48 Stunden Harz

Bad Lauterberg – Rappbodetalsperre – Goslar

Ein Wochenende im Harz kann ganz schön schnell vorüber gehen – und es brauchte bei unserem Wochenende dazu nicht einmal knallegutes Wetter, denn wir hatten auf Einladung des Vital Resort Mühl in Bad Lauterberg Station gemacht: dort gibt es (der Name legt’s nahe) einen großen Wellnessbereich, den auszutesten das Wetter anbot.

Tag eins – Nachmittag und Abend

Collage Harz, Tag 1

15 Uhr: Check in

Vital Resort MühlUnser Hotel liegt mitten in der Stadt direkt am Kurpark und an der Oder (natürlich nicht der bekannten, die ist deutlich länger). Es ist offensichtlich im Laufe der Zeit gewachsen, denn es ist ein Komplex mehrerer Häuser. Das ist, wenn man erst einmal eingecheckt hat, sehr kommunikativ. Woher des Wegs, wohin? Man kann ja fragen – oder sich drauf verlassen, dass es in Wirklichkeit gar nicht so schlimm ist: nicht nur begabte Pfadfinder sind zur verabredeten Zeit im Restaurant oder an der Bar. Und auch zurück erwies sich der Weg zu den Zimmern im modernen Landhausstil als nicht so arg schwer.

16 Uhr: Stadtbummel

Kurpark Bad LauterbergBad Lauterberg ist eine gemütliche Kleinstadt am Rand des Harzes mit einer schnuckeligen Bummelzone in der Innenstadt. Und einem Kurpark mit allem Pi, Pa und auch Po (also Konzertpavillon, Kurhaus und schönen alten Bäumen). Weil mit dem Bau der Anlage schon 1866 begonnen wurde, macht sie einen sehr gewachsenen Eindruck. Allein mit den Denkmalen auf dem Bummel könnte man eine kleine Geschichte der Stadt erzählen: eine Lore weist den Weg zum historischen Stollen der Scholmzeche und verweist damit auf die Bergbau-Vergangenheit des Ortes. Die Büste von Sebastian Kneipp („er wies uns den Weg zu Gesundheit und Lebensfreude“) steht für die Zeit nach der Blüte des Bergbaus des heutigen staatlich anerkanntes Kneipp-Heilbads und der Schroth-Kurstadt Bad Lauterberg.

Hauptstraße Bad LauterbergTourismus ist mittlerweile der Hauptwirtschaftszweig der betulichen Kleinstadt (etwas über 10.000 Einwohner). Was tun die, wenn sie nicht gerade in der Harz-Landschaft drumherum wandern, biken oder sonstwie aktiv sind? Sie stadtbummeln! Da fügt es sich doch gut, wenn gleich eingangs zur Haupteinkaufstraße Cafés und Eisdielen den Teil Lebensfreude der Inschrift am Kneipp-Denkmal zu befriedigen trachten. Ansonsten ist es hier freilich so wie in vielen deutschen Kleinstädten: die Öffnungszeiten sind für Großstädter gewöhnungsbedürftig. Wenn um halb sechs die Geschäfte schließen – ob sie dann um sechs auch schon die Bürgersteige hochklappen? Wahrscheinlich nicht, auch wenn wir da schon wieder im Hotel waren und uns aufs Abendessen vorbereiteten.

Aber so weit ist es ja noch nicht, denn erst mal gucken wir Fachwerk und erfreuen uns an den Schildern in den Geschäften. „20% auf das Baby Sortiment“ gab uns kurzfristig zu denken, aber eine kurze Überprüfung ergab: die verkaufen nicht wirklich Babies dort. „Icecream to go is not allowed to eat at the tables! Different tax“ signalisierte, dass es offensichtlich auch ausländische Gäste gibt und dass man denen gegenüber durchaus netter als zum deutschsprachigen Rest ist, denn dort fehlte der quasi entschuldigende Steuerdifferenzhinweis (den man ja eh nicht verstehen muss, aber so ist das eben: mit sitzen zahlste 19 % Umsatzsteuer, mit weggehen die ermäßigten 7 %. Märchenhaft!

