Farbenfroh in der Lausitz

Besuch im Westphalenhof im Ortsteil Zeißig von Hoyerswerda

Westphalenhof

Was macht ein Westphalenhof mitten in der Lausitz? Fragt man sich natürlich, wenn man jahrelang in Westfalen gelebt hat und sich übers „ph“ nicht wundert, weil es auch vor Ort manchmal westphälisch zugeht. Der Westphalenhof in Zeißig (wo das ist und warum diese Ortsbezeichnung wichtig ist, kommt später) – der Westphalenhof in Zeißig also kommt aber gar nicht von West*alen, sondern von der Familie Westphal, die vor 25 Jahren im Dorf Zeißig ein Restaurant mit Kegelbahn eröffnete. Und so sieht’s von außen auch aus: man könnte denken, man sei im Vereinshaus einer Gartensparte gelandet – wenn man nach Eingabe der Adresse Dorfaue 43 in Hoyerswerda nicht erst einmal dran vorbeifährt, so wie wir. Aber beim zweiten Anlauf klappte es dann, und nach dem Betreten des Restaurants folgt prompt das Doppel-Wow: Zuerst weil wir freundlichst aktiv begrüßt werden (was leider immer noch eine Erwähnung wert ist, manche Bedienungen verfügen ja über den eingebauten Amgastvorbeischaublick), und weil der Gastraum mit seinen rund 30 Plätzen einen soliden gediegenen Eindruck macht: Stofftapete, alle Tische eingedeckt, Blumen, Kerzen – das volle Programm.

Westphalenhof Brot

Es gibt vier Menüs: das Kleine (3 Gänge, 33,50 €), das Westphalenhof (6 Gänge, 72,50 €), Gourmet (4 Gänge, 50 €), Vegetarisches (4 Gänge, 37,50 €). In jedem Menü sind die Gänge einzeln ausgepreist, teilweise aufgeteilt in Menüportion und Hauptgang. „Sie können“, erklärt die freundliche Bedienung, sich Ihr Menü aber gerne auch selbst aus den Angeboten zusammenstellen!“ Na, wer da nicht fündig wird. Wir brauchten ein Weilchen, weil sich alle 17 Angebote Wasser-im-Mund-zusammen-laufend lasen und wir am liebsten ein Bissl von Allem gehabt hätten. Also ließ man uns Zeit und verkürzte die mit lecker Brot und einem Dip, der mit Radieschen (schon drin) sowie Schere und Kresse serviert wurde. Lustige Idee.

Oliver Westphal, einer von zwei Brüdern, die seit zwei Jahren unter Verzicht auf die Kegelbahn und mit einigen inhaltlichen Änderungen auf der Karte das Haus für Gourmets interessant machen, ist Sommelier und versteht was von Wein und Gastfreundschaft. Also bestellten wir quasi blind eine passende Weinbegleitung (25 € p.P.). Allein wie selbstsicher und lässig er die Weine bringt, bereitete uns großes Vergnügen. Die Auswahl der Weine war dann die konsequente Fortsetzung dieser Vorfreude.

Die Vorspeisen

Westphalenhof Vorspeisen

Schlussendlich hatten wir uns beide für je fünf Gänge entschieden, bei denen die Zwischengerichte (eher nicht zufällig, die Geschmäcker ähneln sich halt…) die gleichen waren. Schon die beiden Vorspeisen Erbsenraviolo und Garnele: Raviolo mit Erbsen gefüllt und gebratene Riesengarnele; Krustentierreduktion (9,50 €) und Paprika-Aprikosen-Süppchen: mit Chorizo-Parfait; Basilikumöl (7,00 €) signalisierten: Hier geht’s farbenfroh zu! Küchenchef ist der andere der beiden Brüder, Alexander Westphal. Er liebt’s nicht nur bunt, sondern auch geschmackvoll, und zwar so, wie wir es lieben: die Dinge schmecken nach dem, was drin ist. Also natürlich gut.

Die Zwischengänge

Westphalenhof Zwischengänge

Die beiden Westphal-Brüder arbeiten nicht allein in Service und Küche. Im Service hatten wir neben dem Chef eine Bedienung, die einen unendlich lockeren und erfahrenen Eindruck hinterließ. Gut drauf, gewandt, flink, wissend. So wie es sein soll. Wir erfuhren dann, dass sie erst 18 ist und standen virtuell auf, um uns zu verneigen. Eine andere Bedienung kam erst mal in Begleitung von Oliver Westphal, er stellte sie vor: eine tschechische Praktikantin, die im Rahmen eines Projekts hier reinschnuppern soll. Sie könne nicht viel deutsch, aber er wolle sie trotzdem mit am Gast haben. Wir fanden’s prima und erfreuten uns am immer sicherer werdenden „Guten Appetit“ und dem von Anfang an charmanten Lächeln.

