24 Stunden Ferrara: Renaissance und Fahrrad

Die Stadt mit dem Rad erkunden. Pausen inklusive…

„Ferrara ist eigentlich die ideale Stadt, um Venedig oder Florenz zu besuchen!“ sagt Matteo Ludergnani. Einerseits muss er so etwas natürlich sagen, schließlich ist er il Presidente Consorzio Visit Ferrara, der Präsident des – nennen wir es mal so: – Tourismusvereins von Ferrara. Andererseits war er ja noch nicht am Ende seiner Ausführungen, betonte die ungleich günstigeren Übernachtungskosten in Ferrara und die vorzüglich schnellen Zugfahrten in die beiden allgemein bekannteren Städte – und fügt, wie nebenbei, zum Schluss dann hinzu: „Und dann können Sie natürlich auch noch einen Tag unsere wunderbare Stadt ansehen, mit all den Gassen und Gebäuden wie vor 600 Jahren, mit dem Schloss der alten Adelsfamilie Este, mit den Gaststätten… – und so setzte er die Aufzählung der Vorzüge der Stadt so leidenschaftlich fort, dass man vom Ort des Gespräch am liebsten sofort hingefahren wäre. Aber glücklicherweise rühmte er auch noch („Für einen weiteren Tag des Urlaubs!“) die Umgebung, das Po-Delta, die Küste, Comacchio. Puh, Glück gehabt: da waren wir ja gerade…

Tag eins – Nachmittag und Abend

Ferrara Collage Tag 1

15:00 Uhr: Check in

Ein Agriturismo mitten in der Stadt! Es heißt Principessa Pio und hat mal als reines Restaurant angefangen (weswegen wir da am Abend auch essen werden, wie praktisch!). Es handelt sich hierbei tatsächlich um einen Gutshof – mitten in der Stadt, was im Mittelalter aber eher die Regel war. Heute befinden sich auf dem vier Hektar großen Gelände aber auch moderne Gebäude für Genießer: Bar, Restaurant und Hotel. Mitten in der Stadt, mitten im Grünen: das schließt sich hier nicht aus…

15:30 Uhr: Mit dem Rad durch die Stadt

StadtmauernNun aber Ferrara! Wir erkundeten die Stadt per Fahrrad – was die gemeinen Ferraresi nicht wundert: man radelt hier gerne. Rein statistisch hat jeder Einwohner drei Fahrräder – aber da werden sicher auch die mitgezählt, die irgendjemand vermietet, so dass wir sie nutzen konnten. Überzeugender ist da schon die Zahl, dass 90% der Ferraresi mindestens ein Fahrrad besitzen. Die Umgebung lädt natürlich zum Radeln ein, das Land ist so flach, dass sogar der Po nicht weiß wohin und sich munter vor sich hin zum Delta verzweigt. Die größte Steigung, die wir zu überwinden hatten, war die vom Quartier hinauf auf die Stadtmauer. Acht Höhenmeter. Acht!!!

Die neun Kilometer langen mittelalterlichen Stadtmauern umrunden fast ganz Ferrara – ursprünglich war der Wall um die Stadt einmal 13 Kilometer lang. Man kann sie nur mit dem Rad befahren (oder drumherum laufen), es gibt aber auch Wege außerhalb der Mauern, so dass man die Stadt auch von außen umschleichen kann. Wir haben beides gemacht – und beides hat seinen Reiz. Oben ist es eine wunderbare, teils dicht mit Bäumen bestandene Promenade (nicht unähnlich der im westfälischen Münster), unten kann man die mächtige Mauer gut erkennen – aus roten Ziegeln, die einen schönen Kontrast zum satten Grün der parkähnlichen Anlagen und zum blauen Himmel bilden. Baumeister der nördlichen Wallanlage ist Biagio Rossetti (1447–1516), der als Hofbaumeister von Ercole I. d’Este auch für die breiten und geraden Straßen des Stadtkerns verantwortlich ist. Sein Konzept gilt allgemein als die erste moderne Stadtplanung der Welt. Wir radeln bis zur Porta degli Angeli, ein ehemaliges Stadttor in der Mitte des nördlichen Abschnitts von der Befestigungsanlage, das vor einigen Jahren restauriert wurde.