St.-Andreas-Kirche Bad LauterbergDie St.-Andreas-Kirche steht – man möchte sagen: ohne viel Aufhebens – an der Hauptstraße. Es gibt reguläre Öffnungszeiten, aber ein Griff an die Klinke lohnt immer: wir konnten auch außerhalb der planmäßigen Zeiten rein, weil an der Orgel jemand sein Spiel probierte. St. Andreas ist Schutzpatron der Bergleute, ein weiterer deutlicher Hinweis auf die Vergangenheit von Lauterberg als Bergstadt. Die Baugeschichte der Kirche lässt einen sehr anschaulich am Begriff gute alte Zeit zweifeln (ich raffe mal den Text zusammen): 1571 Neubau (weil die erste Holzkirche baufällig geworden war). Ein Feuer in Lauterberg am 12. September 1641 (Marodeure…) zerstört die Kirche weitgehend. Wiederaufbau bis 1644, aber erneut lodert ein großer Stadt-Brand am 23. Januar 1667. Wiederaufbau (fünf Jahre…) und 1734 ist  wegen des schlechten Zustands der Kirche ein Umbau mit Vergrößerung der Kirche geplant, was nicht klappte, weil die Nachbarn nicht verkaufen wollten. Also erfolgte 1736 nur eine Renovierung. 150 Jahre später wird erneut der schlechte Zustand des Gebäudes beklagt, Umgestaltungsmaßnahmen unter Beibehaltung der alten Bausubstanz waren die Folge. Das Kirchengebäude wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt. Das teilzerstörte Dach wurde 1957 erneuert und die Innenausmalung 1962 restauriert. 1964 folgte eine Renovierung des Außenbaus. Die letzte Außenrenovierung zur Sicherung der Bausubstanz erfolgte 1990.

20 Uhr: Abendessen

Restaurant GenussschmiedeDas Abendessen im hoteleigenen Restaurant „Die Genussschmiede“ wartete mit mehreren Überraschungen auf. Nummer eins in vielerlei Hinsicht war unsere Bedienung. Karsten Fraszczak kombinierte Fachwissen, den Charme eines Kellners der alten Schule und eine gehörige Portion Showtalent. Die zweite Überraschung kam beim Lesen der Weinkarte. Wir sind ja nördlich des 51. Breitengrads und ziemlich im Osten des alten Westens – nicht gerade eine Weingegend. Die Karte ist auch nicht wirklich groß, aber mit Weinen von Winzern wie Meyer-Näkel, Heger, Markus Schneider und etlichen VDP-Winzern gibt es eine schöne Auswahl, die nicht enttäuscht. Vor allem sind die Weine sehr freundlich kalkuliert, das haben wir andernorts schon arg schlimmer erlebt. Vergleichbar erfreulich las sich die Speisekarte, weil nicht überbordend groß und ebenfalls mit Preisen, die einen nicht in die vorübergehende Ohnmacht schicken. Der Praxistest konnte dann auch überzeugen: passte!

22 Uhr: Der Absacker

Eines der wichtigsten Worte, die man Leuten anderer Muttersprache beibringen sollte, lautet Absacker. Die Duden-Definition ist zwar irgendwie theoretisch richtig, aber sehr wirklichkeitsfremd: der Absacker, steht da seit 2004, sei ein „am Ende eines Zusammenseins oder vor dem Schlafengehen getrunkenes letztes Glas eines alkoholischen Getränks“. Also ehrlich, Herr Duden: dafür würde keine Bar aufmachen! Die Bar „Anno 56“ (in dem Jahr hat das Hotel eröffnet) hat aber open end geöffnet, woraus man schließen kann: Absacker, der: im wirklichen Leben nicht vorkommender Singular des ansonsten weit verbreiteten Ausdrucks: Absacker [Plural!] nehmen. Das Barpersonal merkte sich einfühlsam Lieblingsabsacker und empfahl auch mal Unbekanntes. Wie schon die Kollegen von der Deutschen Welle so trefflich formulierten: „Mit Absackern sollte man jedoch sehr vorsichtig umgehen. Selbst wenn sie der Verdauung am Abend helfen, drohen am nächsten Morgen Kopfschmerzen.“

