Nicht wie es schmeckt, sondern warum

Podcast "Auf ein Glas", Episode 74: Martin Kössler, K&U-Weinhalle

Martin Kössler

Als Martin Kössler Ende Januar in der Dresdner WeinKulturBar als Weinpersönlichkeit des Jahres 2022 ausgezeichnet wurde, nannten wir ihn hier im Bericht darüber einen Mann mit einer Mission. Im Anschluss an die Veranstaltung nutzten wir die Gelegenheit zu einem Gespräch an der Theke der WeinKulturBar – mit den typischen Hintergrundgeräuschen einer gerade öffnenden Bar (Leute kommen, Käse raschelt sich ins Papier, die Kasse klingelt – so Dinge, die wir nicht schlimm finden, sondern schön: Leben!).

K&U-Weinhalle heißt der Weinfachhandel, der längst nicht nur für die Nürnberger da ist: „Wir waren mit die ersten, die einen – damals noch selbstgestrickten – Webshop hatten“, sagt Martin Kössler. Für ihn steht übrigens das KU ist seine Partnerin (geschäftlich wie privat) Dunja Ulbricht. Vor 40 Jahren gründeten sie den Laden, „zunächst zur Eigenversorgung“, aber schnell entwickelte sich der Weinhandel weiter. Darüber reden wir auch, aber die meiste Zeit geht es darum, dass K&U „Wein radikal anders“ sehen.

Hier, wie immer, die Stichworte unseres Gesprächs:

