Einmal um die Insel gehen und dabei auch gleich so hoch rauf wie möglich: Auf Panarea ist das machbar. Die kleinste der Liparischen Inseln bietet außerhalb des Haupt- und Hafenortes San Pietro himmlische Ruhe und eröffnet ergötzliche Blicke – auf sich selbst und bei entsprechender Sicht auf die benachbarten Inseln. „Panaria, obwohl die kleinste, ist entschieden die anmuthigste unter den Liparischen Inseln, ein wirklich idyllischer Erdenwinkel. Ueberall sind schöne Vordergründe, überall die kleinen Häuser mit den weissgetünchten Säulen und den schönen Reben-Prieguli, neben welchen entweder ein üppiger Feigenbaum oder ein Johannisbrotbaum steht, und aus denen man die weite Aussicht auf das Meer geniesst.“ Das schreibt Ludwig Salvator 1895 im vierten Heft zu den Liparischen Inseln, das sich Panarea widmet.
Anmut und Schönheit erlebt man bei der Inselumrundung. Ankunft am Hafen mit dem Aliscafo. Mit an Bord ein wesentlich wichtiges Wesen: Telefonino am Ohr, Schal um den Hals, Lederaktentasche. Beim Verlassen des Aliscafo freundlich den Leuten an Land zuwinkend. Wahrscheinlich alles Schulfreunde. Auf Panarea, der kleinen, kennt man sich. Der erste Teil der Wanderung ist quasi ein Stadtrundgang – pardon: Dorfrundgang durch den östlichen Teil von San Pietro.
Hauptstraße nennt Peter Amann in seiner Wander-Schilderung diesen Weg, woran man sieht, dass alles relativ ist. Auf jeden Fall passt eine Ape kratzig durch, das reicht. Rechter Hand lohnt sich immer wieder mal ein Durchblick, bei richtiger Perspektive rückt Basiluzzo ins Feld. Uns ereilte in einem dieser romantischen Momente ein Bautrupp mit Bagger und so, da hört dann die Romantik auf.
Spätestens bei einem Abzweig in der Siedlung Ditella holen uns dann aber wieder die Schönheit und Ruhe ein. Von Blicken und Ausblicken wird noch häufiger die Rede sein. Die machen – neben den schönen Vordergründen! – den Reiz dieser Wanderung aus. Hier nun also: Erstmal den Stromboli sehen. Der Fuß des Vulkans hüllt sich heute in Seenebel. Es gibt für dieses Phänomen im heimischen Dialekt sogar ein eigenes Wort: iancura sagt man auf den Inseln, wenn Himmel und Meer nahtlos ineinander überzugehen scheinen (haben wir auf Salina vom Winzer Andrea Hauner gelernt, der einen ganz feinen Weißwein so genannt hat – aber das, kann man sich vorstellen, ist eine andere Geschichte).
Der permanent vor sich hin fauchende Stromboli und die unbewohnte Felseninsel Basiluzzo, die zu den jüngsten vulkanisch gebildeten Inseln des Archipels gehört, werden uns noch eine längere Wegstrecke begleiten, aber immer wieder aus anderen reizvollen Perspektiven. Den Gang runter zum Strand ersparen wir uns, riskieren lediglich einen Blick hinunter zur Spiaggia Fumarole. Der Name legt es nahe: dort blubbert es, dort ist es warm. Was für ein Publikum sich dort zum Baden niederlässt, konnten wir nur erahnen: wir sahen einen Steinkreis sowie aus Muscheln und Seilen gelegte Zeichen. Wir führten es auf die Magie des Ortes zurück, mit vulkanischer Aktivität quasi unter einem und strombolianischer Aktivität voraus.
Vorbei geht’s an einem Hubschrauberlandeplatz (wenigstens einen anderen gibt es noch – wie schon einmal erwähnt, leben im Sommer die Reichen mit ihren Schönen auf Panarea, da lohnt sich das!). Bis hierhin ist – natürlich – der Weg noch eine strada principale, man will ja als Anflieger schnell weiter zum eigenen Haus oder zum Hotel. Zehn Minuten später beginnt dann der Wanderweg, der uns teilweise in den Bergziegenmodus versetzen wird. Zuerst geht’s munter bergauf von etwas über 90 Metern auf den höchsten Berg der Insel, den 421 Meter hohen Punta del Corvo. Ein Traumweg, der alle paar Meter zum Fotostopp zwingt. Es gibt einerseits (im Rücken, da muss man sich also umdrehen) Stromboli und die niedlichen Felsen vor Panarea, andererseits den Weg hoch mit reichlich Vegetation (je höher, je farbiger: some like it cool). Rechter Hand tut sich erstens das Tyrrhenische Meer in seinen Türkis- und Blautönen in nahezu unendlicher Weite auf, und zweitens platziert sich auch hier ein Felsen äußerst fotogen als Vordergrund. Scoglio la Nave heißt diese Klippe, die bei Schiffen sicher eher nicht beliebt ist. Dafür mögen die Vögel den Fels und umschwirren ihn wie Motten das Licht.