Tag zwei

Collage Harz, Tag 2

9 Uhr: Frühstück

Morgennebel hinterm Vital Resort MühlDer Blick aus dem Fenster sagt: heute ist so ein Tag, wo man zwar die Hand vor Augen, aber nicht den Berg hinterm Hotel sieht. Also lautet der Plan: zuerst frühstücken und dann ab in den Bademantel und runter in den Wellnessbereich. Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig, wer mit Tee und Kaffee Probleme hat, könnte sich auch mit einem Glas Sekt einen Aufsacker (steht so nicht im Duden, das Wort…) gönnen.

10 Uhr: Wellnes a la carte

Wellness Bad LauterbergDie Wellness-Oase im Vital Resort ist 1.800 qm groß und wartet mit Angeboten auf, die ein komplettes verregnetes (oder bewusst geplantes) Wellness-Wochenende ausfüllen könnten. Badelandschaft, Saunalandschaft und eine Menge Spa- und Beauty-Angebote. Was sollte man tun, wenn das Zeitbudget einen Vormittag vorgibt? Am besten, am Abend vorher (spätestens!) mal vorbeischauen und sich ein Programm zusammenstellen lassen. Zum Beispiel das Bademenü in vier Gängen, das mit einem Pharaonenbad beginnt (die einzige Anwendung, bei der auf Wunsch ein Glas Sekt dazu gehört), ein Meersalz-Peeling als Zwischengang serviert und eine Teilmassage als Hauptgang anbietet. Und zum Dessert? Eine Fußreflexzonenmassage. Wohlfühlen im Halbstundentakt! Aber, wenn man sowas nicht gewohnt ist, durchaus nicht unanstrengend, auch wenn andere die Arbeit haben. Der Absacker des Wellness-Menüs ist das Bett im Landhauszimmer…

13 Uhr: Ausflug

Rappbodetalsperre GrundnahrungsmitelDie Fahrt zur Rappbodetalsperre dauert ein wenig – unser local guide hatte aber freundlicherweise eine Brotzeit organisiert: in Braunlage bei Puppe’s (nur echt mit dem Apostroph…) kann man einkehren, man kann sich aber auch für die Fahrt was mitnehmen. Brot und Hirschsalamis (über Fichten- und Buchenspänen geräuchert) als Grundlage, ein dunkles Hexenbier (mit Plopp-Bügel-Verschluss), schmeckt süßlich-malzig und ein wenig (kein Wortwitz:) harzig. Und ohne Schierker Feuerstein, dem über 100 Jahre alten (also vom Rezept her…) Kräuter-Halbbitter des Apothekers Willy Drube. Für Zwecke wie diesen (also lustige Ausflugsfahrten oder so) gibt’s den Kräuterlikör in kleinen Fläschchen, aus denen man nicht einfach so trinkt, sondern wie folgt: Flasche öffnen, in den Mund stecken, Hände weg, Kopf in den Nacken, Schluck und gut. Vorsichtshalber sollte man nicht allzu viel davon mitnehmen: das Zeuch schmeckt und tut natürlich seine Wirkung. Da ist ein „wenn aus, dann aus“ vielleicht ganz hilfreich…

Die Rappbodetalsperre wartet seit ihrem Bau in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Rekorden auf. Die Staumauer ist bis zu 106 Meter hoch – und damit die höchste Deutschlands. Der fast vier Quadratkilometer große Stausee ist volumenmäßig der größte des Harzes – egal ob da nun 109,08 oder 113 Mio. Kubikmeter Wasser drin sind – die Quellen schreiben mal so und mal so. Und eine der größten Trinkwassertalsperren Deutschlands ist sie auch.

