1999 ist Weimar Kulturstadt Europas. Die kleine Stadt mit der großen Vergangenheit hat kräftig auf dieses Jahr hingearbeitet und verspricht sich einen nicht nachlassenden Touristenstrom. Verantwortlich für die Koordination und die Durchführung von „Weimar 1999“ ist die Kulturstadt GmbH. Wir trafen den Chef der GmbH an zwei Tagen im Dezember, rund drei Wochen vor Beginn des ganz großen Trubels.
Der Mann hat ein derart markantes Gesicht, daß viele meinen, ihn schon einmal gesehen zu haben. Und um ein Haar hätte das Gespräch mit Bernd Kauffmann in der Bar des Elephanten auch direkt vor der Büste stattgefunden, die auf ersten Blick die seine zu sein scheint. Aber erstens saßen da schon andere Gäste, und zweitens zeigt die Büste nicht Kauffmann, sondern Liszt.
Kauffmann original ist sowieso eher unvergleichlich: der Mann hat starke Sprüche drauf, er eckt an und sagt, was er denkt. Gar zu häufig kommt dann, nach entsprechender Filterung durch die Medien, was ganz anderes raus als je gesagt wurde. Denn der Mann denkt ungeheuer viel und ist – um das einmal so profan zu schreiben – sehr schlau. Da kann‘s schon mal passieren, daß man nicht mitkommt…
Vielgefragt ist er, entsprechend gehetzt durch drängend vollen Terminkalender – und er wirkt ein wenig genervt, weil nun sicher schon wieder Fragen beantwortet werden sollen, die schon zigfach gestellt wurden. Aber (der Mann weiß ja: Wer nicht wirbt, stirbt) bei einem guten Glas Weißwein plaudert er dann doch zunehmend lockerer. Zum Beispiel über „diese Mischung aus Provinzialität und Demokratie“, die er immer wieder in Weimar beobachten muß, und die ihm bei etlichen Vorhaben das Leben unnötig schwer macht. Wie zum Beispiel bei dem Projekt des französischen Konzeptkünstlers, der sich „Büreehn“ spricht, aber „Buren“ schreibt. Dieser Daniel Buren hat in Weimar bereits seine Spuren hinterlassen und das Treppenhaus für das „Neue Museum Weimar“ gestaltet. Sein zweiter Versuch für Weimar ist unter dem Begriff „Rollplatz-Affäre“ in die Geschichte eingegangen: Der Parkplatz im Stadtzentrum sollte mit Stelen gestaltet werden, farblich an Goethes Farbenlehre angelehnt sein, was aber auch nicht half: Das Volk wollte es nicht.
Oder doch? Natürlich gab / gibt es auch Befürworter der Kunst am Parkplatz – und eine mögliche Lösung warf Paul Kernatsch, Direktor im Kempinski Hotel Elephant Weimar, beim Gespräch in der Bar ein: Wie wäre es denn, wenn das Projekt auf dem hoteleigenen Parkplatz realisiert würde?!? Da entspannen sich die konzentrierten Gesichtszüge Kauffmanns: „Wunderbar!“ sagt er und spinnt die Idee gleich weiter. Tagsdrauf, bei der Eröffnung des „Salve-Shops“ der Kultur GmbH, verbreitet sich die Nachricht schon fast lauffeuerartig: Parkplatz mitten in der Stadt, kein „Korsett deutscher Vorschriften“ (Kauffmann) – nun muß nur noch der Künstler mitmachen, der ja bei Nennung des Namens „Weimar“ nicht nur Glücksgefühle verspürt.
Geschichten wie der „Burenkrieg“ (Kauffmann) sind aufreibend, aber offensichtlich auch Ansporn für das Programm und seine Macher. „Die Kulturstadt 1999 fängt eigentlich erst im Jahr 2000 an“, meint Kauffmann und schiebt ein gewagtes Bild hinterher: „Jetzt hat die Stadt die eine Hälfte des Huhns gebraten, danach muß die andere Hälfte des Huhns Eier legen!“ Fürwahr ein schweres Unterfangen, nicht nur aus Sicht des Huhnes…
Wie denn so ein erweiterter Umgang mit dem Kulturjahr aussehen könnte? „Bürger und Politiker müssen lernen, damit umzugehen. Im Jahr 2000 ist der hundertste Todestag des in Weimar unterschlagenen Nietzsche – auch eine Kultfigur. Den Aufhänger hat die Stadt – nun gehört noch der Nagel dran!“
Einerseits schwingt da viel Pessimismus mit, ob das denn wohl gut gehen werde. Andererseits ist Kauffmann der Macher, der sich gerade durch solche Schwierigkeiten angestachelt fühlt zu einem nun erst recht! Der dieser „faktischen Kraft des Normativen“ (Kauffmann frei nach Kant) trutzt und Wege findet, den deutschen Ungeist von Bauordnungen, Denkmalpflegevorschriften, Versammlungsrecht und anderen bereits erfundenen Erlassen und Gesetzen kreativ in einen weiteren Programmpunkt des großen Konglomerats „Weimar 1999“ einfließen zu lassen.
Wo bleibt denn da das Positive? ist man geneigt zu fragen und findet es erstens bei genauem Hinlesen zwischen den Zeilen und zweitens auf Nachfrage auch direkt: „Mich motivieren die Menschen, die etwas in Gang bringen und mit denen was machen kann! Mich fasziniert das engagierte Miteinander!“ Und nicht nur, weil wir in der Bar des Kempinski Hotels Elephant sitzen, denkt Kauffmann laut nach über die Rolle der Stadt als Gastgeber. Eigentlich gehe es doch allen darum, daß Menschen kommen in diese Stadt Weimar, daß diese Menschen hängen bleiben in der Stadt – ja, auch daß sie etwas lassen in Weimar. Vor allem aber: Daß sie wiederkommen! Und da nickt dann der Direktor des Elephant zustimmend, prostet seinem Gast zu und sagt: „Willkommen in Weimar!“
Veröffentlicht in: trialog 1/99
Beitrag als PDF ansehen (108 KB)
Hinterlasse jetzt einen Kommentar