Palazzi2Genau hier beginnt der Corso Ercole I d’Este, der stadteinwärts bis zum Schloss führt. Da radeln wir lang, machen kurz Halt an der (ehemaligen) Chiesa degli Angeli und drehen eine kleine Schleife durch den Parco Massari, der der meistbesuchte Stadtpark der Ferrareser ist. Entsprechend bunt ist das Treiben, es gibt einen großen runden Springbrunnen in der Nähe des Haupteingangs, zahlreichen Wege und eine Bar, na klar. Der Park wurde 1780 vom Architekten Luigi Bertelli für den Marquis Camillo Bevilacqua Cantelli erbaut. Von den ehemals sieben imposanten Zugangstoren sind heute nur noch zwei erhalten.

Am Ende der kleinen Schleife stehen wir vor einem der berühmtesten Renaissancebauten der Welt, dem Palazzo dei Diamanti. Über 8.500 Marmorblöcke mit rautenförmigen Spitzen machen das von Biagio Rossetti (genau: der vom Festungswall) gestaltete Haus zum Hingucker. Der 1494 (oder kurz davor) begonnene Bau beherbergt heute unter anderem die Nationale Kunstgalerie (Ferrara), die Gemälde der Ferrara-Schule aus dem dreizehnten bis achtzehnten Jahrhundert sammelt. Der Palazzo dei Diamanti litt und leidet immer noch, wie die ganze Stadt und Umgebung, unter den Erdbeben, die am 20. und 29. Mai 2012 mehrere italienische Provinzen der Region Emilia-Romagna getroffen hatten. Deswegen gibt es im Erdgeschoss keine Dauerausstellung, sondern lediglich Sonderausstellungen. Von außen und quasi im Vorüberradeln freilich sieht man dem Gebäude nichts an, und auch der 1493 zu bauen begonnene Palazzo Prosperi-Sacrati gleich nebenan mit seinem auffälligem Portal und dem Balkon aus weißem Marmor, der von Putten getragen wird, macht einen guten Eindruck. Aber wir werden später, beim Besuch des Castello, sehen: der äußere Eindruck kann täuschen.

Castello Estense IMit den beiden erwähnten Palazzi nähern wir uns nun aber eindeutig dem historischen Stadtkern Ferraras, der 1997 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wurde. Sie sind ein wichtiger Teil der Addizione Erculea, den Hinzufügungen zur mittelalterlichen Stadt, des bereits erwähnten Ercole I. d’Este. Der Herzog von Ferrara war für die Entwicklung von Ferrara so wichtig wie August der Starke für die von Dresden: er liebte die Künste, förderte sie. Er schuf mit seinem Planer Biagio Rossetti eine moderne Stadt, die heute noch zu funktionieren scheint. Er förderte – gegen den Widerstand des Papstes – die Zuwanderung spanischer, portugiesischer und deutscher Juden. Die jüdische Gemeinde wuchs im 16. Jahrhundert auf über zweitausend Personen an, zu dem Zeitpunkt gab es zehn Synagogen (heute noch drei – der Spaziergang am nächsten Vormittag wird uns auf den Spuren jüdischen Lebens in Ferrara begleiten).

Castello Estense3Das Castello Estense ist ursprünglich als Festung gebaut (der Grundstein wurde am 29. September 1389 gelegt – dem Namenstag von San Michele, dem Beschützer der Tore und Festungen). Aber unter den kunstliebenden Este-Herzögen wurde es mehr und mehr zum Palast, aus der Festung wurde ein herzoglicher Wohnsitz. Für die Öffentlichkeit zugänglich ist das Schloss erst seit 2006 – nach erfolgreicher Restaurierung. Die wurden durch die Erdbeben von 2012 zum Teil zunichte gemacht, mit Schäden und Verwerfungen (unter anderem am Löwenturm), aber auch mit feinen Rissen in den spektakulären Deckengemälden, die nun quasi mit weißem Heftpflaster gesichert sind. Eine nette Idee ist es übrigens, fast überall Spiegel aufzustellen, so dass man sich nicht einmal den Kopf verrenken muss, um die Decke anzusehen…

Castello Estense2Der Weg durchs Schloss birgt manche Überraschung. Es gibt veritable Gefängnisse, oder man findet sich plötzlich mitten auf dem Dach in einem Orangenhain (mit fantastischer Aussicht auf die Stadt – nicht schwer, sich zu entscheiden, wo das Leben netter war). Zweisprachige Tafeln (italienisch, englisch) helfen, die gesehenen Dinge einzuordnen, wenn man ohne Geschichtenerzähler im Museumsbereich unterwegs ist. Darüber hinaus gibt es eine sehr gelungene kostenlose App, mit der man durch um durch die Geschichte der Herzöge von Este reisen und die Orte entdecken kann, an denen sie drei Jahrhunderte gelebt haben (ANDROID | IOS).