Talsperre WendefurthWir fahren über die Staumauer – rechts der Stausee der Rappbode, links weiter unten ein anderer: die Talsperre Wendefurth. Die hat den Vorteil, dass es dort eine Gaststätte mit Fischräucherei und einen Steg gibt, an dem man auf ein großes Floß steigen kann. Das schippert rund eineinhalb Stunden zuerst in Richtung der großen Rappbode-Staumauer. Die Landschaft gleitet vorüber – viel Wald, viel Grün. Und immer wieder macht es linker Hand ssssssssttttt: da rauschen Menschen vogelgleich an uns vorüber. Megazipline nennt sich das und ist eine Spielart des Eventunternehmens Harzdrenalin, dem es unverkennbar um eine Mischung aus Harz und Adrenalin geht. Die Sausemenschen brettern die größte Doppeseilrutsche Europas runter. Nicht selten begleiten sie das ssssssssttttt mit fröhlichem Qieken. Die Leute an Bord schauen höchst interessiert zu, einige rechnen den Umsatz des Unternehmens aus (39 € pro Flug, meisten rauschen zwei an uns vorbei – und das alle halbe Minute etwa) und erblassen vor Neid, andere erblassen vor Mulmigkeitsgefühlen in der Magengegend allein beim Zuschauen.

Das Boot passiert das Pumpspeicherwerk Wendefurth (Fotomotiv, aber nicht aufregend) und kommt nahe an die Staumauer der Rappbodetalsperre. Da sieht man dann doch einiges: die gewaltig hohe Mauer, den Startpunkt des Megazipline und die Fußgängerhängebrücke TitanRT, die als weltweit längste Hängebrücke Ihrer Art gilt und unser Ziel nach der Floßfahrt sein wird. Ein Hattrick der Superlative! Wir tuckern aber in den gemütlichen Teil der Talsperre, ganz ohne Alleinstellungsmerkmal außer: schön da. Und vielleicht die Livemusik auf dem Schifferklavier und schunkelnden Gruppen…

Fußgängerhängebrücke TitanRTDie Fußgängerhängebrücke TitanRT wurde am 7. Mai 2017 eröffnet und war zu dem Zeitpunkt extrem rekordverdächtig: die insgesamt 483 m lange Brücke hatte mit 458 Metern das längste frei überspannte Teilstück aller derartigen Brücken. Aber – zack! – schon im Juli 2017 wurde in der Schweiz eine elf Meter längere Fußgängerhängebrücke eröffnet und der Weltrekord war weg. Wobei: über die frei überspannte Länge schweigen sich die Schweizer aus… Also wollen wir (für 6 € Maut, die das Passieren der von den Brüdern Maik und Stefan Berke privat betriebenen Brücke im Harz kostet – hin und zurück, wenn man will). Etwa 200 Leute dürfen gleichzeitig auf die Brücke – am schönsten ist es aber, wenn nicht so viele drauf sind, denn erstens hat man mehr Ruhe und zweitens schwingt die Brücke dann auch weniger. Denn für Leute mit Höhenangst oder einschlägigen Erfahrungen mit Seekrankheit ist die Brücke schon eine Herausforderung. Immer wieder begegnet man richtigen Bleichgesichtern… Für die ganz Harten freilich gibt es noch ein Sahnehäubchen: Man kann aus hundert Meter Höhe einen Pendelsprung machen, also runter huppen und dann (anders als beim Bungee-Jumping nach dem Sprung nicht wie am Gummiband hoch und runter machen, sondern wie an einem Pendel hin und her schwingen. Gigaswing heißt das auf neudeutsch und kostet 79 €.

