Spaß bei der Lustigen Schlange

Als Erntehelfer mit Spitzenwinzer Martin Schwarz im Weinberg

Director's Cut

Der Wetterbericht hatte mal wieder gelogen – und das sogar noch kurz vor knapp: Sonne ist angesagt für den 24. und 25. Oktober. Und in Wahrheit? Nass ist’s im Meißner Kapitelberg, erst nur von unten und an den Trauben (weil es die Nacht zuvor geregnet hat), am Sonntag dann auch von oben. Regen. Das ist das letzte, was ein Winzer Ende Oktober brauchen kann, denn Regen verwässert den Wein. Martin Schwarz, der seit 1996 als Kellermeister im Weingut Schloß Proschwitz Prinz zur Lippe für nachhaltige Qualität bei Ausbau der Weine sorgt, ist auch Besitzer eines Weinguts und produziert dort seine eigenen Weine. Ihn begleiten wir wir zur Weinlese, zusammen mit einem Dutzend anderer Erntehelferinnen und Erntehelfer.

Treffpunkt: Am Weingut. Die Adresse des Weinguts klingt erst einmal mehr nach Trinkgenuss denn nach Weinherstellung – und so ganz falsch ist das ja auch nicht: In der Neustadt ist die Weingutsadresse – hier wohnen Martin Schwarz und seine Freundin. Gearbeitet aber wird in den Weinbergen elbabwärts bei Radebeul und Meißen sowie im Proschwitz’schen Keller in Zadel.

RieslingAuf der Fahrt zum Weinberg erklärt Martin Schwarz dem Neuling gleich einmal, worauf es ihm bei der Lese ankommt: „Nur ganz gesunde Trauben kommen in meinen Wein!“ Wobei Martin Schwarz auch keine Trauben mit Edelfäule haben möchte: Diese ist zwar vielen Winzern willkommen, weil der Schimmelpilz Botrytis Cinerea der gesunden Traube Wasser entzieht und die Geschmacksstoffe in den Beeren konzentriert – aber er verändert eben den reinen ursprünglichen Geschmack der Traube, und das kann man wollen oder nicht.

Die Lese startet im unteren Teil des Kapitelbergs. Das ist zwar der steilere Teil, aber durchaus nicht der unangenehmere: Gelesen wird nämlich von oben nach unten. Später geht’s im oberen Teil weiter, und da wird bergan gelesen – was ins Praktische übersetzt heißt: die roten Plastikkisten werden voller und müssen hoch gewuchtet werden. Warum mal runter, mal hoch? Weil der Transporter mal unten und dann wieder oben auf der Zufahrt steht! So einfach erklären sich scheinbar komplexe Zusammenhänge manchmal.

LesestartBeim Start auf gleicher Höhe sind – logisch! – alle Kisten noch leer, und da die meisten der gut ein Dutzend Helfer nicht das erste Mal bei der Lese dabei sind, erfüllt munteres Geschwatze und Geschnatter den Weinberg. Leise konnte das gar nicht sein, da sich meist pro Zeile ein Mensch den Trauben widmete und man so zwangsläufig seine Gesprächspartner nicht ansah, sondern von hinten ansprach. „Ich freue mich in jedem Jahr darauf, bekannte und neue Gesichter zu sehen!“ sagt Birgit Patzelt. Sie kommt aus Berlin, arbeitet als Redakteurin beim Rundfunk und als freie Autorin für einen Verlag – „und das natürlich meist am Schreibtisch mit Blick auf den Computer!“ Da ist die Arbeit im Weinberg, sich den ganzen Tag an frischer Luft zu bewegen und den Kopf frei zu bekommen, ein willkommener Ausgleich. „Wenn ich am Ende einer Reihe den Rücken durchstrecke und über das Elbtal schaue, dann ist das einfach nur ein unheimlich tolles Gefühl!“ sagt Birgit Patzelt.

Martin SchwarzSo wie sie sehen es wohl alle: Es ist anstrengend, aber es macht Spaß! Zwar wäre es bei den steilen Lagen durchaus praktisch, ein kurzes und ein langes Bein zu haben, weil die Muskeln dann nicht so ungewohnt belastet würden. Außerdem kommt der Muskelkater erst am Abend des zweiten Tages – und da ist ja erst einmal Ruhe bis zum nächsten Wochenende. Wobei der feinsinnigste Muskelkater in den Fingern zu entdecken ist, die die Traubenschere geführt haben. Die Reben mussten ja nicht nur vom Stock getrennt, sondern auch noch von faulen Beeren befreit werden: Da arbeitet die Hand schon mal wie der Stuhlbelastungsdauertest, den wir aus dem Möbelhaus kennen: Zusammen, auseinander, zusammen auseinander…

