Die Nacht der Feuer

Walpurgisnacht
Grafik: Einhart Grotegut ©1996

Sie konnten einem lange Zeit schon leid tun – denn schließlich sind Hexen ja auch nur Menschen! Und sie haben ein Anrecht auf ihre angestammten Plätze. Einer von ihnen, der Brocken im Harz, in Hexenkreisen besser als Blocksberg bekannt, war im irreal existierenden Sozialismus militärisches Sperrgebiet der DDR. Seitdem die Grenze quer durch den Harz nicht mehr existiert, dürfen Hexen und ihnen nahestehende Wesen wieder spuken – beispielsweise in der Walpurgisnacht.

Die Nacht zum 1. Mai hat es in sich – auf dem Brocken, aber auch anderswo, ist dann die Hölle los. Sogar Goethe, den wir ja immer wieder gerne zitieren, war begeistert und ließ seiner Phantasie freien Lauf, als er im Faust die Walpurgisnacht beschreibt: „Verlangst Du nicht nach einem Besenstiele? Ich wünschte mir den allerderbsten Bock“, sagt Mephisto und verrät damit gleich, was man eigentlich braucht, um an einer ordentlichen Walpurgisnacht teilnehmen zu können. Die Hexen jedenfalls bedienten sich gerne der Besen, um geschwinder voranzukommen – oder, wieder mal Goethe: „Es trägt der Besen, trägt der Stock, die Gabel trägt, es trägt der Bock!“

Warum das alles?

Eigentlich ganz einfach: Denn während die Natur bereits zu neuem Leben erwacht, sah es im Mai für die Bauern hierzulande übel aus – es begann am 1. Mai für sie das sogenannte Hunger- oder Kuckucksvierteljahr, weil die Vorräte verbraucht und die neuen Sachen noch nicht herangereift waren. Zuversicht und Hoffnung mußten da schon groß sein – und ein wenig Prophylaxe, wie man heute sagen würde, kann in solchen Situationen nicht schaden. Die Abwehr der Dämonen in der Nacht zum ersten Mai gehört dazu.

Wenn man schon nicht die Dämonen und Hexen verbrennen kann in dieser Nacht, dann doch wenigstens ihre Fortbewegungsmittel: Alte Besen, die den ganzen Winter über in Gebrauch waren, kommen auf einen Haufen und werden angezündet. Mistgabeln werden in die Erde gesteckt, die Böcke aus dem Stall genommen und irgendwo zusammengepfercht.

Mit Krach vertreibt man Geister – also wird Krach gemacht. Naja, und weil es im Maien halt überall sehr frühlingshaft sprießt und sich regt, kann man die Gelegenheit der ersten lauen Nächte vielleicht auch noch anderweitig nutzen, um etwas gegen das Böse zu tun…

So gesehen verhalten sich die normal Sterblichen dann nicht anders wie die Hexen auf dem Blocksberg: Der Teufel erwartet die Hexen, besprengt sie mit Wasser aus dem Teufelsnapf und läßt sich von den Hexen ihre Taten erzählen. Als erfahrener Böser erteilt er dann gute Ratschläge, woraufhin ein großes Gelage beginnt. Es gibt Fleisch und Obst und Bier, und hinterher den Hexenreigen. Der Tanz um den Bock ist freilich noch nicht das Ende der Nacht, die in teuflischen Hexenkreisen gewöhnlich mit derben sexuellen Orgien endet. Sagen die Volkskundler und, wenn man ihn genau liest, auch Johann Wolfgang von G., als Faust mit so einer netten jungen Hexe das Tanzbein schwingt: „Einst hatt’ ich einen schönen Traum: Da sah ich einen Apfelbaum, zwei schöne Äpfel glänzten dran, sie reizten mich, ich stieg hinan.“ Daraufhin die Schöne, gar nicht so schlecht gereimt: „Der Äpfelchen begehrt ihr sehr, und schon vom Paradiese her. Von Freuden fühl’ ich mich bewegt, dass auch mein Garten solche trägt.“

Geschrieben 1988/89,
1996 zu Weihnachten als Geschenkband erschienen. Grafik von Einhart Grotegut.
Sagenhaft – 12 Sagen. Nacherzählt von Ulrich van Stipriaan.

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