Blauer SeeDie Kombination aus bleich und blau kann man auf der Hängebrücke (vor allem bei Gruppen der Sorte Junggesellenabschied) durchaus erleben. Bleich hatten wir auch in der Gruppe, für blau fuhren wir einige Kilometer an den Blauen See – der seine bestechende Farbe übrigens der Farbe weiß verdankt: Der See am ehemaligen Kalk-Steinbruch Garkenholz schluckt alle Farben außer blau. Manchmal – vor allem im Sommer – wird aus blau aber türkis bis grün. Warum das so ist, umschreibt eine Quelle sehr vornehm: „Ursache sind u.a. die vielen Badelustigen, welche durch einen zu hohen Nährstoffeintrag den Algenwuchs unnötig fördern.“ Pullermann, geh Du voran!

Apotheke SchierkeWir waren nicht im See, sind also nährstoffeintragsmäßig unschuldig. Also eigentlich wie immer. Auch die Apotheke von Willy Drube sahen wir nur von außen. Aber das reichte, um festzustellen: wir hatten wirklich ganz, ganz kleine Fläschchen vom Schierker Feuerstein probiert. Die vor dem Haus ist überstockwerksgroß und wohl auch nur ein dezenter Hinweis auf das Stammhaus der Firma. Hier wirkte nämlich Willy Drube, ein Apotheker alten Schlages. Neben allerlei Tinkturen und Arzneien mischte er auch ein Elixier, das die Kurgäste in Schierke von Magenbeschwerden befreien sollte. Für Neben- bzw. Nachwirkungen fragen Sie in diesem Fall lieber nicht den Apotheker!

Tag drei – Vormittag/Mittag

Collage Harz, Tag 3

10 Uhr: Goslar – Stadtrundgang

Wir sind nach Goslar gefahren. Eigentlich hätte man ja auch noch einen Abstecher zum Rammelsberg machen müssen – nicht wegen des hübschen Namens, sondern weil der quasi lange als Goldsäckel für die Stadt diente. Erz lautet das Zauberwort, und wir wissen ja: wo es Erz gibt, gibt es Reichtum. Auf dem Rammelsberg wurde seit dem 3. Jahrhundert Erze abgebaut, das Silber soll – so die Sage – das Pferd des Jägers Ramm beim Scharren entdeckt haben, und des Jägers Frau Gosa ist demnach Namensgeberin der Stadt Goslar. Das Bergwerk wurde (erdst) 1988 stillgelegt – und ist seit 1992 zusammen mit der Altstadt Goslars Weltkulturerbe der UNESCO. Seit 2010 zählen auch die Wasserleitsysteme des Oberharzer Wasserregals dazu. Auch da waren wir nicht, denn: wir hatten doch keine Zeit! Außer für die Altstadt in Goslar (und den Rest haben wir auf die To-Visit-List gesetzt).

Markt von GoslarAus gutem Grund startet unser Stadtrundgang durch die Stadt mit den vielen Fachwerkhäusern am Markt. In der Mitte ein Brunnen, dahinter das gotische Rathaus, zur Linken das jetzige Hotel Kaiserworth – da kann man sich ein großes Stück vom goslarschen Geschichtskuchen abschneiden. Das Rathaus wird (seit 2011 und wohl noch bis 2019) saniert, was ja nie ein leichtes Unterfangen ist. Nun gilt es – Goslar ist Welterbe! –, die Anforderungen der heutigen Zeit mit denen der Geschichte des Hauses zu vereinen. Heinrich Heine, der am 17. September 1824 [Quelle] noch ganz zu Beginn seiner Harzreise stand, fand nicht wirklich nur lobenswerte Worte zu Goslar, das Rathaus nennt er „eine weißangestrichene Wachtstube“. Wahrscheinlich hat er aber den repräsentativen Huldigungssaal im Rathaus nicht gesehen – so wie auch wir nicht, wegen der Renovierung. Heine suchte Abwechslung im Allzumenschlichen (Vorsicht: ein frühes Mee-Too-Ereignis!) und kümmerte sich vielleicht ein wenig allzu forsch um das „wunderschöne Lockenköpfchen“, das er bei seiner Ankunft in Goslar lächelnd im Fenster sah. Zurück im Hier und Heute liest sich übrigens der Hinweis am Rathaus sehr schön: „Wir wissen noch nicht genau, wann wir eröffnen. Aber es wird pünktlich sein.“

