Schmökern und vergnügt schlauer werden

Den 57 Jahre alten Kochbuch-Klassiker von Julia Child gibt es nun auf deutsch

Die wichtigste Zutat
ist die Liebe zum Kochen an sich.
Julia Child

Kochbücher gibt es ja wie Sand am Meer – und sie werden immer aufwändiger bei den Fotos, aber nicht unbedingt im gleichen Maße bedeutungsschwangerer. Da nimmt es Wunder, dass sich der Echtzeit Verlag in der Schweiz traut, da mit einem 656-Seiten-Wälzer entgegen zu halten: Keine Fotos! Alles schwarz-weiß! Vieeeel Text! Und das in einem Buch, das zwar „Die Kunst, die französische Küche zu beherrschen“ hieß – aber schon vor vor 57 Jahren und dann auch noch in Amerika erschien, dem Land der Fastfoodies.

Nun, nicht alle Vorurteile sind berechtigt: Französisch kochen, wie die von Ulrike Becker, Johanna Hofer von Lobenstein und Jochen Schwarzer übersetzte Ausgabe des Longsellers von Julia Child heißt, ist ein Standardwerk, in dem man schmökern und vergnügt schlauer werden kann, in dem man gezielt suchen und sich auf die Zubereitung eines köstlichen Gerichts vorbereiten kann. Wenn man so will: die anspruchsvolle Ausgabe von Dr. Oetkers Schulkochbuch (im Wessiland) oder von Wir kochen gut (im Ossiland). Oder besser vielleicht, weil vom Niveau und Sujet näher dran: wie das 1976 in Frankreich (und 1977 in Deutschland) erschienene Buch von Paul Bocuse, das ähnlich textlastig mit nur wenigen Farbtafeln anspruchsvolles Grundwissen solide vermittelt.

Julia Child (1912–2004) stammt aus Kalifornien und lernte die französische Küche in Paris kennen, wo sie sich in den 1950er an der renommierten «Ecole du Cordon Bleu» ausbilden liess. Sie kann nicht nur kochen, sondern sie kann auch wunderbar erklären – und das unterhaltsam im angenehm lesbaren Stil. Kostprobe aus dem Vorwort: „Dies ist ein Buch für die dienstbotenlose amerikanische Hausfrau, die sich zumindest ab und zu keine Sorgen um knappes Haushaltgeld, eine schlanke Taille, enge Zeitpläne oder kindergerechte Mahlzeiten zu machen braucht, die nicht das Hotel Mama mit Fahrdienst am Laufen halten müssen und auch sonst keine Verpflichtung hat, die dem Vergnügen entgegen stehen könnten, etwas Wunderbares zu essen herzustellen.“

Da fühlte ich mich doch sofort angesprochen: die Taille ist eh futsch, die Kinder sind aus dem Haus und das Vergnügen wunderbaren Essens weiß ich bekanntlich zu schätzen. Lediglich die Sache mit der Zeit könnte kritisch werden, wenn man die falsche Einstellung und zu Dingen hat. Aber bekanntlich sollte man sich ja die Zeit nehmen, die man für etwas braucht – dann hat man sie.

Wie schon angedeutet: die Lektüre des Buches ist im hohen Maß vergnüglich, und dümmer wird man dabei auch nicht. Das geht schon los mit der Widmung, über die man hinweglesen könnte oder besser (viel besser!) bei einem Glas Wein mit Gleichgesinnten diskutieren könnte: „Gewidmet dem Land, dessen Bauern, Fischer, Hausfrauen und Fürsten – ganz zu schweigen von seinen Köchen – über Generationen hinweg mit Ausdauer, Liebe und großem Einfallsreichtum eine der schönsten Künste der Welt erschaffen haben.“  

Und dann geht es weiter mit immer wieder einfach schönen und bedenkenswerten Sätzen. Der Ratschlag beispielsweise, sich die Rezepte immer vorab komplett durch zu lesen, klingt banal – aber Hand aufs Herz: wer hat nicht schon mal gedacht ich ahne schon wie’s weiter geht und ist dann doch plötzlich (Obacht, gewagtes Wortbild!) vor einer fehlenden Sahne gestanden? Also durchlesen. Und durchdenken, durchspielen – empfiehlt Julia Child und hat ja so Recht.

Das Buch ist ein Lesebuch, das man Häppchen für Häppchen genießen kann, systematisch von vorne bis hinten durchackern kann oder in das man auch (wenn man schon ein gewissen Grundgefühl hat und sich bei Bedarf nicht scheut, weiter vorne doch noch mal nachzulesen) mitten reinspringen kann ins Kapitel der Wahl. Da ist die Auswahl groß: Suppen, Saucen, Eierspeisen, Vorspeisen, Fisch, Geflügel, Rindfleisch, Lamm und Hammel, Kalbfleisch, Schweinefleisch, Innereien, Gemüse, Kaltes Buffet, Desserts und Kuchen.

Wir haben uns das Kapitel mit dem Lamm genauer angesehen und dann auch gleich einmal ein Rezept realisiert. Nicht ganz so wie im Buch, zugegeben (andere Beilagen), aber insgesamt doch dem Geiste nach. Das Kapitel beginnt mit einer hilfreichen allgemeinen Einführung – die gehört quasi als nützliches Vorwissen mit zu jedem der folgenden Rezepte. Man lernt was über Garzeiten, Temperaturen im Ofen und im Fleisch – solche Dinge. Alles sehr systematisch, übersichtlich und nachvollziehbar. Die dann folgenden Rezepte sind zweispaltig gesetzt: links stehen Mengen und Zutaten (manchmal auch spezielle benötigte Geräte), rechts die dazu passenden Handlungsanweisungen. Das kostet zwar Platz, macht’s aber sehr übersichtlich.

Immer wieder erweist sich das Buch als sehr kundenfreundlich: Sätze wie „Bis zu diesem Schritt kann das Gericht im Voraus zubereitet werden“ mit Anweisung zum Wie-dann-weiter helfen beispielsweise, auch zeitintensivere Gerichte während der Arbeitswoche anzugehen: Bis dahin kann man das am Abend erledigen (allemal besser als sich die drulfigste Wiederholung eines Tatorts reinzuziehen), am nächsten Tag dauert’s dann eine halbe bis eine Stunde. Für ein geniales Essen wie die probierte Geschmorte Lammkeule eine gut investierte Zeit!

Julia Child, Französisch kochen
Leineneinband, 656 Seiten, mit Zeichnungen von Sidonie Coryn.
Aus dem Englischen von Ulrike Becker.
Echtzeit Verlag. ISBN 978-3-906807-01-0. 54.00 €

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