Unterwegs auf den Spuren der Aale

Aalfang im Valle Campo

Dieses ist eine ernsthafte Warnung an alle, die keinen Aal mögen: Fahren Sie nicht zwischen dem 28. September und dem 14. Oktober 2018 nach Comacchio! Denn dann steht die Stadt, die aus gutem Grund auch Klein-Venedig genannt wird (damit freilich nicht allein da steht), ganz im Zeichen der Aale und feiert die Sagra dell’Anguilla, des Fest des Aals. Wer hingegen Aale mag, könnte hier im mehrfachen Sinn ganz auf seine Kosten kommen.

Comacchio feiert seit 1999 jedes Jahr im Oktober den Fisch, der die Stadt mal reich und bekannt gemacht hat. Dann wird in den Straßen der lieblichen und betulichen Kleinstadt vor allem gegessen und getrunken – Italiener lieben das ja, und das Wetter ist ihnen dabei meist auch ein freundlicher Helfer. Wir waren im Juni da – ohne Festival, manchmal auch ohne Sonne, aber dennoch mit Aal.

Fischfang erklärtUnterwegs auf den Spuren der Aale begannen wir dort, wo sie gefangen werden. Enrico Nordi empfängt uns – er gehört einer alten Fischerdynastie an. Heute verdient sich die Familie ihr Geld redlich mit Fischfang und Tourismus, das war aber nicht immer so. Vater Giovanni beispielsweise, der mit seinen über 80 Jahren immer noch dabei ist und heute verschmitzt lächelnd auf seine Vergangenheit hinweisen kann (ist ja lange genug her), hat früher® auch schon mal illegal in der Lagune gefischt. Die Aal-Wilderei war nämlich eine gängige Art, in der Lagune von Comacchio auf Aalfang zu gehen. Abgabenfrei an Aal zu kommen, war nicht ungefährlich, man kam schon mal in den Knast dafür. Aber, so erzählt Enrico, die Wärter der geschnappten und eingesperrten Fiocinini, der Wilddiebe (die aus Verzweiflung heimlich fischten, um ihre hungernde Familie daheim zu ernähren), hatten oft ein Einsehern: sie öffneten nachts die Tore, damit die Fischer ihrem Job nachgehen konnten. Wieviel Aale für diese Nettigkeit auf dem heimischen Grill der Wärter landeten, erfuhren wir allerdings nicht.

Altes Boot zum AalfangWie gesagt, mittlerweile fischen die Nordis nicht mehr im Trüben, sondern ganz legal in den Lagunen und obendrein im Tourismus. Auf dem Weg zum Boot haben sie einen Lehrpfad angelegt, mit alten Booten und Fanggerät – zweisprachig italienisch-englisch ausgeschildert und erklärt. Der traditionelle Aalfang ist schon lange kein Geldbringer mehr, weil die einst zahlreich vorhandenen Aale auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten stehen. Das hängt natürlich mit der menschgemachten Veränderung der Umwelt zusammen – und mit der anstrengenden Art, wie sich die Aale vermehren. Die Aale werden nämlich in der Sargassosee (in der Nähe der Bahamas) geboren – und nur da. Sie wandern durch die salzigen Meere, zuerst als Larve, dann als Glasaal und später als Gelbaal durchs Süßwassersystem ins Landesinnere, um in ihrem Lebensraum alt zu werden. Jahre später schwimmen sie dann die über 5.000 Kilometer zurück, mit veränderten Körpern: Blankaale (mit weißem Bauch, daher der Name) haben keinen Verdauungstrakt mehr, weil sie sich nicht mehr ernähren. Sie schwimmen an den Geburtsort, um dort abzulaichen – und dann zu sterben. Mit den Nachkömmlingen beginnt der Kreislauf dann wieder von Neuem.

