Die Autoquadrille ist noch nicht ausgestorben. So lange diese alten Fähren verkehren, die nur eine Auf- und Abfahrt haben und nicht vorne und hinten ein Loch im Rumpf, wird es sie geben. Das PKW-Ballett funktioniert selbst mit ungeübten Autofahrern erstaunlich gut: Einfahren, Halbkreis, Rückwärtsgang, gerade rücksetzen. Möglichst keinen der wild gestikulierenden Matrosen mitnehmen und auch auf herumirrende Fußgänger achten! Dann schnell (rückwärts! schnell!) an den zugewiesenen Platz. Auf Tuchfühlung mit dem Schiffsrumpf und den Wagen hinter Dir. Wie gesagt – es ging erstaunlich problemlos.
Wir sind an Bord der Vesta. Sie bedient die Strecke von Portoscuso im Südwesten Sardiniens zur kleinen vorgelagerten Insel San Pietro. Portoscuso hat: Schöne Sandstrände, den schönen alten Turm Torre Spagnola, eine wunderbare Eisdiele Gelateria del Porto, wo wir das beste Eis während unseres Aufenthalts in Südsardinien bekamen – und das Wärmekraftwerk Centrale termoelettrica Sulcis mit einem 250 Meter hohen Schlot, dem höchsten Bauwerk Sardiniens. Wenn man weiß, dass die in der Nähe gewonnene Kohle stark schwefelhaltig ist, ahnt man, warum Touristen nicht massenhaft hier die Strände bevölkern.
Aber wir wollen ja rübermachen nach San Pietro, genauer erst einmal zum Zielhafen Carloforte. Die Insel ist etwas Besonderes. 1738 siedelten hier Fischer an, die ursprünglich aus Pegli (einem Stadtteil von Genua) stammen. Die ligurischen Fischer waren 1542 ausgewandert auf die Insel Tabarca vor Tunesien – und als es da piratenbedingt ein wenig unsicher wurde, nahmen sie das Angebot des Savoyerkönigs Carlo Emanuelle III. an, die unbewohnte Insel zu besiedeln. Was sie dann auch taten und mit ligurischer Architektur und Sprache bis heute kundtun.
Die Überfahrt mit der über 30 Jahre alten Vesta ist kurz und angenehm. Die Menschen an Bord sind gut drauf, ein grauhaariger älterer Mann setzt sich eine schwarze Perücke auf, nimmt die Mundharmonika und spielt los. Die Graukappentruppe um ihn schwankt zwischen peinlich-berührt und ehrfürchtig-anerkennend und entscheidet sich dann letztendlich für Stolz und Beifall. Nach dem musikalischen Auftakt ist es dann ruhig, lediglich das Tuckern des Schiffes liefert die Begleitmusik auf dem Weg nach Carloforte. Der Blick zurück bewegt sich zwischen der Schornsteinromantik des Industriehafens und den Nebeln in den Tälern vor den Bergen des Sulcis, die Caspar David Friedrich ganz verrückt gemacht hätten vor Malfreude.
Der Blick nach vorne lässt Carloforte langsam näher kommen. Die Häuser bekommen Kontur, ein buntes Bild mit warmen rötlichen und gelben Tönen und vor den sattem grünen Hügeln der Insel. Eingerahmt ist die Insel von blauem Himmel und ebenso blauem Wasser, in dem die Segelboote im Hafen schöne weiße Tupfer abgeben. Sehr übersichtlich scheint auch alles zu sein – klar, die gesamte Insel ist nur rund zehn Kilometer lang und an der breitesten Stelle acht Kilometer breit; der Hauptort Carloforte (dem Herrscher zu Ehren: Carlo der Starke) hat nur etwas über sechstausend Einwohner.
Entsprechend schnell ist man durch die Innenstadt gebummelt – wenn man will. Oder man geht langsam durch die Gassen, studiert das Straßenleben und lässt sich mit den Anderen unterm riesigen Baum an der Piazza della Repubblica nieder. Wenn man da so sitzt und den Leuten nebenan zuhört, versteht man nicht mal mehr Bahnhof. Was man hört, klingt irgendwie italienisch, ohne es zu sein. Sardisch (wie auf der großen Insel immer noch zu hören) ist es auch nicht. Es ist ein spezieller Dialekt, der dem des ligurischen ähnelt und noch von 80 Prozent der Inselbevölkerung gesprochen wird. Auch die Straßennamen stehen dreisprachig auf den Schildern: italienisch, sardisch und ligurisch. Beim Restaurantbesuch gab’s für uns dann noch die international vierte Möglichkeit: Mit Händen und Lächeln (man sprach dort italienisch, zum Bestellen und nett sein reicht’s ja bei uns…).
Ach ja, die Bäume und der Schatten. Die Leute im Süden wissen schon, was sie den Schattenspendern zu verdanken haben. Der Corso Camillo Benso Conte di Cavour – die Promenade entlang der Küstenlinie von Carloforte – ist dicht bestanden, so dass man auch bei Wärme kühl und gut beschattet vor der Tür sitzen kann. Wir trafen einen Reusenknüpfer bei der Arbeit und plauderten (mit Hilfe seines Sohnes, der ein wenig englisch sprach) über dies und jenes. Derlei offene Freundlichkeit ist eher die Regel als die Ausnahme – scheint am meist guten Wetter auf der Insel zu liegen!
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