Aperitivo Tiffany Piazza MunicipaleNatürlich könnte man viel länger im Schloss bleiben, sich alles noch ausführlicher ansehen. Aber wir haben doch keine Zeit! Was wir aber haben, ist Lust auf eine Pause. Für solche Fälle haben die Italiener die wunderbare Institution des Aperitivo erfunden. Also machen wir es kurz, schauen beim Verlassen des castello nicht mal in, sondern nur an die Kathedrale, nicht mal ins, sondern nur ans Rathaus und gehen zielstrebig zum Tiffany, das als Bar und Restaurant in der hintersten Ecke des Piazza Municipale liegt – also hinten nur dann, wenn man so wie wir reinkommt. Bei einem Cocktail, einem Glas Wein, einem caffè (as you like it) und der einen oder anderen Kleinigkeit zu essen ergibt sich die Möglichkeit, das Treiben an den Marktständen des Platzes zu beobachten. und wenn man Glück hat, kommt auch ein Brautpaar die außen liegende Treppe Lo Scalone d’Onore herunter – frisch getraut…

Die Vorstellung, gleich nach so einem opulenten Aperitivo ins mehrgängige Abendessen hinüber zu gleiten, schreckt Italiener nicht – sie sind es gewohnt. Unsereins, obwohl ja auch nicht ganz unerfahren in Sachen Essen und Trinken, freut sich dann aber schon, mit dem Rad noch ein paar Kilometer durch die Stadt und entlang der Stadtmauer heim ins Quartier zu fahren…

20:00 Uhr: Abendessen im Principessa Pio

Der Bericht über das Abendessen ist in einem eigenen Beitrag veröffentlicht.

Tag zwei – Vormittag/Mittag

Ferrara Collage Tag 2

10:00 Uhr: Jüdischer Friedhof, das Ghetto und MEIS

Jüdisches Ferrara - FriedhofDer jüdische Friedhof ist ein Teil der großen Grünflächen im Norden der Stadt – ein anderer ist der Katholische Friedhof, ein dritter der Gutshof, auf dem Principessa Pio liegt. Über die  via delle vigne, den Weinbergsweg, kommt man schnell zum Tor des mit einer Mauer umgebenen Jüdischen Friedhofs (geöffnet April bis September, 9–18 Uhr, sonnabends geschlossen). Man kann nicht einfach hinein – es gibt eine Klingel am Nebentor und eine Kustodin, die 82 Jahre alte Mara Pazzi (die übrigens keine Jüdin ist, sondern katholisch). Hinter den Mauern eröffnet sich ein großes Gelände, das eher einem Landschaftspark gleicht mit großen, alten Bäumen. Der 1626 eröffnete Friedhof soll früher nicht ganz zu Unrecht auch als „jüdische Gärten“ bezeichnet worden sein. Das Jahr 1626 steht übrigens in Konkurrenz zu einem älteren gefunden Grab, das ins Jahr 1549 führt. Die Geschichte des Friedhos spiegelt ein wenig die Geschichte der Juden: es gab Blütezeiten jüdischen Lebens und es gab Verfolgung. So wurden während der Inquisition im Jahre 1755 Gräber zerstört, und die Herrschenden hatten auch kein Problem damit, Teile von Grabsteinen ​​eines anderen (kleineren) jüdischen Friedhofs in der Nähe der Via Arianuova nach der Zerstörung im achtzehnten Jahrhundert zu verbauen – in der Säule am Rathaus, auf dem die Statue von Borso d’Este steht. Viele Besucher des jüdischen Friedhofs haben genau ein Ziel: das Grab von Giorgio Bassani. Dessen Roman Il giardino dei Finzi-Contini (1962, im Deutschen wurde aus dem Garten dann Die Gärten der Finzi-Contini) schildert das Leben des reichen jüdischen Bürgertums in Ferrara während des späten Faschismus seit den Rassengesetzen und liefert scheinbar eine präzise Topographie von Ferrara. Wer jedoch den (oder die) Gärten sucht, wird nicht fündig: Bassani war eben mehr Romancier als Historiker. Sein Grab liegt etwas abgelegen ziemlich weit hinten im Friedhof. Anhänger des bekannten Schriftstellers kommen von weit her, um das Grab mit dem Denkmal des Bildhauers Arnaldo Pomodoro zu besuchen.

