Ein Arbeiterviertel ist de Pijp im Süden Amsterdams ursprünglich, aber weil es da so viel zu sehen gibt und die Zeiten sich, was klassische Arbeit angeht, ja auch gewaltig geändert haben in den vergangenen hundert Jahren, ist das Viertel mittlerweile eine Touristenattraktion. Günstigen Wohnraum, so wie es die Planer und Architekten des Viertels ursprünglich gedacht hatten, findet man nicht mehr so leicht, seitdem Söhne und Töchter reicher Eltern hier ihre Studentenlofts haben und sich aufstrebende Yuppiejungunternehmer hier Immobilien sichern.
Im Viertel wohnten aber nicht nur die Arbeiter, für die es gedacht war, sondern auch Künstler. Außerdem siedelten sich (gibt es da Zusammenhänge?) Prostituierte an. Zusammen mit Studenten und (später) Immigranten entwickelte sich de Pijp zu einem bunten Szeneviertel – man liest gerne, dass es das Quartier Latin von Amsterdam sei. Ich mag ja derlei Vergleiche nicht, und denke, dass das Viertel so viel Eigenständigkeit hat, dass es keine Vergleiche nötig hat. Aber egal.
Das bunte Leben, die Mischung der Menschen aus mehr als 140 Nationen, kann man auf dem Albert-Cuyp-Markt ganz gut nachvollziehen. Auf der schnurgeraden Straße stehen Stände aller Art, es gibt Unnützes jeglicher Coleur. Besonders gefallen haben uns Uhren, Brillen, Boxershorts und, natürlich, schokobraune Penisse. Die wurden allerdings mehr fotografiert als in den Mund genommen, was bei Schokolade ja normal wäre. Dafür gingen Nüsse, Waffeln und Fische (die sahen superfrisch aus!) richtig gut und waren den Preis nun wirklich wert. Die Einheimischen wissen das zu schätzen, weswegen es kein reiner Touristenmarkt ist. Übrigens: Albert Cuyp war ein bedeutender Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts und hatte mit Trödel nichts am Hut.
Sobald man den Markt verlässt, bekommt das Viertel einen ganz anderen Touch. Der Trubel weicht der Stille eines Wohnviertels – wobei zahlreiche Gaststätten am Wegesrand darauf schließen lassen, dass sich das abends eventuell ändern könnte. Eins der Restaurants fiel mir im Vorübergehen auf, weil eine handgeschriebene Tafel draußen vor der Tür einerseits eine neue Karte und andererseits Jacobsmuscheln annoncierte. Das Brasserie Klokspijs haben wir dann, weil die Planung für den Abend schon was Anderes vorsah, am nächsten Tag besucht – aber das ist eine eigene Geschichte.
Es lohnt sich in Amsterdam eigentlich immer, mal nach oben zu sehen, weil die Giebel der Häuser schon sehr schön sein können. In de Pijp ist die Dichte der Flaschenzüge besonders groß: Die Treppen in den Häusern sind zu steil und zu schmal, um darüber sperriges Gut hochzubringen. Als Hans-guck-in-die-Luft durch die Straßen zu schlendern, ist allerdings auch nicht das Gelbe vom Ei, denn untenrum spielt sich ja auch einiges ab. Fahrräder beispielsweise gibt es ja massig in ganz Amsterdam (ach was: in ganz Holland!) – aber hier findet man besonders exotisch verkleidete. Als Fahrrad in de Pijp ist man schließlich der Vielfalt verpflichtet!
Etwas weiter und einmal um die Ecke kommen wir zum Huis met de Kabouters, das fernab niederländischer Klinkersachlichkeit ein wenig Farbe ins Spiel bringt. Das Haus wurde 1884 vom Architekten A.C. Boerma offensichtlich als Lehrobjekt unterschiedlicher Baustile entworfen, denn er hat neogotische Elemente (Spitzbogen und Wasserspeier), Neo-Renaissance-Elemente (Gitter und Steinblöcke) sowie Elemente des Chalet-Stils (vor allem die vielen Schnitzereien) untergebracht. Da wir an einem trüben Mai-Tag da waren, machte das alles einen eher grauen Eindruck, aber auf Fotos bei Sonne sehen Gnome, Adler und Engel ganz liebreizend aus.
An der Amstel liegen Hausboote der moderneren Art: Keine umgebauten Lastkähne, wie die meisten der etwa 2.400 Hausboote in Amsterdam, sondern moderne Holz-Beton-Glas-Architektur – nur eben auf dem Wasser statt an Land. Beim Schlendern entlang der Amstel oder der Grachten mit den unterschiedlichsten Hausbooten kann man nette Details entdecken: Häufig sind die BewohnerInnen der Hausboote offensichtlich auf ihre Art alternativ veranlagt – sei es, dass sie als Künstler aktiv sind oder als Mohn-Gärtner. Manche sind auch Gärtner und Künstler…
Nieuwer Amstel. Bis 2007 war hier das Amsterdamer Stadtarchiv untergebracht. Das Haus im Neorenaissance-Stil wurde übrigens 1896 an den äußersten Stadtrand der damaligen Gemeinde gebaut – um dem nördliche Nachbarn Amsterdam zu trotzen. Hat nicht geholfen, wie die Geschichte lehrte, die Gemeinde ist nun ein Stadtteil von Amsterdam. Derzeit steht der Bau leer – und was soll rein? Ein Hotel, vielleicht…
Das Stadtviertel hinterm Rathaus war vor hundert Jahren eine Hochburg der Diamantschleifer. Bei Asscher wurde der größte Diamant der Welt geschliffen: der Cullinan-Diamant. 1905 bei Pretoria in Südafrika gefunden, 1908 von Joseph Asscher in neun große und 96 kleinere Steine gespalten. Die neun großen Diamanten sind heute Teil der britischen Kronjuwelen und befinden sich im Tower von London (habe ich in der Wikipedia gelesen).
Im Viertel Diamantbuurt gab es nicht nur die Fabriken, sondern auch die Wohnungen der Diamantarbeiter. Das Viertel wurde in den 1930er Jahren im Stil der Amsterdamer Schule gebaut, und die kleinen Häuser (die uns Dresdner sehr an die in Hellerau erinnerten!) machen heute – nach der Renovierung in den 1980er Jahren – einen guten Eindruck. Sie stehen links und rechts der Straße mit dem netten Namen Diamantstraat und führt direkt hin zum großen Gebäude der Diamantschleiferei Asscher.
Wie zu der Zeit nicht unüblich, gab es fürs Viertel ein gemeinsames Badehaus. 1925/26 im Stil der Amsterdamer Schule erbaut, hübsch getrennt für Männlein links und Weiblein rechts – aber immerhin formal gleichberechtigt, denn es gab je acht Duschen und zwei Wannen. Die Wohnungsbaugesellschaft, zu der das Badhuis gehörte, hieß übrigens Eigen Haard – eigener Herd. Und der ist bekanntlich Goldes wert…
PS: Pijp spricht sich so wie das englische Wort für Pfeife oder Rohr, pipe…
Amsterdam w/de Pijp / Diemen
Der oben beschriebene Spaziergang ist der Anfang der aufgezeichneten Tour
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