Pietro ist der gute Geist der Enoteca il Salotto. Er ist, wie die meisten guten Vinothek-Inhaber, ein beredter Schauspieler – aber er weiß, wovon er redet. In einem alten Turmhaus aus dem 12. Jahrhundert nimmt die Enoteca das Erdgeschoss ein und führt von dort mehrere Etagen hinunter in die Vergangenheit. Angestaubte Weinflaschen mit schönen Jahrgangszahlen (1904, 1954, …) stehen malerisch in Nischen, Weinfässer sind in Gewölben drapiert und ganz unten plätschert ein Brunnen im Keller. Das ist liebevoll restaurierte Vergangenheit! Die eine oder andere Weinprobe kann man hier sicher auch durchführen, aber für die meisten Touristen sind diese Räume nur so zum Ansehen da.
Am schönsten aber ist es oben, gleich hinterm Eingang: Drei Tische mit roten Hussen und weißen Decken und alte Stühle laden zum Verweilen ein. Man kann – gegen ein geringes Entgeld – ein Glas Wein trinken oder sich vom Chef einen Deal vorschlagen lassen: „Die Dreierprobe ist heute umsonst. Wenn Sie drei Gläser trinken (er sieht Sylke an) und Sie drei Gläser probieren (er schaut mich an), dann sind das sechs Gläser, absolut umsonst und ohne Verpflichtung!“ Wir diskutieren, ob das ein unanständiges Angebot sei und entscheiden uns für „nein“, was wir nicht bereuen.
Auf diese Art und Weise lernen wir sechs der acht Weine kennen, die in der ganzen Stadt auf Plakaten angekündigt waren: Eine Degustazio eccezionale di 8 grandi Vini della Toscana wurde da angepriesen – und das bei unserem Pietro! Wir probierten unfachmännisch wie immer, das heißt: Wir ignorierten den bereit stehenden Spucknapf. Statt dessen freundeten wir uns mit dem Gedanken an, die beiden ausstehenden Weine auch noch zu verkosten, was dann auch gegen Abgabe eines kleinen Obulus geschah und von allen Beteiligten keineswegs als Fehlentscheidung gewertet wurde. Mittlerweile saßen auch noch andere Gäste an den Tischen, und es wurde nicht nur quer verkostet, sondern auch tischübergreifend geschwärmt. Hach!
Den Wein gibt’s in der Enoteca il Salotto übrigens aus Gläsern, die in Colle hergestellt werden. Die Glasherstellung ist nämlich bedeutend in der Stadt; ihre Tradition lässt sich bis zum Jahr 1331 zurückverfolgen. Immerhin 95% der gesamten Kristallproduktion Italiens und 14% der Weltproduktion werden in Colle di Val d´Elsa hergestellt. An vier Tagen im September feierte die Città del Cristallo ein Festival rund ums Glas. Neben dem üblichen Buhei derlei Festivals gab es sehenswerte Ausstellungen mit Glaskunst und Schauvorführungen. Besonders imposant aber fanden wir die Gläser, die auf dem Platz vor dem Dom ausgestellt waren. Endlich Gläser in der richtigen Größe!
Wir schlendern locker durch die Oberstadt, die den historischen Kern von Colle bildet und ihrerseits zweigeteilt ist: Borgo und Castello. Die Grenze zwischen den Renaissance-Palästen des Ortsteils Borgo (in dem auch wir wohnen und sich die Enothek befindet) und dem mittelalterlich geprägten Castello bildet der Palazzo Campana aus dem 16. Jahrhundert; ein schöner großer Torbogen ermöglicht den Durchgang.
Der Platz vor dem Dom ist während des Silicio-Festivals mit einem Tisch garniert, auf dem drei Riesengläser stehen. Das ist ja schon beeindruckend – aber die Spitze ist, dass da plötzlich ein Jüngling um die Ecke kommt und eins dieser Riesengläser transportiert. Es sieht irgendwie unwirklich aus, und das ahnt der Riesenweinglasträger auch, so wie er ausschreitet und guckt. Wir haben uns allerdings keins dieser Gläser besorgt, weil das dann ja den Kauf einer neuen überdimensionierten Spülmaschine nach sich gezogen hätte – vom permanenten Erwerb teurer Magnum-Weinflaschen ganz zu schweigen.
Den Dom lassen wir – wörtlich! – links liegen, aber unterm Dom eröffnet sich ein Seh- und Hörgenuss zugleich. In aeternum cantabo kann man dort lesen – und die perfekte Umsetzung hören: Männerstimmen, singend, ohne Pause. Wahrscheinlich nicht ewig, aber auf jeden Fall für die Dauer unseres (langen) Besuchs dort (Hörprobe). Kaum ein Besucher stört den beinahe meditativen Hörgenuss, nur ein älterer einheimischer Herr, den wir schon draußen auf der Straße gesehen hatten, geht einmal durch die Unterkirche.
Wegen des Festivals Silicio hatten Häuser geöffnet, die wahrscheinlich ansonsten eher unzugänglich sind. Das verschaffte uns das große Vergnügen ungewohnter Einsichten, verbunden mit einer aufregend arrangierten Ausstellung in einer Kirche und – in einem Museum – einem alten Glasmacher, der einem anderen Gast die Feinheiten der diversen Werkzeuge erklärte. Leider auf italienisch und somit für uns nur halbwegs (naja: achtelwegs) verständlich, aber voller Engagement vorgetragen! Später am Tag erlebten wir dann noch das Schaublasen von frisch geschmolzenem Glas. Beeindruckend, aber nicht überwältigend, weil das erkennbar mehr Show als Arbeit war.
Ganz und gar nicht beeindruckend, aber irgendwie dennoch ein Hingucker, ist das Wohnhaus von Arnolfo di Cambio, der irgendwann zwischen 1240 und 1245 in Colle di Val d’Elsa geboren wurde. Arnolfo war später ein bekannter Bildhauer und dann auch Architekt/Baumeister – 1296 plante er als leitender Baumeister den Neubau des Doms von Florenz. Auch bei anderen bedeutenden florentinischen Bauten (Santa Croce, Palast der Signorina) ist er mehr oder minder heftig beteiligt. Und nun stehen wir vor einem Wohn-Turm in Colle, den der Meister bewohnt hat! Die Stadt ehrt Arnolfo auf vielfältige Weise: Es gibt ein Denkmal, es gibt ein Hotel, ein Restaurant, einen Platz…
Enoteca il Salotto
Via Gracco del Secco 31
Colle di Val d’Elsa
Tel. 0577/926983
http://www.enotecailsalotto.it/
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