Die romantischen Seiten des Mittelrheins sind der Retter nach unseren betrüblichen Ersteindrücken in Königswinter! Was immer hilft: Ein Spaziergang den Fluss entlang. Was immer hilfreich ist: Ein gutes Essen. Was immer gut tut: Ein wenig wandern, wenn’s sein muss auch bergauf. Wild entschlossen, das Wochenende zu genießen, kombinierten wir alle Möglichkeiten und reicherten sie mit einem Stadtbummel durch die historisch verklärte Brille an.
Das Maritim in Königswinter liegt vorzüglich, was die Sicht anbelangt: Unsereiner könnte den ganzen Tag im Fenster liegen und Schiffe gucken. Rheinauf, rheinab und Dank der Fähre nach Godesberg am anderen Ufer auch rheinquer ist da einiges los. Probleme mit Brücken (so wie beispielsweise in Dresden mit der Waldschlösschenbrücke) gibt’s hier nicht: Fährmann, hol över!
Die Romantik des Rheintals ist unvergleichlich, auch dank seiner Funktion als mehrfache Verkehrsader: Schiffe, Bahnen, Autos drängen sich links und rechts des Flusses – da kommt einiges zusammen an Geräuschen. Aber: Es riecht irgendwie nach Meer. Und, im Vergleich beispielsweise zur Elbe bei Dresden: Hier ist wirklich was los, rein schiffsmäßig. Man kann schöne Spiele spielen: Wie lang ist das Schiff? Wieviel Bruttoregistertonnen mag es haben? Wie alt ist der Kapitän? Und derlei mehr, was die Zeit ungemein verkürzt und woran man sich, jede Wette, noch nach Jahrzehnten erinnert.
Unser kleiner Spaziergang führt zuerst rheinab, so dass wir Königswinter zur Rechten und den Fluss zur Linken haben. Langsam dämmert uns, weswegen die Leute hier heerscharenweise eingefallen sind: Es gibt altes Fachwerk, wir sehen mondäne Hotels der Jahrhundertwende (also der vor der jetzigen!), es gibt sogar ein Denkmal für Esel – wobei wirklich die Tiere gemeint sind und nicht die Touristen, die auf dieses und jenes Neppangebot hereinfallen. Ein Denkmal für abgezockte Touris wäre allerdings sicher auch mal was (ich sag nur: Flammkuchen am Straßenrand mit Blick auf die vorüberfahrende Linie 66 von und nach Bad Honnef für 9,10 Euro!). Wir blicken in schmale Gassen – und schlendern natürlich auch hindurch.
Na, geht doch, man muss nur richtig gucken: Die Häuser schmücken sich mit Sonnenblumen und regen mit schlauen Sprüchen zum Nachdenken an („Laßt uns lachen über Größen, die keine sind!“). Und sollte noch jemand Zweifel haben, wie die Befindlichkeit hier so ist, muss er (oder sie) nur mal beschämt nach unten sehen: „Mir sin all jot drop“ (wir sind alle gut drauf) verrät eine Platte mitten auf der Straße, eine andere unterstreicht die Aussage mit „Mir fieren alles“ (wir feiern quasi immer). Ist aber nur eine Hausgemeinschaft, die da dermaßen in Erscheinung tritt.
Dank ordentlicher Parallelstraßen finden wir zurück an den Rhein und entdecken sogar mitten auf der Promenade das Bistro Berzen mit verlockendem Angebot: Salat, wahlweise mit Pfifferlingen oder Ziegenkäse. Gut, dass wir zu zweit sind! In bewährter Mittags-Tradition entscheiden wir uns für einen halbtrockenen Riesling Kabinett „Königswinter Drachenfels“, der laut Karte eine Silberne Prämie erhalten hat, von wem auch immer. Die (im übrigen sehr freundliche und fixe) Bedienung versicherte, dass das eine treffliche Wahl sei: Ihr bester Wein. Als sie ihn brachte, wollten wir nach dem ersten Schlückchen lieber nicht darüber nachdenken, wie denn dann die anderen seien, aber der Begriff Mittelrhein hat das Großartige ja auch nicht im Wort. Die Salate (10,90/11,90 Euro) waren groß und außerordentlich in Ordnung, was bei einer derart exponierten Lage ja nicht selbstverständlich ist.
