Alberello: Bestes Training für die Weinreben

Besuch in der Tenuta di Castellaro auf Lipari

Korken

Wir stehen auf der Terrasse der Tenuta di Castellaro mit Blick Richtung Sonnenuntergang, den man hier unterhalb von Quattropani auf der Äolen-Insel Lipari fast allabendlich genießen kann – mit Blick auf Alicudi, Filicudi und Salina. Fast, denn an diesem Abend genießen wir die Nachwehen des Scirocco, der aus Süden blies und neben Wärme auch reichlich Sandstaub mit sich führte. Und so galt für den schönsten aller Sonnenuntergänge: Gone with the wind.

Den Nahbereich jedoch erkennen wir – eine Versuchsfläche. Drei Jahre jung, also noch nicht im Ertrag. Derzeit sind Catarratto & Co. noch im Training. Sie lernen vor allem, mit wenig Wasser auszukommen, mit rund 500 mm Niederschlag im Jahr – und der kommt auch nicht großartig verteilt, sondern hauptsächlich während drei Monaten im Winter.

Simone InterdonatoMan bräuchte Wasserspeicher! Also buddelt man sie in den Vulkanboden, zwanzig Zentimeter tief. Ein Loch pro Pflanze, also für alle Pflanzen des Weinguts 90.000 Löcher. Aus der Serie: „…wenn man die untereinander stapeln täte“ ergäbe das ein Loch von 3,6 Kilometern Tiefe. „500 solcher Löcher schafft ein Mann an einem Tag – wenn er gut drauf ist!“ sagt Simone Interdonato, der seit einem Jahr als Önologe in der Tenuta di Castellaro am nordwestlichen Zipfel der Insel Lipari arbeitet und selbstverständlich mitbuddelt. Zu zwölft sind sie, auch da kann man Statistik betreiben: wenn alle immer gut drauf sind, sind sie in 15 Tagen durch. Damit es nicht zu eintönig wird und die Erziehung der Reben zum tieferen Wurzeln auch klappt, nutzen die Weinbauern die Gelegenheit gleich, die bodennahen Wurzeln zu kappen: runter immer, oben nimmer. Drei Monate Regen – und den Rest des Jahres? Lebt man als Wein vom Tau. Der Abendnebel kommt und bringt Flüssigkeit mit sich. Ein Labsal für die Pflanzen, wenn’s ums Überleben geht.

Aber eigentlich ist es alles Erziehungssache. Alberello nennen die Italiener die Technik, bei der die Weinrebe wie ein Baum (nun gut: ein kleiner Baum – ein Busch vielleicht) steht und wächst und, wenn alles klappt, am Ende des einjährigen Zyklus genau eine Flasche Wein ergibt. Die Faustregel 1 Pflanze = 1 Kilo Trauben = 1 Flasche Wein haut aber nicht immer hin. Malvasia di Lipari oder Corinto Nero, die inseltypischen Rebsorten, schaffen nicht so viel. „Eine Traube wiegt vielleicht 80 Gramm, das ist dann selbst bei zehn Trauben am Rebstock nicht ausreichend für unser selbst gestecktes Ziel!“ sagt Simone.

„Albarello ist die beste und älteste Trainingsmethode der Welt. Wenn dies weltweit verwendet würde, verschwindet die Pilzerkrankung. Andere Ausbildungssysteme sind für Chemikalien und Maschinen“, behauptet Salvo Foti, einer der Protagonisten guter Weine rund um den Ätna und als Agronom und Önologe für die Tenuta di Castellaro ein wegbereitender Geschmacksgeber. Salvo Foti hat eine alte Winzergemeinschaft auferstehen lassen: I Vigneri. Erstmals 1435 in Catania im Schatten des Ätna als Gilde der Weinbauern gegründet, ist es jetzt eine kleine Gemeinschaft von sechs Qualitätsfanatikern, die sich auf die Tradition besinnen und ihren Wein mit viel Respekt produzieren – Respekt vor der Umwelt und den Menschen, Respekt auch vor dem Wissen der Vorfahren. Es versteht sich fast von selbst, dass nur einheimische Reben angebaut werden – terroir ist eben mehr als Erde. I Vigneri muss man als lockeren Verbund, als Qualitätsgemeinschaft der Winzer verstehen, wobei jedes der mitmachenden Weingüter seine Identität behält. Dass ein Weingut zum Verbund gehört, erkennt man an den Weinflaschen: das Erkennungszeichen ist das Relief mit dem Symbol des Konsortiums, der Bäumchenrebe.

