Das Wohnzimmer von den Hieners ist schön groß und verfügt über einen grandiosen Herd – wie ihn sich Profis wünschen. Aber Ralf Hiener ist ja Profi, und wenn er und seine Partnerin Petra Burckhardt ihr Wohnzimmer (nicht häufig, aber erfreulich oft) für Gäste öffnen, dann geht aus auch professionell zu. Im Advent gibt es, jeweils am Donnerstag ab 18 Uhr, ein viergängiges Entenmenü – an langer Tafel vor flackerndem Kamin. Und der ist mit echtem Holz befeuert – wer da direkt vorsitzt, dem wird’s schön warm ums Arscherl.
Für die nötige Hitze von vorne sorgt das Essen. Es ist eine unglaubliche Mischung aus fein und ursprünglich, die uns (an einem Dienstag – als geschlossene Truppe muss es offenbar nicht der Donnerstag sein) vom sehr aufmerksamen Service gereicht wurde. Aber da greife ich vor, denn wenn die Gäste kommen, ist erst mal nur der Tisch fein gedeckt. Also nicht leinenweiß, sondern passend eher so: Holztisch, Tischläufer. Aber Besteck, Stoffserviette und ordentliche Gläser – die werden wir benötigen. Die Stühle sind, sagen wir mal: sehr rustikal. Mehrere Sorten, sportlich bis gar nicht gepolstert. Aber zwischen den Gängen kann man ja aufstehen und es sich auf dem Sofa bequem machen.
Vier Gänge gibt es an diesem Abend, und alle werden von Ralf Hiener a la minute zubereitet. Was mich Laien immer am meisten fasziniert, ist die ungeheure Ruhe, mit der da gearbeitet wird. Wenn’s eng wird, gibt es – ohne viel Worte – helfende Hände. Sandra vom Service macht mit, Petra sowieso, am Ende des Abends kommen aus der Küche des Raskolnikoff noch die Küchenchefin Heike Schirmer (seit 1999 ist sie das!) und Tino Schäfer als Verstärkung rüber, denn manchmal sind viele Hände nötig, um die Dinge auf den Tellern so anzurichten, dass es nicht nur schmeckt, sondern vorher auch gut aussah.
Warten aufs Christkind ist ja erst in ein paar Tagen, wir warteten auf den Startschuss – und bekamen, um uns die Zeit zu verkürzen, nicht nur ein Glas mit was Prickelndem in die Hand, sondern auch noch dreierlei Flammkuchen aufs Holzbrett gelegt. Ohnmachtshappen nennen wir diese Darreichung, die immer sehr verführerisch ist: zu viel davon und es wird eng später. Zumal die Portionen im Raskolnikoff eher üppig geraten. „Wir sind doch eine Szene-Kneipe!“ meint Ralf Hiener, wenn man ihn darauf anspricht. Und im Laufe der Unterhaltung wird dann klar, dass es noch eine Steigerung zum portionsgrößenbestimmenden Begriff Szenekneipe gibt: Enten-Essen! „Enten-Essen muss reichlich sein. Deswegen gibt’s am Ende doch auch den Schnaps!“
Na gut. Los geht’s, nachdem wir dann später an der Tafel sitzen, mit hausgemachter Entenleberterrine im Gewürzgelee mit Brioche. Was nicht auf der Karte steht, aber auf dem Teller liegt: Feldsalat aus Brabschütz. Die Terrine erhielt vom Nachbarn am Tisch den lustigen Kommentar: „Selten so ’ne feine Leberwurst gegessen!“, die Brioche wurde allenthalben gelobt – nur die Rapunzel wurden stillschweigend weg gemampft. Das ist unfair: ein Lob den Mauseöhrchen! Und dem dezenten Dressing: Erst im Dreiklang war das nämlich ein perfekter Gang. Wobei – pardon – es ja noch eine vierte Komponente gab: ein Gläschen Sauternes. Ich lüge: Ein Glas Sauternes. Ich liebe es, wenn der Begriff Szenekneipe im Kontext mit Entenleberterrine auch die Menge des Begleitgetränks positiv beeinflusst!
Als Zwischengang kam der Renner des Hauses auf den Tisch – also eigentlich kamen natürlich Teller mit kräftiger Entensuppe mit Pelmeni und Wurzelgemüse auf denselben. Wer noch nie im Raskolnikoff war: unbedingt Pelmeni bestellen! Die Füllung macht den Unterschied – unsere schmeckte (mal mehr, mal weniger) nach Ente. Im Wurzelgemüse fanden wir ein Beil, was die dezente Verbindung zum Roman Schuld und Sühne herstellt. Das Beil in der Suppe war aber aus einer Möhre geschnitzt, so gesehen geht es im Dresdner Raskolnikoff 2015 deutlich netter zu als in Dresdens heutiger Partnerstadt Sankt Petersburg um 1860 (wer nicht den ganzen Roman lesen will, findet in der Wikipedia eine Inhaltsangabe mit Beil). Ein 2012er Pinot Noir Rosé vom VDP-Weingut Stigler war eine glänzende Idee dazu.
Während die Pelmeni-Brühe schon die ganze Zeit blubberte und das Kochwasser ordentlich wallte, lief die Vorbereitung für die Hauptmahlzeit quasi im Zeitraffer vor den Augen der Gäste ab: Entenbrüste kamen in die fettfreie Pfanne, anschließend bei 100 Grad in den Ofen und dann in das (mittlerweile reichliche) Entenfett zurück in die Pfanne. Das Ergebnis: krosse Haut, rosa Fleisch, zart auch noch. Ein Wahnsinn. Dazu Rotkohl, der nicht im Saft schwamm, sondern gebuttert glänzte. Gut Ding will nicht nur Weile, sondern auch Butter haben! Dazu (live!) handgemachte Klöße und Knödel mit Aprikosen und allerlei mehr. Vorbereitet und nur noch einmal auf Temperatur gebracht: die confierte Keule. Das war zwar nur eine halbe, aber was heißt hier nur: es gab reichlich. Wie übrigens auf Wunsch auch vom Wein, ein Roter aus Carcassone. Auch hier: gute Wahl – und eine Anregung, mal wieder das fantastische Album von Stephan Eicher zu hören, das dort aufgenommen wurde… (PS: läuft!)
Wer an dieser Stelle hätte aufgeben wollen, wäre vernünftig gewesen. Szene, Ente, viel. Aber: Das Schokomalheur mit Glühweinorangen zu schmähen wäre Frevel gewesen. Ein bissl Mousse, ein bissl lauwarmer Schokokuchen, ein Stück Schmelz für den Gaumen – und was Gesundes on top, Orangen. Gut gewürzt und nicht das alleinige Obst bei diesem Gang. Denn im Glas perlte Apfelschaumwein von Jörg Geiger – Hauxapfel, eine vergleichsweise junge Sorte aus dem Jahr 1920 (also die Züchtung, nicht die Ernte für diesen im Barrique gereiften Wein).
Es ist ja anerkannt Quatsch, aber da Einbildung auch eine Bildung ist, nahmen wir als Verdauungsschnaps ein Gläschen Torgelbrand von der Familie Braun auf ihrem Dilgerhof. Im Menüpreis von 39,00 Euro plus Weinbegleitung von 15,00 Euro inbegriffen.
Wohnzimmer im Raskolnikoff
Böhmische Straße 34
01099 Dresden
Tel. 0351.8045706
www.raskolnikoff.de
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