Durch die Avakas-Schlucht

Avakas-Schlucht

Die zweisprachig griechisch-englische Warnung der Forstbehörde am Eingang der Avakas-Schlucht bezog sich ausschließlich auf fallende Felsen und bei Regen möglicherweise plötzlich ansteigende Wasserhöhe. Von Bäumen, die sich durch launigen Wachstum plötzlich über den Weg biegen und so vielleicht dem aufmerksam wandernden Bodenbeobachter den Schädel zertrümmern, war nicht die Rede. Wir haben es trotzdem probiert, auch wenn zertrümmern freundlicherweise nicht das passende Verb ist: ritzen wäre sicher treffender.

Die Tour durch die Schlucht gehört nach Meinung der einschlägigen Wanderführer zu den Dingen, die man gemacht haben muss auf Zypern. Der Müller und der Rother beschreiben (an Zufall mag ich da nicht mehr glauben) den gleichen Weg durch die Schlucht hoch aufs Plateau und dann links ab im weiten Bogen über einen „ziemlich eintönigen Weg“ (Müller S. 277) und eine „stark befahrene Staubstraße“ (Rother S. 64) zurück zum Ausgangspunkt, einem Parkplatz. Wir gingen anders – im kürzeren Bogen rechts rum und wurden dabei weder eingestaubt noch vor Eintönigkeit vom Schlaf überwältigt.

Anders als mit dem Wagen kommt man zu dieser Wanderung schwer hin, wenn man mal von so exotischen Dingen wie mit Pferd oder Esel oder hinschwimmen außer acht lässt. Streng genommen gibt es zwei Parkplätze: einen am Meer und einen deutlich näher dran an der Schlucht. In Anbetracht unseres kleinen Mietwagens und der zerfurchten Straße zu Nummer Zwo entschieden wir uns für den Meeres-Parkplatz und den Fußweg, der abseits der Straße verläuft und uns April-Wanderern die eine oder andere Blüte bescherte.

Avakas-Schlucht2

Der Eingang zur Schlucht ist ja streng genommen der Ausgang, denn der Fluss Avakas entspringt weiter oben im Kalksteinplateau von Laona und hat sich dann im Kalkstein im Lauf der Jahrtausende Platz geschaffen und die teils sehr enge Schlucht entstehen lassen, mit steil aufragenden Felsen. Vier Meter breit und 30 Meter hoch – das klingt nicht nach üppig Licht. Selbst die Empfehlung, für bestes Licht möglichst zur Mittagszeit loszugehen, hilft nicht – es scheint ein Hochsommerhinweis zu sein…

In Wirklichkeit ist’s dann gar nicht so schlimm, auch wenn man das Himmelblau eine Zeit lang nicht sieht. Das liegt natürlich auch daran, dass der Weg gar kein Weg ist, sondern ein stetes Hin und Her über den immer Wasser führenden Avakas, glitschige Steine im Flussbett und holprige Felsen an seinem Rande inklusive. Also guckt man gerne runter, um die Fuß-Stein-Fluss-Interaktion deutlicher zu sehen und nötigenfalls besser koordinieren zu können.

Hier kommt nun die Laune der Natur ins Spiel, weil nämlich nicht alle Bäume in den Himmel wachsen, wie es sich gehört, sondern etliche Exemplare nach einiger Zeit des Höhenwachstums einen Knick ins Seitliche bevorzugen. Wenn gesenkter Blick und geknickter (aber kräftiger) Baumstamm zusammen kommen, ist das nicht lustig. Der Baum überstand das Zusammentreffen mit dem ostfriesischen Dickschädel unbeschadet, der Dickschädel beliebte zu bluten, als ob eine Streitaxt in ihn gefahren wäre.

Mensch-Baum-Interaktion

War aber alles halb so schlimm, und dank raffinierter Verbandtechnik aus dem mitgeführten Erste-Hilfe-Pack stapften dann ein Osterhas‘ und seine behandelnde Schwester Sylke wacker fürbass den Fluss entlang. Die Zahl der Mitwandernden nimmt stetig ab – viele begnügen sich mit dem ersten Teil, der mit seinen Überhängen, Stromschnellen und etlichen Selfie-Points genug Material für die Social Media bereithält.

In Wirklichkeit wird’s natürlich erst richtig schön, wenn man nahezu allein ist und Muße hat, den Kaulquappen im Wasser zuzuschauen. Oder sich den Gesang der Vögel anzuhören. Oder um sich zu wundern, was die LKW-Ladefläche da mitten im Fluss sucht. Ist das moderne Kunst? War es ein Unfall? Oder schlicht Entsorgung?

Avakas-Schlucht

Wir sind nun schon deutlich höher, seit Beginn der Schlucht (etwa 50 m überm Meeresspiegel) haben wir gut hundert Höhenmeter zurückgelegt und sind damit wörtlich genommen dem Himmel näher gekommen: die Schlucht weitet sich jetzt immer wieder und gibt weite Partien mit Himmelblau frei, zuerst nur in Kombination mit Felsengelb, später dann auch mit sattem Busch- und Weidegrün. Noch weiter oben, auf rund 222 m Höhe, tut sich dann eine bezaubernde Ebene auf.

Avakas-Panoramen

Begrüßt werden wir von einem Ziegenbock, der im Film Ziegen die auf Frauen starren eine tragende Hauptrolle gespielt zu haben scheint. Er war nur der Aufpasser, offensichtlich, denn wenig später gab es eine ziemlich große Herde (schwärmerisch veranlagte Reiseführer-Schreiber würden sicher von unzähligen Ziegen fabulieren). Aber nicht nur das: das sich auftuende Panorama hatte es in jeder Richtung in sich, so dass wie die letzten Meter bis zum Höhepunkt der Wanderung (307 m) nicht merkten.

Ziegen, die uns friedlich direkt an ihnen vorbei ziehen ließen und sogar manchmal für Fotos posten, und die letzten achtzig Meter Aufstieg gehörten schon zu dem Teil der Wanderung, die nicht in den beiden Wanderführern beschrieben ist. Sie ist deutlich kürzer und auch nicht gerade aufregend. Aber hin und wieder gibt es doch tolle Ausblicke rüber zum Lara Beach oder zur Felseninsel Yeronisos, die wir bei einer anderen (Küsten-)Wanderung schon von nahem gesehen hatten.

Der letzte Teil des Weges verläuft parallel zur Schlucht, in die man somit ein wenig hinein sehen kann (aber nie richtig – dazu ist der Abstand zum Abbruch zu groß). Was wir ebenfalls von hier oben sehen: das Restaurant Viklari Tavern – auf der anderen Seite der Schlucht. Unser Ziel! Aber: sie schließen um fünf, laut Schild. In Wirklichkeit kamen uns um halb fünf schon die Köchin und der Service in ihren Autos entgegen: „We’re closed!“ Dann eben nicht (wir waren statt dessen im Smygyes).

 

 

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