Wir aßen also beide zuerst einmal aus dem vegetarischen Menü Gebackenes Freilandei: wachsweiches Freilandei in knuspriger Panierung mit Pimientos; Spinatcreme, Möhren, Schoten und weiße Portweinsauce (12,00 €). Beinahe hätten wir im intimen Zweiergespräch angefangen, uns über die Blüten auf dem Gericht aufzuregen – gab es doch schon welche beim Raviolo! Aber wir kamen nicht dazu, weil wir erst einmal Huhn, Ei und Küche loben mussten, was sie da Köstliches produziert hatten. Es gab noch einen Grund, aber den kannten wir noch nicht.

… aber er wurde nachgeliefert mit dem zweiten Zwischengang: Gegrillter Pulpo: Pappardelle mit Tomate, Ruccola und Knoblauch; Basilikumpesto und Grana Padano (als Menüportion 13,50 €, als Hauptgang 21,50 €). Der kam nämlich als Blütenmeer, und nun ließen wir uns nicht mehr vom trefflichen Geschmack abhalten und diskutierten munter am Tisch: ist das nicht des Guten zu viel? Die Argumente reichten von auf jeden Fall über naja bis zu stell dir mal vor, wie farblos das ohne Blüten wäre – wie das so ist bei einem Gespräch beim Mümmeln. Letztendlich siegte der Geschmack: grandios! Pulpo gut vorgegart (das ist das, was die meisten nicht richtig können!), danach scharf gegrillt. Pappardelle knackig und gut eingebunden ins Sugo der restlichen Zutaten: fast schon italienische Verhältnisse, und das in Hoyerswerda – pardon: Zeißig.

Die Hauptgänge

Westphalenhof Hauptgänge

Wir waren an diesem Dienstag nicht die einzigen Gäste, und selbst bei großzügigem Tischabstand kommt man ja nicht umhin, auch mal die nächsten Nachbarn zu beäugen. Am einen Tisch gab’s ein sächsisch-niederländisches Geschäftsessen, das war nicht so interessant für uns. Am anderen Tisch aber saß eine Drei-Generationen-Familie – und alle (außer dem Kind) aßen den gleichen Hauptgang. Und keiner (außer dem Kind) wollte ein Dessert. Am Geld kann’s nicht gelegen haben: der eine Hauptgang war nur einen Euro günstiger als das Einsteigermenü. Was für eine verpasste Gelegenheit, die Vielfalt der Geschmäcker zu probieren!

Wir hatten den Hauptgang vom Einsteigermenü: Schwarzfederhuhn: lackierte Brust vom Schwarzfederhuhn mit Morchelrahm; Honig-Salbei-Möhrchen, Zucchini und Petersilienwurzel (19,00 €). Und natürlich Blüten, da hatten wir uns mittlerweile dran gewöhnt und sie nicht mal aussortiert: sie machen das Essen bunt und stören nicht, so what. Morchelrahm (wie jede ordentliche Sauce) kann man ja nie genug haben, wir fragten nach und bekamen mehr. Was man daraus lernen kann? Dass der Morchelrahm gut war, natürlich. Die Brust auch – um das mal provozierend zu formulieren: unser zweitbestes Schwarzfederhuhn!

Auf dem anderen Teller war Zweierlei vom Weidekalb: Rosa gebratenes Filet und sanft geschmorte Stelze; Ofentomate, gebratene Pimientos und Oliventapenade; Kartoffelpüree (als Menüportion 24,00 €, als Hauptgang 29,00 €). Das Filet wirklich perfekt rosa gebraten und sehr zart, die geschmorte Stelze ebenfalls tadellos – wie man so sagt: sie zerfiel vom Hinschauen, was natürlich nicht stimmt, aber zu den lässlichen Übertreibungen gehört. Über Blüten verlieren wir hier kein überflüssiges Wort, aber dass die Ofentomate gefüllt war, gehört zu den Überraschungen und geschmacksbildenden Kleinigkeiten.

