Eine Ansammlung atemberaubend schöner Blicke

Zwei Wanderungen durch den Barranco de Guarimiar

Doppelregenbogen

Es war einer dieser Tage, wo das Wetter nicht mitspielt und man so lange durch die Berge von Gomera fährt, bis man die Sonne erreicht hat. Denn die Erfahrung lehrt: wenn’s im Norden grau und regnerisch ist, kann im Süden die Sonne scheinen. Man kann sich da den Drachenbaum ansehen (ist eh keine großartige Wanderung, sondern nur ein Abstecher), man kann den Flughafen inspizieren, man kann sich das Städtchen Playa de Santiago angucken und dort einen fabelhaften Pulpo-Salat probieren.

Barranco GuarimiarDas dauert aber alles sooo lang nicht – und das Wetter ist doch nun gut: was machen wir da? Wir schmökern ein wenig im Rother Wanderführer und entdecken die „spektakuläre Wanderung durch die Guarimiar-Schlucht“. Beschwingt vom Pulpo und dem einen Gläschen Weißwein gefielen mir Formulierungen wie „prachtvolle(r) Anstieg nach Targa“ oder vom „lieblichen Hochtal von Imada“ – und offensichtlich auch ein wenig getrübt vom gleichen Weißwein überlas ich die mir als bekennendem Nichtschwindelfreien wichtigen Warnphrasen „erfordert Trittsicherheit und Schwindelfreiheit“ oder an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassende Sätze wie diesen: „Über natürliche Felsbänder, mit Schwindel erregendem Tiefblick auf die enge Schlucht, geht es am Fuß von bizarren, teils überhängenden Felswänden stetig leicht bergan.“

Weg durch die Steilwand 2006Nein, die Sonne, der Wein und ich bildeten eine muntere Dreieinigkeit, kräftigen Schritts und frohen Muts verließen wir das recht einsam auf 870 Metern Höhe gelegene Dörfchen Imada, wo wir unseren Mietwagen parkten. Die Ansammlung nachgeradezu atemberaubend schöner Blicke vor wie zurück wurde lediglich ein wenig dadurch getrübt, dass es sich wieder ein wenig zuzog. Aber wie man so sagt, wenn man gut drauf ist: „Das müssen wir noch einmal bei Sonnenschein machen!“ – „Auf jeden Fall!“

SteinmänchenSo arg viel Wege gibt es nicht, weswegen der Wanderführer die meiste Zeit in der Tasche blieb und wir uns voll auf die malerische Landschaft konzentrieren konnten. Ein gegenüber mitten in der Steilwand verlaufender Weg erhielt von den immer mitwandernden Kameras mehrere Klicks und von uns den Kommentar: „Echt toll!“. Bis ich merkte, dass es unser Weg war.

Wie das so ist mit uns Schwindlern: Trost und gute Worte helfen nicht. Da kann die Frau hundert Mal behaupten, dass der Weg doch breit genug für uns nebeneinander sei – der Schwindelkörper schreit: neeeeiiiiin! Und bremst dann auch gleich vorsorglich die Geschwindigkeit ab, sucht Halt – das volle Programm. Das Prinzip der kleinen Schritte und das Immer-an-der-Wand-lang-Syndrom habe ich ja schon ausführlich beschrieben, wer mag, kann es hier nachlesen. Ein Großteil der Theoriefindung fand übrigens bei der hier beschriebenen Praxisübung statt.

Weg durch die Steilwand 2016Ich habe damals keine Eingabe gemacht – aber sie wurde dennoch erhört. Wie das funktioniert? Keine Ahnung, aber beim zweiten Besuch 2016 gab es – wahrscheinlich sehr zum Leidwesen der geübten Wanderer – ein Schwindelangsthemmseil [sprich: Schwindel-Angst-Hemm-Seil] an den damaligen Stellen größter Erregung. Wobei: Ich dachte ja nur, dass das die schlimmsten Stellen seien – doch es sollte noch doller kommen. Es begann eigentlich gleich dort, wo der Wanderführer anlässlich der Begegnung mit dem Ort Guarimiar signalisierte, dass wir nun mit 370 m den geographischen Tiefpunkt der Wanderung erreicht hätten und bitteschön wieder hoch sollten – Richtung Targa (740 m).