Jüdisches Ferrara – GhettoVom Friedhof in die Stadt ist es nicht weit, wir nehmen aber dennoch das Rad bis ins Zentrum – es geht (!) halt schneller. Zu Fuß geht es durch die engen Gassen der Innenstadt, auch durch den Teil, der früher das Ghetto war. Nachdem die Herzöge der Este-Familie die Juden protegierten, ihnen Schutz gewährten, wuchs die jüdische Gemeinde in Ferrara im 16. Jahrhundert auf über zweitausend Personen an, es gab insgesamt zehn Synagogen. Ferrara galt als eines der wichtigsten Zentren der jüdischen Kultur. 1598 mussten die Este jedoch die Stadt verlassen, sie fiel an den Kirchenstaat. Die Stigmatisierung der Juden begann, sie mussten zur Erkennung gelbe Schals tragen, das Ghetto bekam fünf eiserne Tore, die nur tagsüber geöffnet waren. Heute sieht man die Dinge nur, wenn man sie weiß oder genau hinsieht: Drei Synagogen verbergen sich hinter der Fassade des Hauses Via Mazzini 95. Zwei Gedenktafeln rechts und links von der Eingangstür erinnern an die Verfolgung und Deportation der Juden in der Zeit des Faschismus.  In einer der Nebenstraßen – der Via Vittoria 41 – erinnert eine Gedenktafel daran, dass hier einmal die Spanische Synagoge stand. In der Parallelstraße Via Vignatagliata gibt es einige Häuser mit sehr schönen Gesimsen und reich dekorierten Portalen. Das Haus Nr. 33 gehörte dem Rabbiner, Arzt und Philosophen Isacco Lampronti (1679 bis 1756), in der Nummer 49 wurde jüdische Brot gebacken, in der 79 waren Kindergarten und Grundschule untergebracht – dort unterrichtete Giorgio Bassani von 1938 bis 1943. Heute ist hier eine Schreinerei untergebracht… Wer das alles nicht weiß (oder wem’s egal ist): schöne und/oder interessante Fassaden gibt es allemal.

Jüdisches Ferrara – MEISBassani, immer wieder Bassani. Im Gefängnis saß er 1943 während des Faschismus auch – genau in dem Gebäudekomplex, der nach 80 Jahren Gefängnis zu einem modernen Museum wurde: „Meis“ heißt es, was für Museo Nazionale dell’Ebraismo italiano e della Shoah steht, eingedeutscht Nationales Museum des italienischen Judentums und der Schoah. Das Museum ist noch längst nicht fertig – das Gesamtprojekt umfasst fünf weitere Gebäude und soll bis zum Jahr 2020 abgeschlossen sein. Wenn man vor Ort ist, merkt man freilich nicht, dass  etwas fehlt, was vielleicht auch am gelungenen Empfang liegt. Zwischen Einlass und Museumsgebäude liegt der „Garten der Fragen“, ein Kräuterlabyrinth mit Lorbeer, Myrte, Lavendel und Majoran, in dem man viel über die jüdischen Speisegesetze erfahren kann. Die erste Ausstellung greift nur einen kleinen Teil der Geschichte des Judentums auf: „Juden, eine italienische Geschichte. Die ersten tausend Jahre.“ vermittelt Wissen anhand von mehr als 200 zum Teil sehr wertvollen Objekten, Repliken und geschickt eingesetzten Multimedia-Angeboten. Dazu gehören Experten, führende akademische Autoritäten, die zu den jeweiligen Themen reden – im Original italienisch, aber mit englischen Untertiteln: Sehr gut gemacht!

13:30 Uhr Mittagessen

Im Ristorante Ca‘ d‘ Frara lernten wir Spezialitäten der Stadt kennen: Cappellacci di Zucca al Ragù, Pasticcio di maccheroni und Salama da Sugo – dafür gibt’s einen eigenen Beitrag.

[Besucht am 9. und 10. Juni 2018 | Links zu den besuchten Orten stehen jeweils im Text]

 

Die Tour

Die hier wiedergegebene Tour entstand in zwei Teilen: an einem Nachmittag (vom Hotel über die Stadtmauer ins Stadtzentrum, Castello Estense, durch die Altstadt, unten die Stadtmauer entlang und durch die Stadt zurück) und dem darauf folgenden Vormittag (vom Hotel zum Jüdischen Friedhof, von dort in die Stadt durchs Jüdische Viertel und durchs Zentrum zum Restaurant).

 


Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Bericht wurden im Rahmen einer Pressereise vom Consorzio Visit Ferrara unterstützt.

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