„Es ist natürlich auch wichtig für mich, zu sehen, wieviel Arbeit zum Beispiel in einer Flasche Riesling steckt!“ sagt Jana Schallenberg, Restaurantleiterin und Sommeliere in der Gourmetlounge vom Romantik Hotel & Restaurant Pattis. „Bei der Lese erfahre ich immer live die Qualität und Quantität des jeweiligen Weinjahres und kann dies bei meiner Arbeit als Sommeliere im Restaurant an Gäste und Mitarbeiter gleichermaßen weitergeben. Persönliche Kontakte zu einheimischen Winzern liegen mir und Familie Pattis sehr am Herzen.“

Auch Jens Dusil ist aus Freundschaft dabei, kann aber seine Erfahrungen im Weinberg beruflich nutzen: In seiner Vinothek Weinkult im Kunsthof bietet er auch die Weine von Martin Schwarz an. „Für mich ist wichtig, die Entstehung des Weines von Anfang an mit zu erleben und durch eigene Akribie die Qualität des Endprodukts zu verbessern!“ Freiwillige Helfer und Freunde, meint Dusil, seien „der beste Garant für die Qualität der Arbeit, da der monetäre Anreiz keine Rolle spielt“.

ElbtalnebelDer untere Teil des Kapitelbergs ist abgeerntet, der Transporter gut gefüllt. Auf dem Weg zum Weingut ist noch einmal eine Chance, mit Martin Schwarz zu reden. An einem Tag im Oktober geboren („das ist doch schon ein Zeichen!“, sagt er), aber in Kassel – einer Stadt, die nicht für Wein bekannt ist. Martin Schwarz spielte E-Bass in einer Schülerband, Grund genug, Elektrotechnik studieren zu wollen, was ihm aber glücklicherweise nicht so viel Spaß bereitete. Besuche beim Bruder, der in Freiburg studierte, brachten ihn auf andere Gedanken. „Hier merkte ich, dass Wein mich mehr interessiert als Elektrotechnik!“ gibt Martin Schwarz lächelnd zu. Im Weinhaus Heger, einem der 200 deutschen Prädikatsweingüter, absolvierte er 1991 ein Praktikum. „Die Arbeit draußen hat mir gut gefallen, und das super Klima auch!“ Wobei es so klingt, als ob er mit dem Klima nicht nur das Wetter, sondern auch den Zusammenhalt des Teams meint – etwas, was er nach Abschluss des Weinbaustudiums in Geisenheim mit nach Sachsen brachte, wo er 1996 im Weingut von Prinz Lippe als Kellermeister anfing.

Die Arbeit im Keller des Weinguts war für den Berufsanfänger eine riesige Herausforderung, zumal sie 1996 gleich mit einem „Katastrophenjahrgang“ (Schwarz) begann: Es gab wenig Ertrag, die Trauben waren nicht reif genug – eine Herausforderung für den Kellermeister! In den Jahren danach konnte es nur besser werden. Wurde es auch.
Riesing 2008Es ist halb drei, Zeit für die erste wirkliche Pause. Das Picknick im kleinen Winzerhäuschen mitten im Weinberg ist, alle Helferinnen und Helfer erinnern sich da einmütig, ein Höhepunkt bei der Weinlese. „…und unter uns,“ sagt Jana Schellenberg, „Spaß macht‘s auch riesig, und für Grits Picknick mit Martins Riesling lohnt es sich allemal!“ Und Birgit Patzelt ergänzt: „Beim Mittagspicknick werden Rezepte ausgetauscht, z. B. für die legendäre Tomatenbutter. Und dazu ein Wein, den man vielleicht im Jahr zuvor selbst gelesen hat!“

Abend-DunstSchade eigentlich, dass das Picknick nur eine Pause ist: Hinterher geht’s wieder in den Berg. Bis zum Einbruch der Dunkelheit werden die Trauben geschnitten, gesäubert und in Kisten gefüllt. Ganz zum Schluss gibt’s dann noch einen Kraftakt: Alle vollen Kisten zum Transporter bringen. Die langjährigen Erntehelfer nennen das, was da passiert, die „Lustige Schlange“, aber warum das so heißt, vermag nur zu deuten, wer dabei war: Die Kisten sind schwer, der Weg zum Transporter, der die Trauben in den Weinkeller bringt, ist weit und steil und matschig. Lustige Rahmenbedingungen, fürwahr. Aber dennoch haben alle dabei ihren Spaß!

Lustige Schlange[Weinlese-Termin war am 24. und 25. Oktober 2009.
Eine gekürzte Version des Beitrags ist im gerade erschienenen Augusto veröffentlicht]

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