Mittelpunkt nicht – oder bauten die 1,55 Meter hohe steinerne Grabkammer mit ihren 2,10 Metern Durchmesser rund neun Meter südöstlich davon. Vielleicht hatten sie ja auch einen Grund, das zu machen – aber den kennt man nicht. Auch unklar ist, woher das Material stammt für das, was nach dem Bau gebraucht wurde: da wurde nämlich die Grabkammer mit dem Hügel überhaupt, den man heute (zumindest in Teilen) noch sieht. Mindestens vier Schichten aus Sand hat man genommen, die jeweils mit Steinen abgedeckt waren. Faust- bis melonengroß waren die. Wie viele es waren, kann mal jemand ausrechnen, der sich mit sowas auskennt (irgendwo habe ich gelesen, dass etwa 150 Arbeiter ein Jahr lang beschäftigt gewesen sein müssten, um den großen Grabhügel mit dem umlaufenden Steinkreis auf ebenen Boden zu errichten“! Die oberste Steinschicht war übrigens Ziel der Steingewinnung im 19. Jahrhundert, die zumindest ein Gutes hatte: ohne die Buddelei wäre das Grab nicht gefunden –  zwei Arbeiter fanden die intakte Grabkammer am 16. September 1899 bei der Steingewinnung.

Im Museum von PerlebergDie zwei Männer sind ehrliche Häute, sie nehmen zwar was aus dem Grab, aber nicht für sich. Sie bringen sie zum verantwortlichen Denkmalpfleger, der die Grabkammer sofort polizeilich bewachen lässt und den Direktor des Märkischen Provinzialmuseums, Ernst Friedel, informiert: „Heute in Seddin Hühnengrab, volksthümlich Kaisergrab genannt, aufgedeckt. Sehr inhaltreich an Urnen und Bronzegefäßen. Könnt Ihr morgen kommen. Dr. Heinemann“. Friedel kam, sah und kaufte: für 120 Reichsmark – ein Schnäppchen. Im Grab fand man insgesamt 41 Gegenstände, darunter zentral in der Mitte natürlich die tönerne Urne, in der sich die oben erwähnte bronzene Amphore mit der Asche eines eingeäscherten Mannes befand. Zwei weitere Urnen enthielten die Asche zweier Frauen.

Vor der tönernen Urne standen zwei weitere Gefäße, deren Inhalt als die Überreste zweier ebenfalls im Feuer bestatteter Frauen identifiziert wurde. Diese Gefäße sollen ebenfalls zahlreiche Metall- und Schmuckgegenstände enthalten haben. Ein Bronzeschwert steckte den Berichten zufolge im Boden der Grabkammer. Ein interessantes Setting… Kopien der Gegenstände kann man in Perleberg besichtigen – das dortige Stadt- und Regionalmuseum widmet sich in einer sehenswerten Dauerausstellung der Bronzezeit in der Prignitz.

 

Hinweis:
Der Besuch fand statt im Rahmen einer Pressereise des Tourismusverband Prignitz e.V. im September 2016 zur Vorstellung der Marke „Zeitschätze Prignitz – Zentrale Archäologische Orte“.
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