„Mailand? Dann vergiss mal besser die Kreditkarten nicht!“ Die Stadt hat ihren Ruf weg. Aber wie so oft bei berechtigten Vorurteilen: Sie stimmen und sie stimmen nicht. Die Designerläden, die sich alle in einem Viertel nördlich des Doms aneinander reihen, gehören sicherlich zu Mailand – aber die Stadt hat mehr zu bieten. Und wenn man mit Rubeln, pardon: Euros nicht ganz so gesegnet ist, bieten sie eh keine Gefahr. Was da im saldi (Schlussverkauf) für die Hälfte angeboten wird, ist immer noch fünfmal zu teuer. Da fällt Verzicht leicht.
Wir begannen den Tag vor dem Frühstück mit dem Besuch des Letzten Abendmahls von Leonardo da Vinci. Das alte Refektorium (der Speisesaal) des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie ist ein begehrter Museumsort. Aus konservatorischen Gründen werden immer nur ca 25 Leute hereingelassen, für mehr oder weniger genau 15 Minuten. Drinnen ist Fotografierverbot, aber draußen gibt es statt des 904 x 422 cm großen Originals eine Replik, und da zücken dann die Touris ihre Hochqualitätskameras (wie Mobiltelefone und Tablets), den Moment festzuhalten.
Die Kirche nebenan lohnt auch den Besuch: Chor und Kuppel von Santa Maria delle Grazie sollen vom Begründer der Hochrenaissance-Architektur, Donate Bramante, entworfen worden sein. Hoch blicken lohnt sich – aber das ist in Kirchen ja fast immer ein Muss. Respekt vor den Bauleuten, die vor hunderten Jahren so nachhaltig gebaut haben! Im Klosterhof mit Kreuzgang ist es bei gutem Wetter sicher romantischer, bei unserem Januar-Besuch war es frühmorgendiesig-wintertrüb, so dass nicht einmal der Brunnen mit den vier Fröschen die nötige Aufmerksamkeit erhält.
Im Caffé Ottolina Le Grazie gegenüber gibt’s dann das erste italienische Frühstück: Cappuccino und Hörnchen an der Theke. Das reichte gegen den ersten kleinen Hungerast, war aber nicht von außerordentlicher merkenswerter Güte. Wir wussten aber, dass noch weitere Caffé am Wegesrand auf uns lauerten.
Die nächste Station nehmen wir im Laufschritt: Der Palazzo delle Stelline ist sowohl Hotel als auch Kongresszentrum und Stiftungsitz. Ursprünglich Teil des Benediktiner-Klosters Santa Maria della Stella, später Waisenhaus für Mädchen. Heute kann man moderne Kunst quasi im Vorübergehen genießen: Massiimo Umberti hat den Ort für eine Lichtinstallation „DREAMS OF A POSSIBLE CITY. Tending to the infinity“ gewählt – 27 Meter im Durhcmesser und 14 Meter hoch. Leider tagsüber nicht so wirkungsvoll. Die Gänge haben ein chickes Muster, und wenn da ein Mann mit wehendem Mantel durcheilt, passt das durchaus zur Kunst an den Wänden. Daselbst hängt sogar in den Gängen und Treppenhäusern Beachtliches, beispielsweise Mann und Axt IX von Rainer Fetting und, gegenüber, Der Morgen von Markus Lüpertz – ein Mann, der die Treppe heraufsteigt, die exakt die gleichen Stufen wie die des Treppenhauses hat!
Vorbei an schönen Fasaden mit beachtlichen schmiedeeisernen Toren vor bezaubernden Innenhöfen geht es den Corso Magenta entlang zur Bar Magenta. Tagsüber gut für einen Espresso im Stehen, bei Bedarf auch für einen kleinen Imbiss. Abends (und bis drei Uhr morgens) als Bar sicher auch nicht schlecht, da die über hundert Jahre alte Einrichtung mit zahlreichen Jugendstilelementen schon für sich allein eine behagliche Stimmung zaubert. Ach ja: Der caffé (1 Euro) war sehr gut.
An Klöstern und Kirchen herrscht kein Mangel in Mailand. Wenn man sich Mailand von oben ansieht (beispielsweise auf unserer individualisierten Google-Karte), erkennt man die Ausmaße der Anlagen und sieht, wie eng sie beieinander liegen. San Maurizio al Monastero Maggiore ist dafür ein gutes Beispiel. Von außen ist die Kirche unscheinbar, und dass das Archäologische Museum rechts daneben eigentlich zur Anlage gehört, ist auch nicht offensichtlich.
San Maurizio war ein Nonnenkloster und Sitz des Benediktiner-Ordens. Das große Kloster (monastero maggiore) steckt voller Fresken aus dem 16. Jahrhundert – in dem Beitrag der italienischsprachigen Wikipedia wird es als „Sixtinische Kapelle von Mailand“ bezeichnet. Dieses Attribut erhielt die Kirche 2010 nach der umfangreichen fünfundzwanzigjährigen Sanierung von den Zeitungen Mailands. Die war dringend nötig: das Kloster war 1798 aufgelöst worden und die Kirche seither nicht mehr zugänglich, da legt sich gehörig Schmutz auf die Fresken.
Gearbeitet wird immer noch, bei unserem Besuch standen Gerüste im öffentlichen Teil der Kirche. Es ist derjenige, den man beim Betreten der Kirche vom Corso Magenta sieht. Hinter dem Hauptaltar die Mauer ist aber nicht das Ende der Kirche: Dahinter befindet sich die Halle der Nonnen. Zum Konvent kommt man durch einen niedrigen Gang. Im früher den Nonnen vorbehaltenen Teil der Anlage entdeckten wir wieder zahlreiche Fresken, unter anderem eins von Bernardino Luini auf der Konventseite der Trennungswand zur Kirche. Kann mir das mal einer interpretieren? Unten rechts rockt ein Engelchen (das hatten wir auf Lipari auch schon mal, junges 21. Jahrundert). Links das Engel-Mädchen ist ganz angetan und zeigt auf ihn.
Und was sehen wir da links drüber – in einem Frauenkloster? Da zeigt ein Mann sein Bein, wozu er den Rock lupft. Bedarf es viel Phantasie, sowas wie ein Strumpfband zu erkennen? Nein. Aber natürlich liegen wir mit unseren Phantasien falsch! Auf der sehr kenntnisreichen Seite von Ursula Stevens lesen wir: „Luinis Hauptwerk in der Schweiz ist das große Wandgemälde in der Kirche Santa Maria degli Angeli in Lugano: die Passion und Kreuzigung Jesu. Rechts unten zwischen den Bögen erkennen Sie den Hl. Rochus mit dem Pilgerstab, der auf seine Pestbeule zeigt. Der aus Montpellier stammende Rochus (ca.1295-1327) pflegte die Pestkranken, und seine Verehrung hat in Norditalien und im Tessin eine lange Tradition.“ Ach, da hat der Künstler sich selbst zitiert: Der Rochus ist’s!
Bar Le Grazie
Corso Magenta 69
20123 Mailand
Tel.: +39 02 48011458
Bar Magenta
Via Giosué Carducci 13
20123 Milano
Telefon:+39 02 805 3808
www.bar-magenta.it
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