Einmal quer durch Königswinter ist kein großer Akt, dann über die Eisenbahn und unter der Schnellstraße hindurch – und schon ist man an der Talstation der Drachenfelsbahn. Das ist eine Zahnradbahn, die am 17. Juli 1883 eröffnet wurde und in den ersten 127 Tagen 62.480 Leute beförderte – also knapp 500 pro Tag. Ich weiß nicht, wieviel ein Ticket damals kostete, aber nach heutigen Maßstäben hätten die Betreiber aufatmen können: Die Investition von 617.000 Mark würde sich (wie man heute sagt) sicher rechnen. Ach ja, damit keiner da hinrennt und mitfahren will, ohne sich über den Preis zu erkundigen: Die einfache Strecke (egal ob hoch oder runter) kostet derzeit 7,50 Euro, nuff und nunter ist dann mit 9 Euro vergleichsweise günstig.
Das wusste ich alles nicht, denn wir wollten ja sowohl hoch als auch runter laufen, wozu hatten wir denn die Wandersandalen angezogen? Gleich hinter der Talstation der Bahn bietet sich Transportmöglichkeit Nummer zwei an: Esel. Der Weg hoch (oder runter, je nachdem) heißt ja nicht ohne Grund Eselsweg. Früher kostete das mal 1,50 Mk, entnehme ich einem alten Bild – aber ich alter Esel habe es versäumt, mich nach den aktuellen Preisen zu erkundigen. Es geht relativ steil hoch (die Bergbahn zahnradet sich quasi parallel hoch, und die muss Steigungen bis zu 22 Grad überwinden), aber wegen zahlreicher „Aaaah“ und „Oooh“ Fotomotive bieten sich reichlich Pausen an.
Der Drachenfels gilt als der am meisten besuchte Berg Europas – da kann es also schon ganz schön voll werden. Ein Grund mag sein, dass er nur 321 Meter hoch ist, man aber eigentlich nicht mal die hoch muss, da Königswinter ja selbst schon 80 Meter über dem Meeresniveau angesiedelt ist. Bei unserem Besuch war es nicht so voll, so dass man nicht das Gefühl einer Pilgerreise kurz vor dem Ziel hatte. Die Schulkinder der Gegend müssen übrigens die Antwort auf die Frage nach den sieben Bergen des Siebengebirges lernen – auch wenn das weder faktisch (es sind knapp 30 Gipfel!) richtig ist noch etymologisch stimmt. Meistens wird der Drachenfels dann als erster Berg genannt, danach folgen Ölberg (der höchste mit 460 Metern), Petersberg (der mit dem Hotel!), Löwenburg (tolle Ruine oben drauf), Wolkenburg, Nonnenstromberg und, hm, menno, wie heißt der doch noch gleich? Hühnerberg? Nee, der ist nicht wichtig genug. Richtig: Lohrberg!
Zurück zum Drachenfels. Auf dem Weg hoch lernten wir als erstes, dass es neben dem Vater Rhein auch noch den Professor Rhein gibt. Eduard heißt er mit Vornamen, war ein Allroundtalent und mir dennoch bislang unbekannt. Falsch ist, dass der Fluss nach ihm benannt wurde, richtig ist, dass er als Chefredakteur wesentlich die springersche Hör Zu geprägt hat. Nett ist, das neben seinem Geburtshaus einige Weinreben stehen, mit dieser Aufschrift auf einem Schild: „Ruh Dich aus und kehr hier ein / das rät der Wirt vom Vater Rhein“. Wie gesagt: Das Wohnhaus der Familie Rhein steht gleich gegenüber. Es gibt übrigens eine Eduart-Rhein-Stiftung, deren Webseite den Preis für die grottigste (und unzeitgemäßeste) Gestaltung unter bedeutenden Stiftungen verdient. Wenn das mal jemand der Abteilung Physik beim Institut für Integrierte Naturwissenschaften der Universität Koblenz stecken könnte…
Nach einem abkürzenden Schlenker durch erfrischend kühles Waldgebiet mussten wir die Einladung eines Künstlers ablehnen, sein Atelier zu besichtigen: Wir hatten doch keine Zeit. Aber Haus wie Mann machten einen netten Eindruck, so dass ich fürchte, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Wenn es nur die einzige geblieben wäre! Aber auch das im Stil des Historismus in nur zwei Jahren (1882 – 1884) erbaute Schloss Drachenburg haben wir verpasst, weil wir es für den Rückweg aufsparen wollten, der dann aber anders als geplant verlief. Merke: Alles immer sofort mitnehmen! Andererseits: Wir müssen nochmal kommen, wenigstens zum Künstler und aufs Schloss.
