Wohlmeinende Untertreibungen bei höchster Qualität

Kochsternstunden 2018: In der Weinzentrale gab es badische Weine von Konrad Salwey zu badischen Gerichten von Olav Seidel

kss18 Weinzentrale Seidel

1976, als nicht alles besser, aber vieles langsamer und besinnlicher zuging, erschien im badischen Freiburg ein Büchlein mit „Plaudereien und wohlmeinenden Ratschlägen für Küche und Keller“. Als Autor trat Fridolin Schlemmer auf, was ein sehr zeitgeistiges und durchschaubares Pseudonym war: Franz Keller, der großartige Winzer und Gastwirt des Schwarzen Adler in Oberbergen, steckte als Autor hinter der Kolumne in der Badischen Zeitung, die dann zum Büchlein Alemannisch angerichtet wurde – und von so einer Koryphäe lässt man sich dann ja doch gerne mal was sagen.

Dass wir hier jetzt über den 2007 gestorbenen Keller schreiben, ist natürlich kein Zufall, denn in der Dresdner Weinzentrale fand ein Abend im Zeichen badischer Gastlichkeit statt, mit Weinen von Konrad Salwey und badischer Küche von Olav Seidel, der sieben Jahre im Schwarzen Adler gearbeitet hat und mit seinem Gasthof Bärwalde so etwas wie der sächsische Botschafter der Keller-Philosophie ist.

Die sehr burgundischen Spitzenweinen des VDP-Winzers Konrad Salwey sind immer vom Terroir (Löß- oder Vulkanboden) geprägt, alle seine Weine sind vollständig durchgegoren. Salwey, der das Familienweingut mit seinem Team in dritter Generation leitet, gewährt bei der Vinifizierung der Natur Raum und Zeit. „Wir nehmen Einfluss durch höchste Ansprüche an unsere Arbeit im Weinberg, 100%ige selektive Handlese und durch Vergärung mit natürlichen Hefen im Großen Holzfass. Es wird auf Schönung der Weine verzichtet und die Abfüllung erfolgt möglichst ohne Filtration“, sagt Konrad Salwey – alles getreu dem Motto: so wenig wie möglich, so viel wie nötig!

Mit dieser Grundphilosophie trifft er bei Olav Seidel gerade auf den Richtigen. Der hatte ausführlich im Keller-Buch geblättert und sich durch den Prosatext (der keine wirklichen Rezepte beinhaltet, sondern eben jene im Untertitel angekündigten Plaudereien und wohlmeinenden Ratschläge) inspirieren lassen. Um die besondere Kreativität des Menüs zu erkennen, musste man schon ein wenig nachdenken über die Zusammenhänge von einfach und von bester Qualität – und eine kleine alemannisch angehauchte Bettlektüre half notfalls auf die Sprünge zur Erkenntnis, dass „Feinschmeckerei auch mit einfachen Mitteln möglich ist“ (es gibt das Buch übrigens antiquarisch, kostet inkl. Porto weniger als ein Glas guter Wein).

Zur Begrüßung hatte Jens Pietzonka 2016 Muskateller Kabinett trocken (VDP.Gutswein) ausgeschenkt, trocken ausgebaut und mit belebendem Säuregerüst (Restzucker 3,7 g/L / Gesamtsäure 7,6 g/L). Ein echter Salwey, leicht und aromatisch und mal was anderes als Sekt zum Start. Vor allem mit dem Seidel-typischen Essensauftakt (Brot und Butter) ideal! Wobei man nicht oft genug betonen kann, dass gutes, handwerklich gemachtes Brot mit (pardon für den altbackenen Begriff:) guter Butter eh unschlagbar sind. Wohl dem, der von dem vollmundig-fluffigen Brot mit der krossen Kruste ein wenig übergelassen (oder nachgeordert) hatte, um die Winzerterrine / Marinierte Rahnen (so heißen die Rote-Bete-Knollen im Badischen) zu begleiten. Denn nur zur Not, weiß der Volksmund, schmeckt die auch ohne Brot (und wenn der Volksmund schon Zwinkersmileys gekannt hätte, müsste jetzt natürlich einer kommen, so in etwa 😉 ). Dazu tranken wir noch einen der Basisweine (die ab Weingut alle so um die zehn Euro kosten), einen 2016 Rosé Kabinett trocken (VDP.Gutswein). Nur Spätburgundertrauben aus Kaiserstühler Lösslagen, selektiv handgelesen, bilden die Basis des lachsfarbenen Weins, der seine Farbe durch den Schalenkontakt bei der achtstündigen schonenden Pressung erhielt. Der Ausbau erfolgte im Stahltank mit Lagerung auf der Hefe. Dieses Ensemble – Winzerterrine und Rosé – an einem warmen Frühlingstag in der ersten richtigen Sonne des Jahres: ein Traum!