Goslar Kaiserworth Goslar MarktbrunnenDie 1494 erbaute Kaiserworth ist das ehemalige Gildehaus der Tuchhändler und hat dem jungen Herrn Heine ganz gut gefallen („hat schon ein besseres Ansehen“). Der schriftstellernde Jurastudent gibt dann aber eine nette Beschreibung zu dem Haus ab: „Ungefähr von der Erde und vom Dach gleichweit entfernt stehen da die Standbilder deutscher Kaiser, räucherig schwarz und zum Teil vergoldet, in der einen Hand das Szepter, in der andern die Weltkugel; sehen aus wie gebratene Universitätspedelle. Einer dieser Kaiser hält ein Schwert, statt des Szepters. Ich konnte nicht erraten, was dieser Unterschied sagen soll; und es hat doch gewiß seine Bedeutung, da die Deutschen die merkwürdige Gewohnheit haben, daß sie bei allem, was sie tun, sich auch etwas denken.“ Was Heine erstaunlicherweise nicht erwähnt, ist das hübsche Detail des Dukatenmännchens, das da fröhlich unter Abundantia, der Göttin des Überflusses, hockt und und Dukaten kackt.

Wir schauen uns das alles vom Mittelpunkt des Marktes an, den der Brunnen nicht übersehenswert markiert. Zwei Schalen und ein güldener Adler verleihen ihm ein markantes Aussehen. Die untere Brunnenschale hat einige Jahre auf dem Buckel, sie stammt aus 12. Jahrhundert und gilt als größter Bronzeguss der romanischen Zeit überhaupt. Die obere Schale war mal ein eigenständiger Brunnen und ist 100 Jahre jünger. Der Adler obendrauf stammt (ohne die Krone, die kam viel später aufs Köpfchen) aus dem frühen 13. Jahrhundert.

Goslar FachwerkWir verlassen den Markt und erleben schlendernd die Gassen von Goslar. Die großartigen Fachwerke scheinen alle renoviert. Meist gülden glänzen Inschriften, die auch Aufschluss über die Baujahre geben: 1730, 1693, 1617, 1614, 1573, 1523, 1500 – und es muss ja nicht immer Fachwerk sein für beeindruckendes Alter: Das Baujahr 1191 lässt schon Ehrfurcht aufkommen (an der ehemaligen Kapelle St. Spiritus der Deutschherrenritter). Das Haus steht an einem Bach mit dem seltsamen Namen Abzucht, der quer durch Goslar fließt und früher Wasserräder die bergbaulichen Anlagen am Rammelsberg antrieb sowie zur Erzwäsche genutzt wurde – der Name leitet sich aus dem Abziehen der belasteten Hüttenwässer ab. Diese Art der Wäsche macht freilich nicht den Bach sauber, so dass da ganz schön Schmutz durch die Stadt floss – im Gegensatz zum Wasser der Gose, das auf zweierlei Weise Trinkwasser war: einmal direkt und dann auch, weil man mit dem Gosewasser Bier braute.

Goslar Großes Heiliges KreuzGleich nebenan geht’s ins Große Heilige Kreuz, das 1254 als Hospiz errichtet wurde und Bedürftigen, Gebrechlichen und Waisen sowie Pilgern und anderen Durchreisenden ein Nachtlager und was zu essen und trinken bot. Teile des romanischen Baus wie Fenster und die Johannes dem Täufer gewidmete Kapelle sind noch so zu sehen wie in der Entstehungszeit – was die alles gesehen haben! Die letzten Bewohnerinnen des Hospizes zogen in den 1980er Jahren aus, danach wurden die Räume saniert. Heute sind es Kunsthandwerker in den sieben Stübchen, die das Heilige Kreuz beleben – und Touristen natürlich, die den Weg durchs Portal finden (Öffnungszeiten: Mittwoch – Sonntag 11 – 17 Uhr). Außerdem finden in der Däle am ersten Augustwochenende und an den Adventswochenenden Kunsthandwerkermärkte statt.

