Im Namen der Windrose

Eolo

Wenn einer gut blasen kann, dann ist es der junge Eolo. Mal bläst er warm von unten, mal stürmisch von oben. Anderntags kommt er von links, dann wieder von rechts. Eolo, der Gott des Windes, ist ein rastloser Blaser. Die Bewohner der Äolischen Inseln – der Isole Eolie –, die nach ihm benannt sind, wissen sehr wohl zu unterscheiden, woher der Wind bläst und was das dann für ihren Alltag bedeutet.

Die meist kräftigen und vergleichsweise kalten Winde aus dem Nordwesten sind die Maestrale. Die mögen die Inselbewohner gar nicht, denn wenn die Wellen zu hoch werden und sich gar Schaumkronen bilden, dann kommen keine Schiffe mehr. Und wenn keine Schiffe mehr kommen, dann bleiben nicht nur Touristen aus (was nur bedingt schlimm ist: die auf der Insel verweilenden kommen ja auch nicht weg, das hatten wir schon mal auf Alicudi) – nein, schlimmer ist: der Nachschub an vielen Dingen des Alltags fehlt. Obst, Gemüse, Wasser, Brot kommen nämlich meist mit dem ersten Aliscafo auf die kleineren Inseln, wo es mit der Selbstversorgung für die wenigen Einwohner zwar klappen würde, aber nicht für die vielen Gäste.

Scirocco auf Lipari

Auch nicht wirklich angenehm ist der Scirocco, der heiß aus dem Südosten bläst und – weil in der Sahara entstanden – gerne mal frischen Wüstensand mit sich schleppt. Die Luft ist dunstig und changiert, je nach Sandanteil, von milchigweiß bis gelb. Die Sichtweite ist gering, aber die Hand vor Augen war schon noch zu identifizieren. Während der beiden Tagen, an denen uns der Scirocco blies, ergaben sich dafür wunderbar schleierhafte Aussichten aufs Meer und die Schemen der Nachbarinseln. Wasser und Himmel gingen nahezu nahtlos ineinander über, die sich mühsam durchbeißende Sonne schuf ein extrem weiches Licht, was durchaus nicht unspannend war. Ob die mit den drei Kreuzfahrtschiffen Artania, Costa Riviera und Sea Cloud II an diesem Tag angekarrten (angekarrt? Nein! Angeschifft? Klingt auch komisch. Vielleicht herbei geschafften!) Landgänger mit der Wetterlage glücklich waren? Man weiß es nicht. Irgendwie trotten die Kreuzfahrer eh immer eher lethargisch hinter dem ihnen voranlaufenden Schild mit Stadtführerin drunter her.

Kreuzfahrer guckenDie beobachtete Schlendrigkeit mag natürlich auch am warmen Wind gelegen haben. Und daran, dass wir im Restaurant La Combusa die Gruppe von einem lauschig-schattigen Plätzchen mit einem Glas kalten Weißwein in der Hand beobachten konnten, wie sie den enormen Höhenunterschied vom Landungspunkt bis zum Restaurant (immerhin rund 25 Höhenmeter!) schnaufend hinter sich bringen mussten. Die Ärmsten: der Burgberg, der immer zur „flott-flott-wir-haben-doch-keine-Zeit-Tour“ gehört, liegt veritable 37 Meter hoch! Da bleibt, wenn die Kreuzfahrer kommen, kaum Zeit für großartige Geschäfte. Lediglich die Souvenirläden direkt an der Laufroute können profitieren und den schnellen Euro machen. Vor allem natürlich, wenn die local guides den Laden empfehlen und extra anhalten…

Zurück zu den Winden. Sie haben es Odysseus schon nicht leicht gemacht – wobei: eigentlich waren es nicht die Winde, sondern seine Mitreisenden. Odysseus hatte seine Irrfahrt auf die Insel Äolia verschlagen, auf der Äolos („ein Freund der unsterblichen Götter“ mit Frau, sechs „blühenden“ Söhnen und sechs „lieblichen“ Töchtern wohnte. Die Töchter hatte er übrigens, gemäß der Devise incest is a game the whole family can play, „den Söhnen zu Weibern gegeben“. Aber derlei Familienplanung soll uns hier nicht weiter beschäftigen, bei den griechischen Göttern und ihren Freunden ging’s ja eh immer recht großzügig zu. Dafür wurde aber auch Gastfreundschaft groß geschrieben: einen Monat bewirtete Äolos Odysseus und die Seinen und gab dem Held der Sage auch noch ein praktisches Abschiedsgeschenk mit auf den Weg: Einen Sack voller Winde. Homer schreibt: „Und er gab mir, verschlossen im dicht genäheten Schlauche / Vom neunjährigen Stiere, das Wehn lautbrausender Winde.“ Odysseus knüpfte den Schlauch im Schiffsleib fest, so „dass auch kein Lüftchen entwehte“. Doch schon zwanzig Zeilen später im Zehnten Gesang der Odyssee „siegte der böse Rat der Genossen; / Und sie lösten den Schlauch, und mit einmal entsausten die Winde. / Plötzlich ergriff sie der Sturm… /… …und es warf der Orkan aufbrausend die Schiffe / Nach der äolischen Insel zurück; es seufzten die Männer.“ Was allerdings nicht viel half: ein zweites Mal wollte Äolos nicht helfen, die Irrfahrt des Odysseus ging weiter.

Windrose in Malfa

Eolo, wie man auf den Isole Eolie den Windgott nennt, ist allgegenwärtig. In Malfa, der Inselhauptstadt von Salina, ist auf der Piazza Immacolata vor der gleichnamigen Ortskirche eine platzfüllende Windrose abgebildet, Namen der entsprechenden Winde inklusive. Da kann man (am besten ein Eis aus der Gelateria von gegenüber schleckend) gleich mal die passenden Begriffe lernen. Wer nicht in Malfa ist, findet die Windrose auch andernorts, wenn auch nicht in so imposanter Größe (und schon gar nicht mit Eisdiele gegenüber). Keramiken, meist an Wänden, manchmal auch im Boden eingelassen, erinnern an Eolo mit seinen acht umlaufenden Winden…

Windrosen

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