FlamingosDie Lagune von Comacchio ist so eine Heimat der Aale, wie auch immer die Fische sie ursprünglich gefunden haben. Die Lagunge hatte bis vor etwas mehr als hundert Jahren eine Ausdehnung von mehr als 60.000 Hektar Wasser mit seichtem Wasser und Böschungen. Die Zahlen über die Größe variieren übrigens: seit hunderten von Jahren ändert sich die Landschaft permanent, der Fluss Po schleppte Sand an und suchte sich immer neue Wege ins Meer – der Ursprung des Po-Delta. Es entstand eine natürliche Landschaft mit Brackwasser, das durch die Mischung von Süß- und Salzwasser entsteht, mit Landzungen und Inseln. Comacchio war ursprünglich eine Lagunenstadt auf dreizehn separaten Lagunen-Inseln, umgeben von den etwa 18.000 Hektar großen Lagunen von Comacchio (Valli di Comacchio). Nach den Trockenlegungskampagnen im 19. und 20. Jahrhundert schrumpfte deren Größe auf etwa 9.000 Hektar. Der Stadtkern liegt heute am Rand der Valli di Comacchio, sieben Kilometer von der Adriaküste im Osten entfernt.

Auf der LaguneMit den beiden Nordi-Männern fahren wir auf dem Boot in den Sonnenuntergang – der sich an diesem Tag wegen aufkommenden Wolken sehr schüchtern präsentiert. Das fehlende Licht schmälert auch die Farbigkeit der Flamingos ein wenig, die sich hier im flachen Wasser der Lagune extrem wohl fühlen. Zu futtern gibt es auch genug, eine kleine Kostprobe bekommen wir mit, als Enrico Nordi zusammen mit Giovanni an einer mit Stangen markierten Stelle in der Lagune das Boot stoppt. Hier liegen Fangnetze aus, eins holt Enrico an Bord und präsentiert den Fang: ein Gründling, eine Seezunge, etliche Krustentiere und Krebse. Wir lernen, Männlein von Weiblein zu unterscheiden: die Krebse mit dem Dreieck sind männlich, die weiblichen sind da rund. Und sie schmecken besser, erfahren wir… Auch neu für die meisten an Bord die Antwort auf die Frage, wie man als Krebs in so einem doch recht stabilen Panzer wächst. Ganz einfach: die Tiere häuten sich und wachsen dann innerhalb von zwei Tagen. Kurz vor dieser Zeit sollen sie besonders schmackhaft sein – aber speziell diese Krebse zu fangen, sei die hohe Schule. „Ich hab’s noch nicht richtig geschafft!“ meint Enrico.

Aalfabrik Valli di ComacchioIn Comacchio gibt es mittlerweile wieder eine Fabrik, in der zur Fangsaison an sieben Feuern Aale gebraten, mariniert und in Blechdosen verpackt werden. Sie ist gleichzeitig auch Museum, denn wie gesagt: ein wirklich lohnender Wirtschaftszweig ist der Aalfang nicht mehr. Dafür besinnt man sich in Zeiten zunehmenden Tourismus auf die Vergangenheit und richtet eine alte Aalfabrik als nahezu original belassenes Anschauungsobjekt für Touristen wieder her. Die Casoni di Valle geben einen wunderbaren lost place ab, mit Stroh auf den matratzenlosen Rosten der Betten, wackligen Stühlen an schlichten Schreibtischen und reichlich tanzende Mücken vor der Tür. Die beiden Häuser – eins zum Leben, eins zum Arbeiten – erreicht man nur mit einer Bootsfahrt, die insgesamt ca 1:40 Stunden dauert (und 12 € kostet). Für Einzelpersonen gibt es garantierte Abfahrten – egal wie viele Mitfahrer noch am Steg warten (Details).

Praktischerweise (wobei: in Italien ganz sicher kein Zufall) bietet ein Restaurant direkt am Anlegesteg das passende Essen an. Das Ristorante Il Bettolino erfreut sich großer Beliebtheit (man kommt ja auch mit dem Auto direkt bis vor die Tür!) – aber das wird ein eigener Beitrag

Vallecampo
Statale SS 309 Romea, n° 82 (km 21)
44022 Lido di Spina, Comacchio (FE)

Tel. 3207803565
www.vallecampo.it

[Besucht am 7. und 8. Juni 2018]


Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Bericht wurden im Rahmen einer Pressereise vom Consorzio Visit Ferrara unterstützt.

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