Auf dem Weg zur Kaiserpfalz kommt noch einmal Heinrich Heine in den Sinn. „In Gottschalks »Handbuch« [„Taschenbuch für Reisende in den Harz“, 2. Auflage von 1817, Anm. uvs, Quelle] hatte ich von dem uralten Dom und von dem berühmten Kaiserstuhl zu Goslar viel gelesen. Als ich aber beides besehen wollte, sagte man mir: der Dom sei niedergerissen und der Kaiserstuhl nach Berlin gebracht worden. Wir leben in einer bedeutungschweren Zeit: tausendjährige Dome werden abgebrochen, und Kaiserstühle in die Rumpelkammer geworfen.“ 

Goslar Eingangshalle DomHeinrich III. (* 11. November 1050 vermutlich in Goslar; † 7. August 1106 in Lüttich) ließ In unmittelbarer Nahe der Kaiserpfalz die Stiftskirche St. Simon und Judas errichten. Man sieht nicht mehr viel von ihr, lediglich die Vorhalle blieb erhalten, nachdem das 1047 erstmals in einer Urkunde erwähnte monumentale Bauwerk („mit einer Ost-Westausdehnung von 80 Metern [nahm es] beinahe die gesamte Fläche des heutigen Parkplatzes ein“ steht auf einem Erklärschild) zu Beginn des 19. Jahrhunderts „auf Abbruch” verkauft wurde: von 181 9 an dient sie einem Maurermeister als Basislager für Baumaterialien. Der Mann scheint gut im Geschäft gewesen zu sein: 1822 ist von der Kirche nichts mehr zu sehen – außer eben jene Vorhalle. Und der Parkplatz, unter dem die Grundmauern (die auf dem Parkplatz markiert sind) noch stehen. In einer späteren Zeit, wenn Autos nicht mehr so wichtig sein werden, könnte man die also noch freilegen…

Goslar ErzbrockenVor der Vorhalle steht ein Erzbrocken – einer von insgesamt zehn, die unter dem Titel „Hommage au Rammelsberg“ zu sehen sind. Der Bildhauer Christoph Wilmsen-Wiegmann hat im Jahr 2000 die zehn Erzbrocken für zehn Jahrhunderte der Verbindung des Bergbaus mit der Stadt Goslar geschaffen. und bilden einen Brückenschlag von früher zu heute. In die in der Stadt verteilten Brocken ist jeweils ein Handabdruck eingearbeitet – Zeichen für die (meist mühsame) Plackerei der Bergleute. Die zehn Standorte sind: Erzbergwerk Rammelsberg, Klauskapelle (ehem. Bergmannskapelle), Frankenberger Kirche, Jakobikirche, Bahnhof, Mönchehaus Museum Goslar, Marktkirche/Brusttuch, Domvorhalle, Kaiserpfalz und am Marktplatz.

KaiserpfalzDie Kaiserpfalz ist ein fast tausend Jahre altes Monument weltlicher Baukunst: Gebaut zwischen 1040 und 1050 gilt die Goslarer Kaiserpfalz als größter Profanbau seiner Zeit – und vor allem: er ist noch erhalten! Eine Pfalz ist nicht die Pfalz: letztere kennen vor allem Weintrinker („Zum Wohl die Pfalz!“), erstere – Pfalz mit eine statt die davor – ist hauptsächlich bei historisch Bewanderten ein Begriff. Weintrinkern und allen anderen, die es nicht so genau wissen, sei gesagt: Könige waren ehedem sehr volksnah unterwegs, sie waren im Mittelalter heute hier und morgen fort, aber immer irgendwo im Herrschaftsbereich vor Ort. Die Liste der Pfalzen in der Wikipedia ist lang, reicht von Aachen bis Zusmarshausen. Wer in der Wikipedia nachliest, erfährt auch, dass Kaiserpfalz eigentlich als Begriff nicht stimmt. In Goslar gibt’s die aber dennoch, und sie ist mit Kaisersaal, Ulrichskapelle und der Macht des Gesamteindrucks unbedingt einen Besuch wert – wenn man, und da sind wir wieder bei unserem Problem, die Zeit dazu hat. In zehn Minuten ist man da nämlich nicht durch, sondern allenfalls vorbei. Und das machten wir dann auch, nachdem wir die To-Visit-List ergänzt haben.

