Wo die Rheinromantik ihren Ausgangspunkt hatte

Das Brentanohaus in Winkel atmet Geschichte – nicht nur Goethe war hier.

Bettina von Arnim - Portrait und 5-Mark-Schein

So manch einer hat sie zerknüttert in der Tasche getragen, ohne es zu wissen. Man muss allerdings schon etwas älter sein, um sich zu erinnern, dass vom 27. Oktober 1992 bis zur Einführung des Euro-Bargelds am 1. Januar 2002 die Schriftstellerin Bettina von Arnim (die von 1785 bis 1859 gelebt hat) auf der einen Seite des 5-Mark-Scheins abgebildet war. So berühmt – aber kannte man sie wirklich? Im Brentanohaus in Oestrich-Winkel, wo die Rheinromantik ihren Ausgangspunkt hatte, kann man darüber sinnieren und dazu lernen – aber natürlich nicht nur zu dieser Kleinigkeit.

Angela Baronin von BrentanoAngela Baronin von Brentano führt uns durch das Haus, in dem sie bis 2014 Hausherrin war. Da hatte das Land Hessen das Brentano-Haus mit seiner Gartenanlage erworben – und als Außenstehender vermag man die zwei Seelen – ach – in jeder Brust nachzuvollziehen, die es bei diesem Akt gab: eine Familientradition endete hier, die 1804 mit dem Kauf des weitläufigen Anwesens als Sommersitz (später dann in ganzjähriger Nutzung) begann. Die andere Seite (von Seele mag man da eigentlich nicht schreiben, zu schnöde das Thema) hängt mit eben dem Alter des Hauses zusammen: alt ist es, erbaut sogar schon 1751. Und wenn man liest, dass „original erhaltene Räume … einen einzigartigen Eindruck von der Wohnkultur und dem Lebensgefühl der Zeit“ geben, dann klingt das natürlich aufregend – aber hey: original erhalten schreit ja nachgeradezu nach Renovierung, oder schlimmer noch: nach Sanierung. Und das kostet!

Keine Ahnung, wie das Seelenleben von Angela Baronin von Brentano im Bezug auf das Haus ist – das Geistesleben ist auf jeden Fall jede Silbe wert, goutiert zu werden. Die Baronin verfügt über einen großen Wissensschatz, sie erzählt authentisch (sie erzählt, sie trägt nicht vor!), sie teilt ihr Wissen bereitwillig und aufs Unterhaltsamste.

Die Brentanos waren, lernen wir, eine große Familie mit einem großen Freundeskreis. Goethe gehörte dazu, die Gebrüder Grimm, der Freiherr vom Stein. Auf den Geheimen Rath ist man natürlich besonders stolz, das Zimmer, in dem er 200 Jahre vor dem Verkauf des Hauses an das Land Hessen gewohnt hat, steht quasi noch so da, wie er es verlassen hatte. Dabei konnte der Dichterfürst, mit Verlaub, ein rechter Stinkstiefel sein. Er wollte nicht gestört werden, er wollte seinen Lieblingswein („Zum Abend hin genoss Goethe gerne Wein in nennenswerten Mengen“, lese ich mit Freuden in der Wikipedia), er wollte von der lieben Bettine (die ihn vielleicht ein wenig zu sehr mochte) nicht belästigt werden – all so was.

Brentanohaus - Goethes SchlafzimmerDie Rache des Hauses: Goethe schlief in einem Zimmer mit bezaubernder Tapete. Die ist aus Papier und immer noch strahlend grün, auch noch nach fast 200 Jahren (selbst da, wo sie sich von der Wand löst). Wie konnte das passieren? Das Geheimnis lautet Schweinfurter Grün, was die Bezeichnung für die Farbe ist. Was wir heute wissen: die strahlt nicht nur dauerhaft, die kann auch (mit Hilfe von Pilzen und chemischen Reaktionen, wer da mehr wissen will: nachlesen!) Arsen freisetzen. Es empfiehlt sich also, nicht mit der Zunge die Tapete zu lecken. Das gilt aber für alle musealen Räume, nebenbei bemerkt (sowie streng genommen auch für die nichtmusealen – wer macht denn sowas: Tapete lecken?).

