Der Herr heißt Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen. Er wurde 1720 in Bodenwerder an der Weser geboren. Adelig ist er – und lügt, dass sich die Balken biegen.
Seine Jugend verlief, wie sich das seinerzeit für einen adeligen jungen Mann gehörte: Irgendwann kam der Knabe zum Militär und zog in den Krieg.
Münchhausen verschlug es nach Russland, wo er an den türkisch-russischen Kriegen teilnahm und dennoch Zeit genug hatte, sich privat umzusehen: Er fand dort seine erste Frau Jakobine von Dunten. Mit ihr zog er Ende 1750 nach Bodenwerder, um das Gut zu übernehmen.
Dort, in einem Gartenhaus, gab es an den Abenden jene legendären Runden mit Nachbarn und Freunden, in denen der Gutsherr seine Geschichten zu erzählen pflegte. Das Ambiente, wie man so etwas heutzutage zu nennen pflegt, war angemessen: Münchhausen hatte seine Meerschaumpfeife gestopft und ein Glas dampfenden Punsches neben sich. Und man kann, selbst wenn es nicht überliefert ist, davon ausgehen, dass die anwesenden Herren auch gehörig schmökten – damals gab es ja noch keine Gesundheitsminister, die entsprechende Warnungen auf irgendwelche Steuerbandarolen drucken ließen…
„Tja, meine Herren!“ hub also der Baron an über seine Zeit im fernen Russland zu berichteten, „ich will Ihnen hier nichts erzählen von der Verfassung, den Wissenschaften und den Künsten…“ Und dann legte er los: Zum Beispiel die Sache mit dem Ritt auf der Kanonenkugel.
„Bei der Belagerung einer türkischen Festung wollte unser Feldmarschall gerne wissen, wie die Sache beim Gegner stünde. Ich stellte mich neben eine unserer Kanonen, und als sie abgefeuert wurde, sprang ich auf die Kugel, um mich in die Festung tragen zu lassen. Unterwegs kamen mir allerdings Bedenken: Man könnte mich ja auf der Festung als Spion erkennen und am Ende gar erhängen! Also nahm ich die Gelegenheit wahr, als eine Kugel aus der Festung auf uns abgefeuert wurde: Als sie an mir vorüberflog, sprang ich auf diese hinüber – was, wie Sie sich denken können, kein einfaches Unterfangen war. Ich setzte mich auf der glatten Kugel zurecht und kam heil bei den Unsrigen an!“
Und weil er nun gerade, nachdem er sich des wohlwollenden Nickens aller seiner Zuhörer versichert hatte, dabei ist, gibt der Hausherr noch eine Geschichte zum besten: Die Geschichte mit den festgefrorenen Tönen.
„Das war auf dem Rückweg aus der Türkei. Wir gelangten in einen Hohlweg, und ich sagte zu dem Postillion: ‘Blase er sein Horn, damit wir nicht mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstoßen!’ Der Postillion blies aus Leibeskräften, aber kein Ton kam aus dem Horn heraus. Wie es das Unglück wollte, kam natürlich gerade in diesem Augenblick eine Kutsche entgegen. Da sprang ich aus der unsrigen und spannte die Pferde aus, nahm selbst den Wagen und sprang über die entgegenkommende Kutsche hinweg – was eben keine Kleinigkeit war, wie Sie sich denken können. Anschließend ließ ich die Pferde wieder einspannen, und wir gelangten glücklich in die Herberge.
Dort hängte der Postillion sein Horn an den Ofen, und ich setzte mich neben ihn. Und nun, meine Herren, passen Sie auf, was da geschah: Auf einmal machte es Trärä, Täteretär, Trärä! Da staunten wir nicht schlecht – doch bald fanden wir die Ursache: Die Töne waren bei der barbarischen Kälte im Horn festgefroren. Nun, da sie aufgetaut waren, kamen sie heraus…“
So ist das also gewesen. Und wer es nicht glaubt, der kann es heute noch nachvollziehen – in Bodenwerder. Dort gibt es im ehemaligen Gutshof derer von Münchhausen ein „Münchhausen-Zimmer“ mit den deutschen und fremdsprachigen Ausgaben der Geschichten des Lügenbarons.
Erstmals erschienen die Erzählungen übrigens 1785 (da lebte Münchhausen noch) in England. Fünf Ausgaben erschienen in drei Jahren. Der Re-Import nach Deutschland erfolgte wenig später, allerdings übersetzt.
Und Münchhausen? Der stirbt 1797, nachdem es privat in den letzten Jahren noch etwas hektisch zugegangen war: Seine erste Frau starb nach 46 Jahren Ehe. Der Baron nahm sich – welcher Teufel mag ihn da wohl geritten haben? – eine 17jährige zur Frau, die (wie die Leute damals sehr unverhohlen tuschelten) einen liederlichen Lebenswandel führte. Münchhausen gerät darob zuerst in Rage und dann in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten – zwei gute Gründe also, sich scheiden zu lassen. Im Prozeß sagt dann er gegnerische Anwalt etwas, was später zum Markenzeichen für den Herrn Baron werden sollte: Er spricht vom Lügenbaron.
Geschrieben 1988/89,
1996 zu Weihnachten als Geschenkband erschienen. Grafik von Einhart Grotegut.
Sagenhaft – 12 Sagen. Nacherzählt von Ulrich van Stipriaan.
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