Stimmungsvolles Bild einer Landschaft

Zum neuen Buch von Mathias Bäumel: Grenzen erfahren. Erkundungen in Pannonien

Im Schreiben kleiner Bücher ist er ganz groß. Typisch Journalist, denkt man sich und liegt wahrscheinlich gar nicht so ganz daneben, denn wie schon beim vor Jahren hier besprochenen Bändchen über Velemir Dugina hat sich Mathias Bäumel auch mit dem jetzt bei SchumacherGebler vorgelegten Buch Grenzen erfahren. Erkundungen in Pannonien für die kleine Form entschieden – im wörtlich-formalen wie im inhaltlich-übertragenen Sinn.

Bäumel ist Kultur- und Wissenschaftsjournalist – und dass wir uns kennen und neben der Liebe zum Wort auch die zu gutem Wein teilen, gehört als Randbemerkung hier hin – damit kein Mensch was von heimlicher Klüngelei sagen kann. Aber erstens klüngeln wir gar nicht und zweitens kann man ja durchaus schreiben, dass etwas gut ist – wenn es gut ist (ich weiß ja im Gegensatz zum Leser schon jetzt, dass mir nichts Schlechtes einfallen wird…).

Bevor das Schmökern beginnt, liegt das Buch in der Hand und fühlt sich gut an. Und wenn man dann fast ein wenig handgeschmeichelt zu blättern beginnt, will das schöne Gefühl gar nicht nachlassen. Ganz unprosaisch könnte man jetzt schreiben: Umschlag Fedrigoni Materica, terra rossa 180 g/m2 und Inhalt Munken Pure 100 g/m2, was man (wenn man nicht Einkäufer in der Druckerei ist) ja nicht einmal verstehen muss. Aber man kann einordnen: da hat sich jemand richtig Gedanken gemacht und ist zu einem feinen Ergebnis gelangt.

Beim Blättern (ich, aus alter Gewohnheit, von hinten nach vorne) kriegt man ja noch nicht wirklich was vom Inhalt mit, aber sieht doch schon was. Zum Beispiel, dass das Buch (von Kerstin Hübsch) gestaltet und klassisch gesetzt ist (wer traut sich noch so einen Satzspiegel?), keine Allerweltsschrift, angenehmer Zeilenabstand. Auch beim Blättern sieht man, dass der Text stark gegliedert ist durch viele kleine Sterne. Später beim Lesen werden wir merken, dass diese Häppchen keine Referenz an Menschen mit zu kleiner Aufmerksamkeitsspanne sind. Mir kam eher ein Fotoalbum in den Sinn, bei dem man sich einzelne Bilder ansieht und aufnimmt, die sich am Ende sich dann zu einem größeren Bild fügen. Wie bei einem Mosaik, das zu zahlreichen Assoziation verleitet. Und man kann, wenn man nicht ungeschickt blättert, drei abstrakte Grafiken der Dresdner Künstlerin Kerstin Franke-Gneuß entdecken.

Die Ausflüge Bäumels haben zu ganz verschiedenen Zeiten stattgefunden – mit 13 war er zuerst in der Gegend. Allein von Dresden aus auf dem Weg zu einem Jungen, mit dem er eine Brieffreundschaft gepflegt hat. Der Schlafwagenschaffner sollte aufpassen, dass er auch dass Aussteigen nicht verpasst. Im nicht verpassten Ausstiegsort Kisgunhalas lernte er dann seine Gastfamilie kennen. Das war 1966, und seitdem war Bäumel immer wieder da, mit wachsendem Interesse an Land und vor allem Leuten.

Wie erinnert man sich an die vielen Geschichten? Es gibt Briefe an die Eltern. Und es gibt die Freiheit des Schriftstellers, der sich erlaubt hat, Reales mit Fiktiven zu vermischen. Es handelt sich also nicht um ein historisches Dokument, sondern um Wort gewordene Gemütszustände mit allerhand Tatsächlichem. Insgesamt ergibt sich ein stimmungsvolles Bild einer Landschaft, in der man sich vielleicht nach dem Lesen so wenig auskennt wie vor dem Lesen, die sich aber dennoch im Kopf zu einem Bild formt.

Ungarisch spricht Bäumel immer noch nicht – weil er ja dort war, damit sein (Brief-)Freund deutsch lernen sollte. Aber so oft, wie er da war, klingt es schon ganz schön authentisch, wenn er im Gespräch Ortsnamen erwähnt oder kleine Mustersätze einwirft. Unsereins, dem alles Finno-Ugrische immer spanisch vorkommt, fällt das Lesen des magyarischen Idioms schwer. Was da geholfen hat, ist ein Blick auf die Karte. Das ist zwar ein Stück Realismus, der einem aus den Gedankenträumen beim Lesen reißen könnte – aber wenn’s denn hilfreich ist…

Man kann sich von den vielen vorhandenen diese oder jene Geschichte aus dem Buch rauslesen. Meine Augen flogen großzügiger über die Jazz-Erlebnisse und blieben, wen wundert’s, bei Essen und Wein hängen. Da findet man immer wieder Merkenswertes, so wie dieses Zitat: „Die Kneipe gehört zu den wichtigsten Einrichtungen unserer Zivilisation, sie ist viel wichtiger als zum Beispiel das Parlamanent. An einem Ort werden Wunden geschlagen, am anderen Ort werden sie geheilt.“ (Bäumel, den ich von Seite 15 zitiere, zitiert da seinerseits den „Philosophen, Philologen, Bibliothekar, Theoretiker der Avantgarde-Malerei, Landarbeiter, Lagerarbeiter, Hilfsarbeiter auf einer Großbaustelle und – wesentlich – Sozialismusverweigerer Béla Hamvas“ aus dessen 1945 geschriebenen Philospophie des Weins). Auch sehr schön: die Geschichte vom Gänse-Mathi. Oder der Streit um die einzig wahre Fischsuppe. Und dazu höre ich die Musik, die erst ganz hinten im Buch empfohlen wird und bei der man nicht hardcore Jazzfan sein muss, um nahe in der Stimmung des Buchs zu sein.

Und was hat das alles mit Grenzen zu tun, die man bei den Erkundungen in Pannonien erfahren kann? Viel, lernen wir ja gleich am Anfang, wenn von der „Demarkationslinie zwischen dem amputierten Ungarn und dem neu gegründeten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ die Rede ist. Aber Grenzen gibt es ja nicht nur zwischen hier und da – und nicht nur, wenn sie plötzlich kommen, sind sie sinnlos. Und so lehrt uns die Lektüre des Textes, bei dem es hauptsächlich um Menschen und deren Geschichte(n) geht, dass man ohne Grenzen ganz gut auskommt, ohne Menschen und gegenseitiges Verstehen aber eher nicht. So gesehen ist dieses Pannonien ja gar nicht so weit weg…

PS: Wer das Büchlein erwerben möchte, um es zu besitzen, möge in diesen harten Zeiten doch bitte überlegen, ob nicht der örtliche Buchhändler die erste Anlaufadresse sein sollte. Ansonsten führt der Link hinterm Titel zum Verlag, was ja auch lokal ist!)

Mathias Bäumel: Grenzen erfahren. Erkundungen in Pannonien
SchumacherGebler, 2021,
ISBN: 978-3-941209-65-7, Klappenbroschur, ca. 21 x 13 cm, 109 S., 17 €

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