Brentanohaus - SalonWir stehen oben im ersten Stock des Hauses im Saal, wo sich vor 200 Jahren das gesellschaftliche Leben abgespielt hat. Der Rhein wurde gerade touristisch entdeckt, man am „nur der Schönheit der Landschaft wegen“ – was neu war. Aber diese Lustreisen waren nur für die wenigen wirklich Reichen erschwinglich. Die aber reisten ins Rheingau und trafen sich bei Brentanos. Man las sich vor, musizierte, spielte – wie das Leben in den Salons damals halt so war.

Goethe war der bekannteste Gast im Haus. 1814 im September war er erstmals für längere Zeit da.Zwei Gästezimmer bekam er: eins zum Schlafen, eins zum Arbeiten. Er schrieb zu der Zeit an der Italienischen Reise, aber im Brentanohaus widmete sich Goethe wohl mehr den Wein- und Trinkliedern des Schenkenbuchs aus dem West-östlicher Divan – der genius loci! Bei traumhaftem Spätsommerwetter und fabelhafter Sicht (die heutigen Häuser gab’s noch nicht, die Sicht war frei!) floss nicht nur die Tinte… Aber der Herr Geheimrat war auch ein schwieriger Gast, Toni (die Hausherrin) schrieb in ihren Tagebuchaufzeichnungen, dass seine Vergötterung schon angefangen hatte. „Er hatte Starallüren und hat sich auch so benommen“, weiß  Angela Baronin von Brentano zu berichten.

BrentanohausAls Geburtsstunde für die Rheinromantik, lernen wir von der Baronin, gilt die Rheinreise von Clemens Brentano, der zusammen mit seinem Freund Achim von Arnim im Juni 1802 von Mainz bis Koblenz schipperte. Aus der knapp zweiwöchigen Rheinreise heraus entstand Wichtiges und Lesenswertes: Des Knaben Wunderhorn ist erschienen, Clemens Brentano schrieb die Rheinmärchen, er hat die Loreley verfasst.

Bettina von Arnim, die vom 5-Mark-Schein, hielt sich über viele Sommer wochenlang in Winkel auf. Sie galt als enfant terrible, sie hielt sich nicht an konventionelle Regeln. Im Sinne der Romantiker war sie vielleicht wirklich ein schrilles Anhängsel, aber das ist der Stoff, aus dem später dann die sozialpolitisch emanzipierte Bettina wurde. „Sie setzte sich ein für all diejenigen, die auf der Schattenseite standen – als Schriftstelerin und im Leben“, sagt die Baronin. Ihr politisches Engagement war ungewöhnlich für eine Frau in ihrer Zeit – und vielleicht der Grund, dass Bettina von Arnim dann auf dem 5-Mark-Schein landete. Original und der Fünfer als Fälschung hängen im Brentanohaus: Weil Köpfe auf dem Geldschein immer zur Zahl und nie nach draußen gucken, hat man das Original spiegelbildlich auf dem Geldschein abgebildet.

Brentanohaus
Am Lindenplatz 2
65375 Oestrich-Winkel

Tel. +49 6723 / 2068
www.brentano.de (Seite von Baron und Baronin von Brentano)
www.brentano-haus.de (Seite der Trägergesellschaft)

[Besucht am 19. Juli 2019]


Hinweis:
Die Recherchen zu den Rheingau-Berichten wurden von der Rheingauer Weinwerbung, dem Rheingau Musik Festival, der Rheingau-Taunus Kultur- und Tourismus GmbH sowie der Stiftung Kloster Eberbach im Rahmen einer Pressereise unterstützt.

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