Wegen eines Steinschlags ist der alte Eselspfad weiter oben gesperrt, so dass einem auch der Postkartenausblick aufs Schloss verwehrt bleibt. Die Umleitung allerdings ist nicht schlimm, und in Gedenken an Siegfried und seinen Kampf mit dem Drachen (dem wir schon in der Nibelungenhalle hätten huldigen können, aber das ist so gar nicht unser Stil…) geht man ja gerne durch den Wald und empfindet die Gegend als irgendwie, ähm: romantisch. Außer unsereins kommen übrigens scharenweise Niederländer, weswegen der Drachenfels scherzhaft auch als der Höchste Berg Hollands bezeichnet wird. Auf einer Postkarte vom 21. August 1921 lesen wir: „Half Holland is an den Rijn“, es war also schon immer so. Nach dem Besuch des Drachenfels trinken die Holländer dann diesen Mittelrhein-Wein und fragen sich sicher, was das deutsche Gewese um angeblich leckeren Wein alles so soll, um dann in Holland weiterhin Amstel-Bier zu trinken. Aber ich schweife ab…
Am Gipfel des Drachenfels angekommen, treffen wir die Bahnhochfahrer. Auf 321 Metern über dem Meeresspiegel hat man ja nicht wirklich etwas erklommen, aber da alles relativ ist, genießen wir erst einmal – den Anblick einer Baustelle. Die Gaststätte wird neu gebaut und soll angeblich im September fertig sein (glaub ich aber nicht, so eine Berggaststätte ist ja auch nicht besser als ein Berliner Großflughafen). Den Ausguckpunkt stromauf mit der Insel Nonnenwerth gibt’s aber trotz Baustelle. Dass er uns dennoch schöne Fotos versaut, liegt am Wetter: Da hat sich ein ordentliches Regengebiet zusammengezogen, das in der Ferne schon mal klar zu erkennen ist und wenig später schlagartig sich auch auf den Drachenfels ergießen möchte.
Wir also, positiv gestimmt und daher unbeschirmt, hastewaskannste zur Bergstation der Bahn, wo wir dann beim Ticketlösen statt vom Blitz von der Preisansage getroffen wurden. 15 Euro mal eben runter ist ja ganz schön happig, dachte ich und sagte: „Sie nehmen’s ja auch von den Lebendigen!“, worauf der Kassierer wie eingeprobt entgegnete, dass man es von den Toten ja auch nicht mehr bekäme. Aber, unter uns, so eine Zahnradbahnfahrt ist schon toll. Und ohne Platzregen hätten wir das nie gemacht!
Ich sehe gerade bei Google-Maps, dass die Drachenfelsbahn von meinem angestammten Hotel nur reichlich zehn Kilometer entfernt ist. Das wird im Herbst meine nächste Lauftrainingsstrecke in Bonn sein 😉
Das erinnert mich daran, noch eine Karte mit Bild-Positionen einzufügen…
[Update: Karte ist drin, ohne Bildpositionen bislang…]
Da schau her, ist ja doch schön am Rhein in, äh…, bei Königswinter! Schöner Lesestoff.
Na klar – Romantik pur, diese Landschaft. Hat halt alles seine zwei Seiten!
Dabei ist das ja (rechtsrheinisch) sogar noch die »schäl sick« von Bonn.
Ja, aber dass das ein Schimpfwort ist, liegt hauptsächlich an der bönnschen Arroganz!
Für die Nicht-Rheinländer: Schäl Sick ist sowas wie ein Schimpfwort, gilt auch für Köln. Es kommt wohl ursprünglich daher, dass die rechte Rheinseite die Sonnenseite (!!!) ist und die Esel/Maultiere/Pferde, die früher die Schiffe zogen (auf dem Treidelpfad – heute vornehm Promenade und/oder Radweg genannt), von der im Wasser reflektierenden Sonne geblendet wurden, mithin schäl guckten. Aber wir haben ja Sonnenbrillen…