„Das Terroir ist einzigartig hier!“ begeistert sich Simone, es mache den Geschmack des Weins aus. Seine Aufgabe als winemaker sei eigentlich nur, aufzupassen, dass nichts passiert. Geerntet wird von Hand in 16-Kilo-Boxen. Weit haben die Trauben es nicht, die Weinberge liegen direkt am Weinkeller. „No stress!“ Die Entdeckung der Langsamkeit ist eh prägend für den Wein der Tenuta di Castellaro. Der Weißwein fermentiert 20-25 Tage. Langsam, fürs Aroma. „I am obsessiv by taste!“ – Ich bin besessen vom Geschmack! Auf dem guten Ruf des Weinguts ausruhen mag Simone sich nicht. „Wir können nur besser werden!“ lautet die Devise – und dazu gehöre, den Ort und die Pflanzen zu verstehen. Was dann eben auch bedeutet, nicht nur die Weinlage zu betrachten, sondern auch die einzelnen Parzellen und ihre Rahmenbedingungen.

Wein und Architektur

Der Bau der modernen tenuta wurde 2013 begonnen. Von den 2.000 qm sieht man kaum was, fast alles ist unterirdisch angelegt. Das macht sich gut, wenn man nur mit der Schwerkraft und ohne Pumpen arbeiten möchte. Die Besucherterrasse ist zur Erntezeit Teil des Weinkellers: von hier aus fließt der Rebensaft in die Fässer zur Gärung. Dann kommt der Wein in die Fässer, 80 % in Stahl, der Rest für vier Monate in altes Holz („neue Holzfässer wären zu kräftig im Geschmack!“). Vor allem der Carricante braucht das Holz, um Struktur zu kriegen. Die Rotweine gären ebenfalls im Stahl, liegen 7 bis 10 Tage in der Schale, dann wird abgepresst. 18 Monate mindestens reift der Wein in Eichenfässern aus französischer Eiche, die medium toasted sind und auf dem Weingut sechs bis sieben Jahre genutzt werden). „So weit es geht, arbeiten wir natürlich – wir filtern allenfalls beim Füllen, um den Wein in den Flaschen haltbar zu machen“, sagt Simone.

Die Spezialität der Äolischen Inseln ist der Malvasia di Lipari – der übrigens auch auf Salina so heißt, was man dort nicht wirklich toll findet. Der Malvasia der Tenuta wächst im Süden der Insel unterhalb des Observatoriums, gegenüber der Insel Vulcano. Um den süßen Malvasia di Lipari herzustellen, trocknen die Trauben zwei Wochen und verlieren dabei 60-70% ihres Gewichts. Anschließend knipst rund ein Dutzend Frauen die Beeren ab. Einzeln – „eine delikate Arbeit, zu delikat für grobe Männerhände“ erklärt Simone schmunzelnd. Die derart selektierten Trauben werden leicht gepresst – „ein goldener Saft kommt da raus!“ schwärmt Simone. Dieser Saft kommt für zwei Jahre in Eichenfässer und wird sich selbst überlassen. Es sei „so eine Art wilder Gärung“, erfahren wir – wobei wild auch der Ablauf ist. Mal gärt’s für zwei Tage, dann wieder nicht, um dann nochmal loszugehen. Am Ende wird’s gut und schmeckt!

WeinkellerBeim Gang durch den Keller fallen einige Dinge auf, die eher ungewöhnlich sind. Der Architekt ist Michele Gianetti (dalpiaz-gianetti architekten), er kommt aus einem Dorf bei Montalcino in der Toskana und lebt in Hamburg, Eine Sache sieht man sofort – bzw. man sieht, dass da was irgendwie anders ist und fragt sich vielleicht, warum die Pfeiler im Keller so eine merkwürdige Färbung haben? Das ist, erfahren wir, Erde. Erde an und im Beton. Wie es dazu kam, entnehmen wir der Webseite der Architekten: „Um eine entsprechende Stimmung beim Neubau zu erzeugen, wurde eine neue Bauweise entwickelt. Die Gewölbedecken und die Stützen werden direkt in die Erde, als Schalung, modelliert. Anschließend wird ein spezielles Gemisch aus Beton in die Schalung gegossen, welches sich mit der Erde vermischt. Nach Verfestigung des Betons werden die Stützen und die Decken ausgegraben. Dieser Prozess verleiht dem Gebäude eine einmalige Farbigkeit und die organische Form eines Unikates, das aus den lokalen Gegebenheiten entstanden ist, ähnlich wie der dort hergestellte Wein.“ (Im Original ist alles klein geschrieben, hier der besseren Lesbarkeit halber angepasst.)