Die Desserts

Westphalenhof Desserts

Bei den Desserts Schafsjoghurt Panna Cotta: Limonencréme und Waldbeeren; Rote Grütze Sorbet (8,50 €) und Crème Brûlée: Mascarpone-Nektarine-Eis (7,50 €) rundete sich das Bild: einmal mit mehr Blütenmeer und dennoch (!) genussvollem Abschluss und zum Anderen mit einer der viel zu selten servierten Variante von Crème Brûllèe, bei der das Verhältnis von Crème zu karamelisierter Knackschicht obendrauf nahezu eins zu eins ist (OK, wahrscheinlich in der Mitte zwokommafünnef zu eins). Geschmacklich auch topp, aber das hatten wir mittlerweile nicht anders erwartet.

Weil’s bislang verschwiegen wurde und der Vollständigkeit halber – hier die Weine, die uns Oliver Westphal servierte:

  • Vorweg: 2015 Scheurebe extra trocken, Albiger Schloss Hammerstein
  • Starter: 2016 Fleur de d’Artagnan, Côtes de Gascogne
  • Zum Ei: 2016 Wolkenberg, Roter Riesling (Martin Schwarz)
  • Zum Pulpo: 2015 Weißburgunder Radebeuler Goldener Wagen, Karl Friedrich Aust
  • Zum Schwarzfederhuhn: 2013 Ghost Pines Chardonnay (33 % Sonoma County, 38 % Monterey County, 29 5 Napa County)
  • Zum Kalb: 2013 Syrah Schüttenberg 2013, Carnuntum, Weingut Franz & Christine Netzl
  • Zum Dessert: Solaris von Tim Strasser, Rothes Gut Meißen

Der Nachschlag

Westphalenhof MittagAm Mittag danach waren wir schon wieder da. Nach einem Stadtbummel durch das alte Hoyerswerda (mit kurzem Stopp im Neubaugebiet, muss man ja auch mal gesehen haben) stellte sich schon auf dem Weg Richtung Dresden rechtzeitig ein kleines Hüngerchen ein, so dass wir kurzentschlossen beschlossen, noch nicht Probiertes zu versuchen. Die Mittagskarte ist ein zehnteiliger Ausschnitt der Abendkarte, aber wir fanden genug Neues.

Es gibt zwei Vorspeisen – praktischerweise hatten wir beide noch nicht probiert. Ziegenfrischkäse: Ziegenfrischkäse mit Lavendelcrémegeröstetem Pumpernickel und Tomatensorbet (8,00 €) kam mit sehr mildem Frischkäse, man musste also nicht unbedingt hard-core-Liebhaber der Ziege sein! Geeistes weißes Tomatensüppchen mit Basilikumschaum und Garnelenspieß (6,50 €) erwies sich als sehr angenehmer Einstieg für ein Essen an heißen Tagen, wobei die Tomate mit der Farbe auch etwas von möglicherweise vorher vorhandenem intensiven Geschmack verloren hatte. Oder sie war vorher schon so, who knows?

Aus der Abteilung Kleiner Hauptgang gab es eine hübsche Variante des bekannten Tomate-Mozzarella-Tellers, nämlich Büffelmozzarella: Tomatensalat mit grünen und schwarzen Oliven; gekühlte Tomatensuppe und junger Basilikum (12,00 €). Das rote Süppchen wurde am Tisch angegossen und hatte deutlich mehr Geschmack als das weiße im Gang zuvor, der Mozzarella hatte eine tolle Konsistenz – ein prima Sommeressen, dank des nicht gerade kleinen Mozzarellas durchaus auch sättigend. Beim Hauptgang Gebratener Heilbutt: gebratenes Filet vom schwarzen Heilbutt mit Kapernbutter, junger Mangold und Linguine (24,00 €) hatten wir uns eine kleinere Menüvariante (16 €) gewünscht, die sich als ausreichend portioniert erwies. Prima auf den Punkt gegarte Heilbutt – was uns nur wunderte: gar keine Blüten, obwohl sie doch dem Kapernoliv gut gestanden hätten?! Das Dessert Bröthener Erdbeeren mit Grand Manier und Zitronensorbet (5,50 €) teilten wir uns – alles gut.

Restaurant Westphalenhof
Dorfaue 43
02977 Hoyerswerda (Ortsteil Zeißig)

Telefon: +49 3571 913944
www.westphalenhof.de

Öffnungszeiten:
Di – So 11–14 Uhr und 18-22 Uhr

Besucht am 4. und 5. Juli 2017 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

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