Spaghetti im Restaurant am Ende der Welt

Unser Sieger in der Kategorie "Bestes Restaurant in verlassenen Dörfern": Zucco Grande

Zucco Grande

Auf nichts kann man sich mehr verlassen. Nicht mal verlassene und aufgegebene Dörfer sind das, was sie mal waren. Sie geben den morbiden Charme des Verfalls auf – zu Gunsten von Wiederentdeckungen.

Capo GrazianoFilicudi, die geologisch betrachtet älteste Insel des Archipels der Isole Eolie, der Äolischen Inseln nördlich von Sizilien, hatte mal 3.000 Einwohner – jetzt sind es im Winter nur 150. Ganze Dörfer wurden auf- und dem Verfall Preis gegeben. Die Insel ernährte die Filicudari nicht mehr, sie wanderten aus nach Australien oder in die beiden Amerika.

Weg nach Zucco GrandeZucco Grande ist so ein Dorf, gelegen an der nordöstlichen Ecke der Insel. Auf dem Weg dahin fragt man sich freilich nicht, warum das Dorf aufgegeben wurde, sondern warum es überhaupt einmal da war? Man geht den sentiero, den Pfad, von Val di Chiesa etwa zwei Kilometer immer an der Küste lang. Als wandernder Tourist ein Traum, mit fantastischen Blicken übers Meer, mit einer abwechslungsreichen Vegetation – also reichlich Hach-Momente und für die Fotografen viele Klicks.

Aber wenn man da wohnt, sieht das natürlich anders aus. Rund 300 Einwohner lebten und arbeiteten ehemals in Zucco Grande. Landwirtschaft war ihr Ding, denn Zugang zum Meer gibt’s nicht, die Küste der Vulkaninsel fällt fast überall steil ab ins Meer. Wein und Mehl fürs Brot gediehen – was braucht man mehr?

Machen wir uns nichts vor: Es war ein hartes und sehr sehr einfaches Leben auf den Inseln. Strom hat Filicudi erst seit 1989, und dass eine sieben Kilometer lange Straße die wichtigsten Ortschaften der Insel verbindet, gehört ebenfalls zu den neueren Vergnügungen. Aber längst nicht jedes Haus ist angeschlossen, die alten Wege werden noch gebraucht.

Zucco Grande: renoviertNach Zucco Grande führen nur Pfade, erstaunlich gut erhaltene sogar. Wanderer sind willkommen – nicht nur unterwegs, sondern auch am Ziel. Dort begrüßt uns fröhlich lachend ein Mann mit rotem Käppi, roten Hosen und blauem Shirt. Fernando, piacere. Er steht in einem der alten Häuser, das neu hergerichtet ist. EU-Gelder hat’s dafür gegeben, erzählt er und zeigt uns das vorläufige Ergebnis. Alles Handarbeit, alles traditionell gemacht. Es gibt sogar eine alte Weinpresse. Oben links ein etwa einen Quadratmeter großes Becken: da kamen die Trauben rein und wurden mit den Füßen getreten. Der Saft lief dann nach rechts raus in ein tiefer liegendes Becken. Die Schwerkraft zu nutzen bei der Weinherstellung ist keineswegs eine Erfindung moderner Weinmacher!

Man kann schlafen in dem Haus. Ob wir nicht Lust hätten? Angesichts der Tatsache, dass uns der Weg vom Laden am Hafen (Supermarkt mag ich da nicht schreiben…) zur jetzigen Ferienwohnung auf 287 Meter Höhe mit sechs zwei-Liter-Flaschen Wasser und den anderen Dingen, die man so zum Leben braucht, schon manchmal etwas beschwerlich vorkam, lehnten wir dankend ab. (Und da hatten wir noch nicht mal an das Reisegepäck gedacht!)

Ein Haus überm gerade besichtigten gibt es noch eine Überraschung: da steht Guido und fragt, ob wir Lust hätten, etwas zu essen?!? Geplant war’s nicht, aber wenn einem im Restaurant am Ende der Welt Spaghetti und ein Salat angeboten werden, sollte man die mitgenommenen Käse-Bemmen vergessen und ja sagen. Wir also: Si, certo!

Tröpfchen für Tröpfchen…

Um uns die Zeit zu vertreiben – hier wird schließlich alles frisch zubereitet! – gab’s einen Tipp gratis: Gleich rechts ab und dann immer geradeaus, da sei eine Quelle! Die einzige auf dem Archipel! Und während Fernando das Essen zubereite, könne Guido uns führen. Guido, muss man wissen, ist nämlich Inselkenner und führt alle dahin, wo sie noch nicht mal ahnen, dass sie das wollen. Uns beispielsweise zur Quelle.

Erfrischung an der QuelleFreiwillig wären wir da nie lang gelaufen. Der Weg hinterm Restaurant am Ende der Welt führte quasi hinters Ende, ging aber immer weiter. So ist das, alles ist relativ. Auch der Begriff Quelle. Hin und wieder fällt einmal ein Tropfen Wasser von oben runter. Aber da bekanntlich steter Tropfen den Stein höhlt, fällt er in ein Wasserbecken. Man kann herantreten und sich erfrischen! Aber nicht allzu doll, bei der Leistung von wenigen Tropfen pro Minute…

Spaghetti in Zucco GrandeZurück in Zucco Grande steht eine große Flasche (kaltes!) Wasser auf dem Tisch, dazu eine Schale mit Oliven, Brot (hart wie Zwieback, wahrscheinlich auch in der gleichen Art frisch gehalten), eine Karaffe Rotwein. Und es kommen Spaghetti mit Kapern, Tomaten, Basilikum. Die Kapern: selbst gesammelt, natürlich. Die Tomaten: selbst angebaut. Zum Basilikum gab’s keine Auskunft, aber der wächst wahrscheinlich auch vor der Tür. Ein herrliches einfaches Essen!

Der Salat danach war eher ein veritabler Hauptgang, bei dem zwar einige der vorherigen Zutaten wieder auftauchten, aber doch im völlig neuen Kontext: lauwarme Kartoffeln, rohe rote Zwiebeln und wieder Tomaten, Kapern, Basilikum. Ein Gang zum satt werden und sich wohl fühlen. Uns hat’s extrem gefallen!

Guido e FernandoNach dem Essen kamen die Beiden noch an den Tisch und wir plauderten und lachten viel (so gut das Plaudern bei unseren minimalistischen Kenntnissen der italienischen Sprache geht). So leer wie an diesem Tag sei es nicht immer, erfuhren wir: erst gestern sei eine große Gruppe von 30 Wanderern dort gewesen und bewirtet worden. Im Juli und August sei das eh die Norm – wenn die Italiener Urlaub machen, ist auch Filicudi nicht mehr die einsame Insel.

Wir waren froh (und ja, auch ein wenig glücklich!), allein da gewesen zu sein. Fast drei Stunden waren wir, Abstecher zur Quelle inklusive, in Zucco Grande. Das war so nicht geplant, aber Urlaub heißt doch auch, Pläne übern Haufen zu werfen!

Zucco GrandePS:
Den Rückweg nahmen wir quasi eine Etage höher, was uns nochmals grandiose Aussichten bescherte – auf Zucco Grande (dem wir uns sozusagen auf Augenhöhe genähert hatten) von oben, auf Salina und Lipari im Nachmittagslicht, auf die Halbinsel des Capo Graziano, auf Val di Chiesa…

PS2:
Das Nennen nur von Vornamen ist keine Anbiederei, sondern inseltypisch. Man stellt sich mit Vornamen vor, man redet sich so an.

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