  • 00:55 zu Gast in der WeinKulturBar mit Martin Kössler
    ausgezeichneter Weinfachhändler (Bericht)
    Wein an sich ist spannend. Aber es ist mehr Kommunikationsmittel als alkoholhaltiges Wirkungsgetränk
    …unter kulturellen, unter historischen, unter religionstheoretischen Aspekten kann man ihn sehen
  • 02:30 vor 40 Jahren zur Befriedigung des Eigenbedarfs gegründet
    vor 40 Jahren sah der Weinmarkt ganz anders aus: es gab keine Discounter, keinen Supermarkt: Weine fanden in seriösen Weinhandlungen statt
    das Angebot war im wesentlichen französisch: keine Italiener!
    Deutscher Wein war kaum existent (nur lokal, nicht auf dem Markt
    wir dachten: da muss es mehr geben!
    sie entdeckten die Toscana und stellten fest: es gab zwei Sorten Wein – trinkbare und untrinkbare
    die Weinwelt war eine völlig andere
    Idee war damals revolutionär: Weinhandel vom Winzer zum Endverbraucher
    damals: kein Weinversand, kein DHL etc. Keinerlei Logistik (und schon gar nicht dieses Internet)
    wir sind mit Italien groß geworden, gehörten zu den ersten Importeuren
    vom Eigenbedarf zur Firma ging’s schnell (ein Jahr)
    seine Partnerin (Geschäft wie privat) ist Journalistin – daher sind die Texte auf der Webseite sehr lesbar…
    wir sind einfach losgezogen und hatten keine Ahnung von Wein – waren aber interessiert
    er ist Werkstoffwissenschaftler (Chemie/Physik studiert), die Frau Journalistin
    wir haben schnell gemerkt: diese Branche ist eine Branche der Lüge, der Märchen und der Illusionen
    wir aber wollten authentisch bleiben
    mit dem Erfolg kamen andere – und die Italiener waren illoyal und machten es auch mit denen
    …und dann sind wir nach Frankreich
    im Bordeaux trafen sie Parker
    Beginn der Kriterienfindung
    Parker war der erste, der seine Punkte mit Kommentaren hinterlegt hat
    da habe ich gemerkt: der Zugang zum Wein ist das Wort
    wir sagen nicht, wie es schmeckt, sondern warum es schmeckt
    da fingen wir an, uns mit Boden zu beschäftigen, mit Weintechnikern
  • 13:25 auf was haben sie geachtet bei der Auswahl?
    zuerst versucht, die Technik dahinter zu verstehen
    1988 angefangen, Kalifornier zu importieren – und die Winzer dort sprachen plötzlich von Wildhefen und „nicht pumpen“
    der große Unterschied EU-USA: dort kann man Wissen anzapfen
    family winemakers of Napa Valley
    die Weine waren schrecklich, aber die Diskussionskultur hervorragend
    learning by doing – aus Fehlern lernen: das hat mich sehr geprägt
    in den 90ern haben wir gesagt: wir wollen nur spontan vergorene Weine, nur Wildhefe.
    Bio bekam Sinn, weil man vom Boden aus bis in den Wein den Faden ziehen konnte
    nur ein lebendiger Boden kann die Trauben so versorgen, dass Du spontane Gärung durchziehen kannst
    Mykorrhiza – was ist denn das? (zum Nachlesen)
    es sind die Bodenpilze, vielleicht das Schlüsselwort der Zukunft
    Mikrobiome sind die Gesamtheit aller Lebewesen im Organismus
    Mykorrhiza liefert Nährstoff in die Pflanzen
    wenn die große Buche entscheidet, welcher Nachwuchs überleben darf
    …und plötzlich begann der Wein im Glas anders zu sprechen
    es gab Antworten auf nicht gestellte Fragen
    die politische Komponente des Weins
    das Prinzip des Nicht-Eingreifens
    uns sind die Worte ausgegangen (aber sie wurden nicht sprachlos)
    unsere Branche labert, haut dir Adjektive und Superlative um die Ohren
    wir versuchen zu sagen, warum der Wein so schmeckt
    alles schön – aber WARUM machen sie sich die Mühe?
    K&U hat Zahl der Weine/Weingüter reduziert (von 1800 Posten auf 800) – gegen den Wachstumswahn
    der ökologische Fußabdruck des Weinhändlers…
    wir beachten das sehr – und es wird immer mehr ein Thema
    Nachhaltigkeit wird eine große Herausforderung
    CO2-Bilanz: 70% beim Wein ist Flasche
    wir müssten also dringend ein Pfandsystem einführen! Weg vom Narzismus!
    das ist für jmd, der sich gar nicht interessiert, völlig durchgeknallt…
    aus der passiven Unsicherheit in die Entdeckerrolle
    über 85% der deutschen Weine werden mit Maschine gelesen – und das heißt: kein Spielraum mehr im Keller
    was bei Handlese alles geht…
    und wie soll ich das schaffen? – Wachstumswahn!
    zu groß für den eigenen Anspruch?
  • 28:16 die großen bekannten Namen sucht man vergeblich bei ihm
