Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge kann einen ja ganz schön sinnlich angucken. Und weil sie nur ein Gemälde ist, kann man ja mal ganz direkt und interessiert zurückschau’n, ohne gleich in zeitgemäße Diskussionen zu geraten. Irgendwas stimmt nämlich nicht am Meisje met de parel, wie der Orignaltitel des populärsten Gemäldes von Jan Vermeer lautet. Stimmt: das Kopftuch! Ist unten blau und oben so irgendwie pinkig rot. Und das Mädchen guckt die Betrachter auch nicht vom dunklen beinahe monochrom schwarzen Hintergrund aus an, sondern sie steht vor einer beschriebenen Tafel. I bet you gut it. You don’t know who to trust – der Rest der Geschichte verschwindet hinterm Mädchen, das jetzt (und noch bis zum 4. Oktober) im Kastenmeiers hängt, nun All Eyez on Me heißt und gerne für 24.900 € den Besitzer wechselt. Das klingt natürlich erst mal nach viel Geld, aber erstens ist das Original gar nicht zu haben (man kann es im Mauritshuis in Den Haag ansehen) und zweitens ist René Turrek, der hier ausstellt, in der einschlägigen Szene eben auch kein Unbekannter mehr. Sein Wert (bzw. der seiner Werke): steigend. Und außerdem ist das neue Schnuckelchen ja auch größer, von 40×45 cm auf 124×175 cm ist es angewachsen.
René Turrek ist gebürtiger Osnabrücker und im benachbarten Bad Iburg aufgewachsen, das nicht zu kennen nicht wirklich schlimm ist. In dieser 10.000-Einwohner-Stadt südlich von Osnabrück hat Turrek angefangen zu sprayen, ist nachts mit drei Freunden um die Häuser gezogen. „Wenn man mir damals all das, was ich gemacht habe, hätte nachweisen können, hätte ich zehnmal so viel Ärger gekriegt. Ich habe zwei Jahre auf Bewährung kassiert – ich glaube, es waren am Ende 80 Anzeigen, alle nachweisbar. Das waren meist gewerbliche und öffentliche Flächen, auch Züge. Während der Bewährung habe ich dann wieder Blödsinn gemacht, aber ich hatte ein gutes Netzwerk, gute Freunde und bin mit einem blauen Auge davongekommen. Ich stand einen Millimeter vor dem Knast.“ hat Turrek einmal der Heimatzeitung erzählt. Seit der Zeit habe er, versichert der Künstler, nichts Illegales mehr gemacht.
Aus der Illegalität ist er raus, und die Spraydose setzt er statt auf öffentliche Flächen nun auf teure Autos an – und zwar auf Wunsch der Besitzer. Weil die ihre Luxusschlitten unverkennbar haben wollen und Turrek einen Weg gefunden hat, wärmeempfindlichen Lack als oberste Schicht zu lackieren. Wird’s heiß, verliert der seine Farbe, wird durchsichtig – und man sieht, was vorher nicht zu sehen war. Wird’s kühler, ist die untere Schicht wieder verdeckt. Damit kann man Geld machen – viel Geld. Zumal wenn die Autos Luxuskarossen sind und der Künstler sich nicht mehr als etwa vier Autos im Jahr vornimmt. Was mit Autos geht, funktioniert übrigens auch mit anderen Dingen – mit Schuhen, Jacken, Golfschlägern beispielsweise. Und mit Gemälden.
Die 17 Gemälde, die jetzt im Kastenmeiers die naturbelassenen Wände schmücken, kommen ohne die zusätzlichen Effekte aus. Dennoch sind sie nicht ganz ohne. Opposites attract ist der Titel der Ausstellung – Gegensätze ziehen sich an: die Grundlage sind zumeist Alte Meister – zwar nicht die aus der gleichnamigen Gemäldegalerie in Dresden, aber schon gute Bekannte wie die Mona Lisa von Leonardo da Vinci, die die Italiener viel treffender La Gioconda (die heitere) nennen (Original im Musée du Louvre) oder die Nachtwache von Rembrandt (Rijksmuseum Amsterdam). Die eher düstere Nachtwache, die eigentlich den nicht ganz so knackigen Titel Die Kompanie Kapitäns Frans Banning Cocq und Leutnant Willem van Ruytenburgh bereit für den Aufbruch zum Marsch hat, hat René Turrek mit Smileys über den Gesichtern aufgehübscht, das geheimnisvolle Lächeln der Mona Lisa verschwindet hinter den Worten Bitch better have my money – und von den Buchstaben runterlaufender Farbe. Chicer Nebeneffekt für den da Vinci-Nachahmer, der dieses Bild wie auch die anderen beachtlich gut kopiert hat: die kritischen Mundwinkel sind von Buchstaben überdeckt. So ein Zufall!
„Die Alten Meister habe ich mir bewusst ausgesucht für diese Arbeiten“, sagt Turrek. Er will, dass die jüngere Generation (René Turrek selbst ist Jahrgang 77) an diese Werke herangeführt wird. Eine spannende Reise durch die Museumslandschaft ist dabei garantiert: Die Ungläubigkeit des heiligen Thomas des italienischen Barockmeisters Caravaggio (Sanssouci Bildergalerie in Potsdam) betitelt Turrek „Boys don’t cry“, der Sommer aus den Vier Jahreszeiten (nein, nicht Vivaldi, sondern Giuseppe Arcimboldo, der die Köpfe seiner Bilder aus Obst und Gemüse gestaltet, verlässt das Vegetarische mit der blutroten (und natürlich Tropfen ziehenden) Aufschrift All you need is Meat.
Nein, in den Alten Meistern Dresden sei er noch nicht gewesen, sagte René Turrek bei der Ausstellungseröffnung und fügte nahtlos an: „Aber ich werde hingehen.“ Mal sehen, ob ihn die beiden Engel am Fuße der Sixtinischen Madonna inspirieren…
Opposites attract
Ausstellung von René Turrek in der Galerie im Kastenmeiers vom 10. August – 4.Oktober 2018
Kurländer Palais
Tzschirnerplatz 3-5
01067 Dresden
Tel. 0351 / 48484801
www.kastenmeiers.de
René Turrek im Netz: www.reneturrek.com
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