Der nächste Gang brachte uns eine Rarität (denn wer kann noch Kalbskopf richtig zubereiten), eine Untertreibung (Entenleberwurst…) und einen Wein, der minütlich besser wurde – aber sein wahres Potential wohl erst in einem Jahr entfalten wird. Frühestens. So lange wollten wir aber nicht warten. „Wenn der Kalbskopf auf den Punkt gegart ist, ist der Kenner glücklich!“ schreibt Fridolin Schlemmer, und ergänzt: „Natürlich passen zu dieser Zubereitung sowohl Salzkartoffeln als auch Teigwaren. Aber ich verzichte gerne darauf, wenn ich ein Stück Fleisch mehr bekomme.“ So sollte es dann auch sein. Die Zugabe zum Kalbskopf, unter ihm als Basis und somit, wenn man sich von oben durchaß, die Krönung. Feinste Entenleberterrine, die mit der Meerrettichbutter zusammen im Mund dahin schmolz. Nach was für einen Wein klingt das? Natürlich nach Grauburgunder! Und so gab es zu Lauwarmer Kalbskopf, Badische Entenleberwurst, Meerrettichbutter den 2016 Oberrottweiler Grauburgunder „RS“ (VDP.Ortswein), der gerade erst (genauer: im Dezember vergangenen Jahres) abgefüllt wurde. Ein Jungspund aus Sicht von Konrad Salwey, dem Jens Pietzonka mit dem genialen Decanter Eddy eine Trinkreif-am-besten-jetzt-gleich-Kur verordnet hatte. Silvio Nitzsche von der Wein|Kultur|Bar, der nicht ganz unschuldig am Eddy ist, nennt den Decanter ein Beatmungsgerät, in dem jeder Wein eine „unnachahmlich rasante Strukturentwicklung erfährt“. Schön für uns, denn der Wein wurde minütlich besser – ein Wein wie aus dem Burgund, dem nichts Fettes anheftet. Und so wie die Entenleberwurst eine feine Untertreibung war, ist es bei dem Wein auch die Klassifizierung als Ortswein, denn die „RS“ (wie Reserve Salwey) könnten auch Erste Lagen sein, was in der Qualitätspyramide des VDP die zweitbeste Kategorie wäre. Aber Erste Lagen gibt es bei Salwey nur als Berg, nicht als Etikettierung…

Eindeutig und auch im Wortsinne Farbe bekennend wurde es dann beim Hauptgang Magerer Bauch vom sächsischen Landschwein, Süße Rüben, „Geschwellte“, zu dem es einen 2012 Henkenberg Spätburgunder GG aus der 3,0-Liter Doppelmagnum (VDP.Große Lage) gab. Ein Rotwein aus Spitzenlage mit alten Rebstöcken, den besten Parzellen des Weinguts. Natürlich handverlesenes Traubengut aus konsequent lagenbezogenem Ausbau im Barrique-Fass. Ein tiefgründiger Wein mit feinkörnigen Tanninen, klarer Frucht und feiner Mineralik. Wie es sich für einen guten Burgunder gehört: einer mit mehr-davon-Gefühl – und nicht gerade das, was der Keller Franz empfiehlt, wenn er über süße Rüben philosophiert: „Neuer Federweißer, der am Ende der Gärung oft auch noch einen ganz kleinen Rest von unvergorenem Zucker hat, ist das Beste, was man dazu trinken kann“, schrieb er. Nun ja: Federweißerzeit ist vorbei, und uns gefiel’s so ganz gut – zumal Olav Seidel beim Rest des Gerichts hart am Text war, Schweinebauch und Salzkartoffeln („Geschwellte“) inklusive. Stop, halt: eins hatte Seidel auch anders gemacht: Die Rüben waren nicht so weich wie beschrieben, sondern ein bissl bissiger. Das tat ihnen gut!

Zum Dessert muss man nicht viel sagen, denn wenn Familie Seidel im eigenen Garten Apfelquitte ernten und der Winzer Salwey (wie so viele im Badischen) auch Brennrechte hat und aus vollreifen Früchten feinstes Quittenwasser destilliert, dann kann das nur ein vergnüglicher Abschluss sein, der offiziell Bärwalder Apfelquitte trifft Kaiserstühler Quittenbrand hieß.

4-Gänge-Menü inkl. Weinbegleitung und Wasser 89,00 €

Weinzentrale
Hoyerswerdaer Straße 2
01099 Dresden

Tel. +49 351 / 89966747
www.www.weinzentrale.com

Öffnungszeiten
Mo-Fr ab 17 Uhr

[Besucht am 6. März 2018 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]


Hinweis:

Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*