RegenbogenbergeWie in einem schlechten Film kündigte sich das Unheil mit dunkler werdenden Wolken und sachte einsetzendem Tropfenfall an. Es regnete (anfangs…) nicht wirklich doll, aber ausreichend genug, um den Weg in den nächst schlimmeren Zustand zu versetzen: rutschig. Obendrein windete es nun auch etwas, was die Pfade gefühlt noch schmaler werden ließ. Das war er also, der prachtvolle Aufstieg, in der Schietwettervariante. Mehr schlich ER sich als dass er wanderte – der Abgrund! Der Wind! Das Wetter – ach: Alles! SIE hingegen schwärmte, endlich mal ein fantastischer Wanderweg, so müsse das sein!

Rückweg mit RegenIrgendwann mühte sich die Sonne wieder hervor, und während wir einen natürlichen Felsunterstand fanden zur Rast, tat sich jenseits der Schlucht ein Regenbogen auf. Streng genommen sogar ein beinahe-Doppelregenbogen. Grandios und eine schöne Belohnung für die Plackerei den Weg hoch.

Das war 2006. Den Rückweg von Targa/Alajero fanden wir dann extrem unprickelnd, weil er erstens oft an der Straße lang führte (an der natürlich gerade kein Bus kam) und weil es zweitens einen unvergnüglichen Mix aus Regenhuschen und – dann allerdings bezaubernder – Abendsonne gab.

Ermita de Guarimiar2016 fanden wir einen Alternativrundgang im Hikeline-Wanderführer. Der erste Teil bis Guarimiar ist identisch, doch dann geht’s nicht rechts rauf nach Targa, sondern links runter durch die Talsohle und am anderen Hang wieder rauf – zuerst auf einer kleinen Straße, die uns zur Ermita de Guarimiar bringt. Im Hintergrund das Meer ist das, was ans Ufer von Playa de Santiago plätschert – und die Wand gegenüber der Kapelle ist die, die uns zehn Jahre zuvor so zu schaffen gemacht hat. Im Umkehrschluss: Damals unterm Regenbogen war wahrscheinlich die Kapelle – wir haben sie nur nicht gesehen. Was wir zur großen Freude nun erblicken, ist der Roque de Agando, der es uns mit seiner imposanten Form irgendwie angetan hat. Allerdings hat er sich (wie so oft) vornehm mit Wolken umgeben. Uns schwant Schlimmes: wir wandern ja schnurstracks in die Richtung, Imada – Start und Ziel – liegt grob auf halbem Weg dahin. Aber noch ist die Sonne bei uns.

Roque de AgandoNoch. Der Anteil von Himmelsblau lässt aber rapide nach, zugunsten von Heftigdunkelgrau. Bei der Nachbereitung der Fotos sieht man, dass die Kleidungsstücke an der Wanderin sich mehren – und vor allem: dass es beim Wandern mit Blick aufs Benchijigua-Tal eine riesige Lücke von 45 Minuten mit ohne Fotos gibt. Das will schon was heißen! Was zwischendurch passierte: anhaltende Bewässerung dieses Teils der Insel, damit die Pflanzen nicht verdorren. Einsatz der mitgeführten Regenhose, Regenjacke und des Rucksackregenschutzes sowie der Wanderstöcke, um der alten englischen Schild-Weisheit „slippery when wet“ geschmackvoll zu begegnen. Aber was für ein Vergnügen, das sich dem Auge nach dem Regen bot! Vor uns am Hang Imada – da müssen wir hin, keine Überraschung also. Aber etwas links davon sehen wir die Fortalezza, fast als Schattenriss vor einem von der Abendsonne gülden beleuchteten Meer. Im Meer schwimmt links des Tafelbergs El Hierro – und über allem flockt die Regenwolke die letzten Tropfen aus sich heraus. Ein grandioses Schlussbild der Tour, wieder – wie im Jahr 2006 – gern angenommene Versöhnung mit dem Tag.

Fortalezza

Die Wegstrecken als GPX

Wanderung Imada – Guarimiar – Targa – Alajero – Imada am 16. November 2006
Wanderung Imada – Guarimiar – Benchijigua-Tal – Imada am 8. November 2016

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