Goslar FachwerkWieder verzaubert uns die Fachwerkhauslandschaft. Krumme Böden machen sich auf romantischen Fotos sicher besser als beim Aufstellen von Tischen, aber wenn sich die Balken biegen, kann das ja auch nur äußerlich sein. Vielleicht haben sie ja innen für Ausgleich gesorgt! Es gibt kleine Häuser, manche trotz Innenstadtlage mit hübschen Gärten, und es gibt große Bürgerhäuser wie den Stammsitz der Industriellenfamilie Siemens aus dem Jahr 1693. Das Siemenshaus verband, wie seinerzeit üblich, Wohnen und Arbeiten. Und es hatte, in Goslar (wie auch andernorts) nicht unüblich, etwas, das in Zeiten von Craft Beer verheißungsvoll klingt: Braurecht. Über 380 Häuser besaßen im 17. Jahrhundert in Goslar dieses Recht, was bei der damaligen Wasserqualität aber durchaus gesundheitsfördernd war.

13 Uhr: Mittagessen im Brauhaus Goslar

Brauhaus GoslarStichwort Bier: Der Rundgang neigt sich dem Ende zu, die Füße werden müde, der Wissensdurst lässt nach und der richtige wächst. Da kommt doch beinahe am Start (und somit auch Ende) des Stadtspaziergangs das Brauhaus Goslar (geöffnet täglich ab 11 Uhr) wie gerufen. Das ist eine Gasthausbrauerei, in der es auch eine helle sowie eine dunkle Version der lokalen Spezialität Gose-Bier gibt. Die Gose, wir erinnern uns, ist das Flüsschen mit dem trinkbaren Wasser, das Bier gleichen Namens. Früher durch Spontangärung entstanden (was ja zumindest bei den Weinmachern heute gerne auch wieder gemacht wird), brauen der Braumeister Odin Paul und sein Brauer Arne Kosik heute im Zehn-Hektoliter-Sudwerk gezielt nach handwerklich-traditioneller Art. Gose schmeckt leicht salzig, was früher nicht vermeidbar war, war doch das Gose-Wasser mineralstoffreich. Heute kann man Salz (und manchmal auch Koriander) hinzufügen – Technik spielt halt bei modernem Handwerk auch immer mit. Gebraut wird ein- bis dreimal pro Woche, das Bier im Brauhaus Goslar ist also garantiert immer frisch. Zur Dreierprobe, bei der neben zweierlei Gose auch ein hauseigenes Rammelsberger Pils verköstigt werden kann, bietet sich eine deftige Brotzeit an. Der Harzer Spezialitätenteller (12,50 €) vereint Harzkäse, Tatar vom Harzkäse, Hackus, Gose-Bierbeißer, Gose-Bierwurst, Gose-Sülze, Gose-Schinken und Gose-Schmalz sowie ein mit Salatbouquet, Gewürzgurke und Treberbrot, auf der Schieferplatte. Und dann später, wenn es nach beer in schließlich beer out heißt, bitte nicht vergessen zu trennen…

Informationen

Links zu den besuchten Orten stehen jeweils im Text, hier noch die Karte zu den Spaziergängen (für Details jeweils einzoomen):

Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Bericht wurden im Rahmen einer Pressereise vom Vital Resort Mühl unterstützt. Die Reise fand vom 1. bis 3. Juni 2018 statt.

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