Vielleicht klagt man doch mit Unrecht über die neue Zeit,
daß sie Alles umzustoßen suche, ohne etwas Besseres dafür aufzustellen.
Wollt Ihr denn, wenn Ihr ein Zimmer malen laßt,
den Erfolg nach dem Zeitpunkte beurtheilen,
wo man die alte Farbe von den Wänden abkratzt,
und die neue nur erst eingerührt wird?
Wartet bis sie aufgetragen seyn wird und trocken ist.
Taugt sie dann nichts, so habt Ihr Recht zu sagen:
Besser, man hätte es beim Alten gelassen!
Hermann von Pückler-Muskau, Tutti Frutti.
Aus den Papieren des Verstorbenen. 1834
Mondlandschaften zu Tourismusmagneten – das ist die visionäre Idee für den Raum südlich von Großräschen (wie spricht man das?). Visionen sind natürlich gut, aber die Wirklichkeit ist manchmal sehr antivisionär – oder, um den eingangs zitierten Spruch vom famosen Fürst Pückler aufzugreifen: Wenn man die alte Farbe abkratzt, dann sollte die neue auch bald dran. Damit man urteilen kann. Und da spielt das Leben mit seinen Randbedingungen (und manchmal arg verlogenen Versprechungen von Planern, Investoren, Politikern) nicht immer mit.
Die Pückler-Weisheit steht auf dem Flachdach eines der drei Häuser, die anlässlich der Internationalen Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land in den Jahren 2000 bis 2010 am Rand des Tagebaus Meuro aufgebaut wurden. Die IBA-Terrassen im IBA-Auftaktgebiet Großräschen-Süd sollte als eins von 30 Projekten helfen, wirtschaftliche, gestalterische und ökologische Impulse für den Strukturwandel in der Region zu geben. Wir besuchten die Terrassen erstmals im Jahr 2005 zur Halbzeit der Internationalen Bauausstellung. Die Werkschau damals stand unter dem Motto „Bewegtes Land“. Das Braunkohleloch der Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft (gleiche Anfangsbuchstaben, welch netter Zufall – allerdings mit Punkten dazwischen, also I.B.A) gab sich noch bestens als Mondlandschaft zu erkennen, zu den Hinguckern gehörte technisches Großgerät von den Baggern. Leise rostend waren sie ein wundervolles Symbol der Vergänglichkeit, so wie die bereit gestellten Liegestühle die Zukunft der Sonnenbadenden zärtlich andeuteten.
„Wann ist der Ilse-See voll“ lautete damals die Frage auf einem Poster, beantwortet mit einigen Eckpunkten („2007 einsetzende Flutung, 2014 100 m NN mit einer Fläche von 740 ha“). Daraus ist nichts geworden. zum einen, weil es den Ilse-See gar nicht mehr gibt – er wurde im September 2011 in Größräschener See umbenannt. Zum anderen, weil das mit der Flutung nicht so geklappt hat wie geplant. Nichts Genaues weiß man nicht, wenn man sich die Quellen zum Thema Wasserstand mal ansieht – selbst die Wikipedia-Bearbeiter*innen sind sich (alles am 3. Januar 2015 abgerufen) uneins:
- Die Flutung ist voraussichtlich 2018 beendet. [Quelle]
- Aus dem ehemaligen Tagebau Meuro entsteht durch Flutung des Restloches der Großräschener See, der bis zum Jahr 2015 vollständig geflutet sein soll. [Quelle]
- Die Flutung begann am 15. März 2007 und soll im Jahr 2015 abgeschlossen sein. [Quelle]
- Bis 2016 soll die Flutung weitgehend abgeschlossen sein, las man in Berlin [Quelle]
- Als westlichster See des schiffbaren Seenverbunds wird der Großräschener See ab 2015 für viele Besucher der Ein- und Ausstiegspunkt sein. [Quelle]
- Im Herbst war die Tagebaugrube nach Angaben der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft MbH (LMBV) erst zu 64 Prozent gefüllt. Das Flutungsende werde für das Jahr 2017 anvisiert, so die Bergbausanierer“, liest man aktuell. [Quelle]
- LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber nannte in diesem Zusammenhang den Sedlitzer und den Großräschener See in Brandenburg, deren endgültiger Wasserstand voraussichtlich erst ein Jahr später erreicht sein wird. Auch der Partwitzer See in Sachsen, der bereits 2012 weitgehend geflutet sein sollte, habe den endgültigen Wasserstand noch nicht erreicht. [Quelle]
Nun ist es ja nicht so, dass man nichts sieht, wie die Bildpaare zeigen (ähnliche, nicht haargenau gleiche Standpunkte). Am eindringlichsten sieht man das am ehemaligen Ledigenwohnheim. Das sah zwar schon immer irgendwie wie ein Schloss aus – aber dass ein Großräschener Geschäftsmann daraus (als erste Privatinvestor) in nur einem Jahr das Seehotel mit 77 Betten machte, ist beeindruckend. Nur fehlt noch der See.
Die Seebrücke wurde 2005 ein Jahr nach Eröffnung der IBA-Terrassen eingeweiht. Dass sie damals (und heute immer noch) auf dem Trockenen steht, macht ihr nichts aus, das ist sie gewohnt: In ihrem früheren Leben war die Seebrücke ein Absetzer, ein Bergbaugerät aus der Grube Meuro. In der Projektbeschreibung wird das als „ein starkes Symbol für den Strukturwandel – eine Brücke in die Zukunft“ beschrieben. Am Hang wächst Wein: Wenn der See mal bis hierhin kommt, echter Seewein.
Sonne ist ja auch so ein Name für ein Kraftwerk. Ganz früher gab’s da eine Brikettfabrik, dann zusätzlich das Kraftwerk für Strom aus der Braunkohle, was sonst in dieser Gegend. Jetzt ist es ein Ersatzbrennstoffkraftwerk, was man auch immer davon halten mag. Die Sonne bildet die Kulisse für den westlichen Zipfel des Sees.
Ach, der See. Gegenüber des Hotels verweist ein Schild auf die Zukunft. Das Zielbild 2020+ zeigt viel von dem, was man noch nicht sieht. Wortspielerisch liest man Stadthafen, Hafenstadt und findet weder Stadt noch Hafen. Und ob ich die Häusle auf dem Visionsschild schön finde, interessiert zwar keinen – aber dass sie alle brav autohoch eingezäunt sind, muss einem ja auch erst einmal einfallen.
In fünf Jahren ist 2020, mal sehen, wie weit wir dann sind – oder noch weiter auf das Plus warten müssen…
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