Was mit Schneckenleber und Blattgold

Kochsternstunden 2019: Spanien meets Spreewald in der Cantina

KSS Cantina

Keine Experimente! lautete 1957 der Slogan der CDU bei einem Wahlkampf. Aber was tun, wenn man doch Experimente liebt? Dann könnte man Jahrzehnte später in die Eventküche der Cantina gehen und dem Koch Jörg Thiele über die Schultern gucken, der hier gerade während der Kochsternstunden zweimal die Woche für jeweils rund sechzehn Gäste ziemlich verwegen versucht, Spanien und Spreewald geschmacklich zusammen zu bringen.

Er tut das nicht um der Alliteration willen, sondern weil’s passt: in der Cantina gibt’s Tapas, der umtriebige Koch Jörg Thiele hat (neben vielen anderen Stationen) zwei Jahre auf Mallorca gearbeitet und hat – nach anderen Stationen im Spreewald – nun eine Kräutermanufaktur in Burg als Basis seiner kreativen Tätigkeit gegründet. Da ist also genug Spanien und Spree drin, um den Titel der Eventreihe zu rechtfertigen.

Thiele passt aber auch aus anderen Gründen ganz gut, war er doch 2016 Finalist bei der TV-Kochshow „The Taste“. In der gleichen Staffel war auch Verena Leister dabei, die in Dresden ja schon hier und da und auch in der Cantina gekocht hat. Beide sind auch Mitglied der Löffelbande, deren von The Taste mitgebrachte Spezialität Essen auf Löffeln ist: ein kompletter Gang, bildschön angerichtet, hoch konzentriert vom Geschmack und mit einem Haps zu essen.

Diese Art anzurichten ist feine Ziselierarbeit, und was so leicht daherkommt, bedarf auch in puncto Geschmacksbildung große Planung: weil alles auf einmal gegessen werden sollte, müssen die Zutaten so liegen, dass sie die Zunge mit ihren Geschmacksknospen für süß, salzig, sauer, bitter und umami auch richtig mitbekommt. Dass sowas in Arbeit ausarten kann, glaubt man gerne – merkt es aber nicht. Ein Happs, ein hhmm oder wow oder lecker – und das war’s dann. Was für ein ungünstiges Arbeit-Spaß-Verhältnis!

Veganes Schmalzbrot mit Radieschen und Spreewaldgurken passt auf den ersten Löffel und erinnerte (auch wenn’s gar nicht so aussah) an ein deftiges Schmalzbrot. Kraut und Rüben mit Apfelessig und Meerrettich vereinen auf dem nächsten Löffel: Apfelessiggelee, gefolgt von einer Apfelperle mit Meerrettichcrunch, vorne drauf eine Rote-Bete-Sphäre – das alles auf mariniertem Spitzkraut. Dann ist noch Platz für frittiertes Karottengrün sowie Wasabinuss und Wasabikaviar. Und happs. Und weg. Und wunderbar!

Jörg ThieleDas waren, so mal nebenbei, nur die Grüße aus der Küche, die an diesem Abend besos dede la cocina hießen. Wir fühlten uns geküsst. Es ging so aufwändig weiter, auch wenn Jörg Thiele die weiteren Gerichte auf Tellern und in Schüsseln anrichtete. Die Karte verzeichnete immer nur die Hautgeschmäcker. Wer zwischen den Gängen in die offene Küche ging, erlebte den Koch ruhig werkelnd und immer („zur Sicherheit“, wie Jörg Thiele versicherte) wieder auf ein Blatt Papier schauend. Dort standen die einzelnen Bestandteile des jeweiligen Ganges, meist so ein gutes Dutzend. Sachen wie Röstzwiebelstaub, Seeigelrogen, Limettenperlen, Algenkaviar, Pistaziensand, salziges Karamel – alles immer kleine, aber wichtige und dann doch erahnbare oder schmeckbare Komponenten des Gesamtgeschmackbildes.

Champagne Louis Roederer Premier brutAber noch aufregender waren natürlich Teile der lesbaren Zutaten wie Süßwasserblase oder Seeigel oder Schneckenleber. Oder Gold. Ob das wirklich alles sein muss? Nicht muss, aber kann. Beim Gold am Rande des Desserts kamen wir uns schon ein wenig dekadent vor, und da half auch die Erklärung des Kochs nicht viel: „Warum Gold? Gold hat keinen Geschmack! Aber Gold hat ’ne gute Wirkung: Es ist stimmungsaufhellend!“ Und die von vielen argwöhnisch betrachtete Schneckenleber? Die schmeckte, ganz fein nach Leber, mit fester Konsistenz. Und in Verbindung mit Jacobsmuschel und Avocado war sie sogar so etwas wie das Tüpfelchen auf dem i.

Die Weinauswahl in der Cantina hat uns ja schon immer begeistert – und auch zu diesem Event hat Gastgeber Herbert Schmidt sich nicht lumpen lassen und sachkundig perfekte Begleiter zu den Menüs ausgesucht. Dass es gar keinen Wein aus dem Spreewald und auch andere als nur spanische gab, fanden wir dabei nicht mal schlecht…

Das Menü

  • Besos desde la cocina
  • Bio-Spreewaldkalb | Miso | Schwarzwurzel | Zwiebel
  • Gazpacho | Süßwasserblasen | Seeigel | Mallorca-Mandel
  • Jacobsmuschel | Schneckenleber | Algen | Avocado
  • Secreto | Bellota-Schinken | Langustino | Oliven | spanisches Risotto
  • Crema Catalana | Maulbeeren | Blattgold
  • Naschereien vom Baum

Die Weinbegleitung

  • Champagne Louis Roederer Premier brut
  • 2017 Kiedricher Turmberg Riesling Erste Lage, Robert Weil (Rheingau)
  • Sherry Lustau Manzanilla Papirusa (Andalusien)
  • 2016 Acustic Blanc, Acustic Celler (Montsant)
  • 2012 Roda Reserva, Bodegas Roda (Rioja)
  • 2001 Quinta dos Malvedos, Vintage Port, W.&J. Graham´s

Der Preis

  • Menü inkl. Weinbegleitung 119,00 €

Kulinarische Ermittlungen
im Cantina Restaurant und Weinhandel
Wittenberger Str. 76
01309 Dresden

Tel. +49 351 6561 5555
www.kulinarische-ermittlungen.de
www.lieblings-koch.com

[Besucht am 21. Februar 2019 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]


Hinweis:

Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.

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