LichtschachtWas man auf dem Bild mit den Säulen auch sieht, sind helle Lichtpunkte oben an der Decke: da kommt das Tageslicht durch. Im Weinberg finden sich die Gegenstücke, kleine gläserne Kuppeln. „In den vielen bewohnten Höhlen der Insel betritt das Licht den Raum durch kleine Öffnungen und erzeugt so eine Stimmung, die für Lipari sehr charakteristisch ist. Die thermische Masse und der geringe Öffnungsanteil dieser Bauwerke tragen zur natürlichen Klimatisierung der Räume bei“, schreiben die Architekten auf ihrer Webseite. Aber sie lernten nicht nur von der Umgebung, sondern gaben der Sache noch einen Pfiff: bewegliche Spiegel in den Kuppeln sorgen dafür, dass immer eine maximale Lichtausbeute in den Keller geleitet wird.

Was man nicht sieht, aber ebenfalls in die Kategorie pfiffig gehört: Der auf den Inseln stets wehende Wind wird ebenfalls zur Klimatisierung des Kellers genutzt. Der Wind wird in einem Turm auf der Terrasse gefangen, geht ins Labyrinth, kühlt dort ab und belüftet so den Keller. Das letzte Bild der Projektseite verdeutlicht das in einer Skizze.

Wir probierten drei Weine

Simone InterdonatoPomice, der Spitzen-Wein unter den Weißen. 40% Carricante und 60% Malvasia (der aber normal ausgebaut, das gibt die Traube her, sogar sehr gut). „Eleganz statt Kraft!“ ist das Ziel des Önologen, das hat er mit dem 16er schon mal ganz gut umgesetzt. Wir riechen Ginster, der hier allgegenwärtig ist – Simone ergänzt: Kapernblüte. Da können wir nicht mitreden, die müssen wir uns erst noch erschnüffeln (die Blütezeit beginnt noch). Der Carricante bringt tiefe Mineralität mit, und wir schmecken Salz (nicht nur beim Weißen). Wein sei für uns ja meist ein Essensbegleiter, sinnieren wir – und sind uns einig. Wozu der Pomice passen würde? „Thai-Food!“ schlägt Simone vor, womit wir uns gut arrangieren könnten und gleich mal Hunger bekommen…

Einen Rosé gibt’s auch im Angebot, allerdings sei der Rosa Caolino eher „a joke for us“ – weil der Besitzer Massimo Lentsch und er gerne Rosé trinken. 3.000 Flaschen gibt es lediglich, die Sorten Corinto und Nero d’avolo sind im Verhältnis 60:40 drin. Vier Stunden Maischezeit reichten für die helle Farbe dieses eher maskulinen und komplexen Rosé, der erfreulicherweise so gar nicht nach Kaugummi schmeckt. Deutlich merken wir Tannine im Mund, schmecken natürlich rote Früchte – und wieder Salz!

Ossidiana heißt der Rote des Weinguts. Wir probierten nicht den aktuellen Jahrgang, sondern einen aus dem Jahr 2008, der freilich erst 2015 auf Flasche gezogen wurde. 2008? War das nicht lange vor dem Bau des jetzigen Kellers? Stimmt. Der Wein ist in Chiaramonte Gulfi (Ragusa) auf Sizilien vinifiziert und auch auf Flaschen gezogen.

Wir riechen Feigen, Aprikosenmarmelade – Simone auch Hopfen. Da fehlt uns mal wieder der Vergleich. Aber im Mund, da sind wir uns einig, spüren wir die Tannine – nicht aggressiv, sondern gut eingebunden als Teil der Textur. Ansonsten schmeckt er erstens gut (was ja das wichtigste ist!) und zweitens nach all dem, was rund um den Wein wächst. Leider sind die alten Weine ausverkauft – und die neuen eigentlich noch zu jung, um ihn jetzt schon zu trinken. Aber der Markt, da ist es auf Lipari nicht anders als anderswo: der Markt! will! den! neuen! Wein! haben!

[Den Wein und den Besitzer des Weinguts, Massimo Lentsch, hatten wir 2014 bei einem Event mit Weinverkostung in Lipari kennen gelernt, siehe dazu den früheren Beitrag]

Tenuta di Castellaro
Via Kaolino sn
98055 – Lipari (ME)

T +39 035 233337
M +39 392 4860364
www.tenutadicastellaro.it

[Besucht am 12. Mai 2017]

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