Kurz vor dem Gipfel ändert sich die Landschaft noch einmal. Grüne Wiesen mit Ginster, Zistrosen und Wermut hatten wir nicht mehr erwartet. Und auch das Auftauchen zweier anderer Inseln des Archipels kam dann für uns eher überraschen: Salina und Lipari schoben sich plötzlich in den Focus (und bei klarer Sicht könnte ich mir vorstellen, auch Filicudi und gegebenenfalls Alicudi zu erahnen). Wenige Minuten später sind wir dann oben: Ein kleine Plattform, ausreichend für mittelgroße Wandergruppen, wie praktisch. Wir waren dort fast alleine, noch praktischer! Schatten gibt es nicht, dafür aber einige Steine als Rastplatz. Die hier heimischen Eidechsen sind Tagesausflügler gewohnt und sehen sich schon mal die Kameras an, von denen sie sonst fotografiert werden.
Wie es sich für einen ordentlichen höchsten Berg gehört, kann man sich hier nett umsehen. Neu im Angebot: Vulcano, wenn auch eingenebelt. Im Nahbereich neben der Eidechse noch die Fähre von der NGI, die einen eigenen Anleger ansteuert. Im Hintergrund kann man sich dann einige der anderen Felsen ansehen, die sich vor Panarea tummeln: Dattilo, Le Guglie (die Türme), Le Formiche (die Ameisen), Bottaro, Lisca Bianca (die weiße Gräte) – unbewohnt sind sie alle, aber nette Namen haben sie bekommen!
Der Abstieg ist, nun ja: abwechslungsreich. Der Pfad geht immer an der Kante lang, rechts fällt die Insel steil und unwirsch ab ins Meer. Der Blick zurück ganz ohne Zorn rückt noch einmal Stromboli ins Blickfeld, danach bleibt’s bei Vulcano, Lipari, Salina und nun tatsächlich Filicudi. Schon erhebend, das. Auch nicht schlecht der Nahbereich mit Felsformationen, reichlich Macchia mit hin und wieder herausschauenden Wandersleut-Köpfen und immer klar-blau-türkisem Wasser. Da kann man sich gar nicht satt genug dran sehen! Ein Tor in einem Fels öffnet den Blick ins bläulich verschwimmende Nirgendwo – iancura!
Manche Löcher entstehen auf wundersame Weise, andere sind offensichtlich handgemacht: An einer Kreuzung war in einen Kaktus ein Pfeil geschnitzt, und der Blattkollege darunter war als smiley gestaltet. Das half bei der Entscheidung, wie wir weitergehen sollten – denn vorhandene und auf Karten eingezeichnete Wege müssen ja nicht immer begehbar sein: die Natur holt sich gerne zurück, was man ihr geraubt hat. Irgendwie sah es auch gar nicht mehr weit aus zur nächsten Etappe, der Punta Milazzese…
…aber der Schein trog. Abwärts ging’s, vorwärts ging’s, teils auch etwas abenteuerlich – aber immer weiter an der laaaaangen Westseite der Insel. Uns wurd’s ja schon etwas mulmig im Bauch, so mit der unausgesprochenen Frage: Ob das jemals gut enden wird? Just da kam uns der Wandersmann entgegen, den wir schon vom Gipfel kannten. Der Weg nähme schier kein Ende, er wolle einen anderen versuchen… Wir entschieden uns in alter ostdeutscher Tradition für das Motto „vorwärts immer – rückwärts nimmer!“ und kamen uns vor wie in der alten Volkswagen-Werbung für den Käfer: „und läuft und läuft und läuft“.
Die Dialoge wurden skurril-surreal. „Was ist eigentlich, wenn es hier nur schön ist?“ – „Das ist eine Insel, irgendwann kommt man immer da an, wo es losging!“ Und richtig: Irgendwann machte der Weg dann den vorhergesagten Linksknick, alles war schon immer gut. Der Weg hätte breiter sein können, aber auch zugewachsener: Wir kamen problemlos durch. Eine gut ausgeschilderte Kreuzung führt die beiden Wege zusammen, die sich oben am Wegweiser-Kaktus getrennt hatten. Wir hatten ihn manchmal von unserem Weg weiter unten gesehen – da war er frei. Das scheint aber nicht überall so zu sein, denn als wir später den nun schon mehrfach getroffenen Wanderer sahen, klang er nicht begeistert und murmelte was von anspruchsvoll.
(Fortsetzung mit Ende der Wanderung: Punta Milazzese, Spiagetta dei Zimmeri und – endlich! – Restaurantstopps)
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