    zum Beispiel Naturwein…
    Verzicht auf alle üblichen Zusatzstoffe der modernen Önologie.
    Du musst sehr genau wissen, was du tust – und das schränkt Betriebsgröße ein! (es gibt Ausnahmen, aber da braucht’s Bedingungen)
    harmonisch gewachsen…
    auch wir haben viel falsch gemacht
    die Klimakrise verursacht neues Denken – muss sie!
    ich glaube, dass der konventionelle Weinbau (mit wenigen Ausnahmen) massive Probleme haben wird
    du musst heute regenerativ im Weinberg arbeiten, sonst hast du keine Zukunft
    unsere Aufgabe als Händler ist, die Landwirtschaft insgesamt über den Wein aufzuwerten
    alle sprechen von Trockenheit – warum spricht keiner von Wasserrückhaltevermögen?
    es ist sehr schade, dass sich die Wissenschaften so aufgespalten haben
    woran erkenne ich einen Wein, der Trockenstress hatte? Der schmeckt wie nasse Wollsocken im Winter! Die Fachleute nennen es UTA
    Wir zeigen Weine, die entspannt sind
    Wein und Preis: was bin ich mir wert? Die Frage muss ich mir stellen!
    was sind Gerbstoffe?
    Polymerketten, die übers Kopfsteinpflaster humpeln oder drüber gleiten
    ist doch schön zu wissen!
    Kopfsteinpflastertrinken…
  • 37:19 er selbst sagt, er sei nicht sehr beliebt bei Winzern und Kollegen – warum nicht?
    ich veröffentliche auf unserer Webseite die Zusatzstoffe der Winzer und die Kataloge der önologischen Firmen
    Wein ist ein Lebensmittel, das ein Genussmittel ist
    du fällst nicht unter die Lebensmittelkontrolle
    über 300-400 Zusatzstoffe – allergenrelevant, geschmacksverändernd – dürfen da drin sein ohne deklariert zu werden
    er meint: wenn die Trauben gut snd, braucht’s das gar nicht
    die Fachberater…
    wo lernt man das? – Gar nicht – man muss bei den richtigen Leuten Praktika machen
    das Tolle im Bio-Bereich: das Netzwerk
    ich denke, dass wichtigste ist, sich auszutauschen, über Fehler zu sprechen
    Winzer haben ja einen schweren Job…
    Klimakrise, hochvolatiler Markt
    drei Berufe: Gärtner, Chemiker, Verkäufer
  • 42:10 Stichwort Kupfer
    ich glaub‘ zunächst mal nüscht (Aufruf zur Recherche!)
    Erfahrungen von erfahrenen Winzern wie Steffen Christmann, Philipp Wittmann, Reinhard Löwenstein
    Wittmann regte Diplomarbeit an: Spuren von Kupfer im Weinberg nach 20 Jahren
    Kupfer im Weinbau ist nach der Recyclingverordnung ein Schwermetall und eine Katastrophe
    in der Schweineindustrie ist es kein Schwermetall, sondern Wachstumshormon
    Kupferverseuchungskarten der EU: die höchste Belastung in den Schweineregionen
    Kupfer im Weinbau: hat fungizide Wirkung
    Bordelaiser Brühe
    als Schwermetall in den Böden eingelagert…
    aber: es gibt Böden, wo es verschwindet! Und es gibt welche, wo es konstant bleibt. Und es gibt Böden, wo es kumuliert…
    und dann war da noch was: in der konventionellen Landwirtschaft gibt es deutlich weniger Kontrollen als bei den Bios…
    als Chemiker weiß er: die Anorganik ist leichter als die Organik
    fundiertes Wissen in der Landwirtschaft gelernt, nicht im Weinbau
    Dietmar Näser, der Mann! In Sachsen (Info)
    eine Tagung mit Winzern, die keine Maschinen im Weinberg haben
    sie haben keine Viren- und Pilzprobleme
    ich kann es mir nicht erklären, habe es aber selbst erlebt (in Kampanien)
  • 53:27 eigener Weinberg
    wir haben in D die Simone Adams…
    für uns spielt der Mensch dahinter eine große Rolle
    es gibt einen Zusammenhang Mensch und Wein
    Verkostungsnotiz: Männer sind von Haus aus unsicher – und fangen an, miteinander zu reden. Frauen, die unsicher sind, stellen Fragen – meistens kluge!
    obendrein sind Frauen sensorisch besser
    Besuchen Sie die Leute, die Sie im Glas haben! Also deren Weine… (das kann Urlaube füllen!)
    Angebot: die Kataloge der Önologie-Firmen zu studieren! (Lösung: Hier stehen die Links zu den Dokumenten)
    interessant zu sehen: was kann ich zusetzen und warum – und da sieht man, wie die Industrie ein Klischee produziert
    die Branche ist nasenorientiert – aber wir haben auch Mund und Zunge und Gaumen!
    Mundgefühl ist schwerer zu manipulieren

K&U-Weinhalle
Nordostpark 78
90411 Nürnberg (Nord)

Tel. +49 911 52 51 53
weinhalle.de

 

Auf ein Glas – der Podcast der STIPvisiten. Gespräche beim Wein. Über Wein. Über Essen. Und übers Leben, natürlich.

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