Auf dem Fensterbrett – und das ist tief, denn die Mauern der Kapelle vom Taschenbergpalais sind dick – auf diesem Fensterbett liegt das Handelsblatt, aufgeschlagen. Eine Seite Handelsblatt wie immer, die andere: mein Lieblings-Leo. Also nicht der liebste aller Leos, denn ich kenne nur einen: Kay Leonhardt, den sie hierzulande alle eben Leo nennen. Und mein Lieblings-Leo ist natürlich eine Grafik, so eine, wie der Künstler sie gerne macht: Kesser Spruch, unverwechselbar gestaltete Buchstaben. Als Zugabe meist noch ein fröhliche durch die Luft springender Fisch und sowieso irgendwo ein Vogel – wir haben das ja schon mal anlässlich einer anderen Ausstellung als der, die jetzt in eben jener Kapelle des Taschenbergpalais zu sehen ist, ziemlich ausgiebig besprochen. Aber dieses Mal ist das Blatt anders als – zum Beispiel: – in der Comödie, wo der gleiche Spruch anders gestaltet auch hängt.
Dort lenkte er mich neulich gehörig und aufs Erfreulichste während einer wissenschaftlichen Tagung ab. Der Spruch heißt: „Wissenschaft ist wie Sex. Manchmal kommt was Sinnvolles dabei raus – aber das ist nicht der Grund, warum wir es tun!“ Autor dieser bei vielen Wissenschaftlern noch gar nicht angekommenen Weisheit ist ein Nobelpreisträger: Richard P. Feynman, ein 1918 in New York geborener und 1988 in Los Angeles gestorbener Physiker, der den Nobelpreis 1965 für seine Beiträge zur Entwicklung der Quantenelektrodynamik erhielt. Und während das schon kompliziert klingt, vermochte Feynman zum Beispiel in Vorlesungen ganz wunderbar, seine theoretischen Erkenntnisse sehr plastisch zu vermitteln. Ob er allerdings den Spruch auf dem Plakat jemals wirklich gesagt hat, ist unklar – eine schriftliche Quelle gibt es nicht, und im englischsprachigen Teil von Wikiquote bringt es jemand auf die Formel: davon ausgehend, dass es die Antwort auf einen Spruch von Einstein war, den der nie gesagt hat, wird er den Satz wohl auch nicht gesagt haben. Schön ist er dennoch!
So, nach dieser gehörigen Abschweifung flugs zurück ins Taschenbergpalais und nun endlich zur Ausstellung in der wunderbar lichten Kapelle! Lebenstraum heißt sie, und es ist der Lebenstraum von Kay Leonhardt: der wollte „eigentlich schon immer“ mal mit seinem Lehrmeister zusammen eine Ausstellung gestalten. Die Beiden haben sich in Halle auf der Burg Giebichenstein kennen und wohl auch langfristig schätzen gelernt: Heinz Werner war dort (von 1978 bis 1993) Professor, LEO (nach einer Lehre in der Manufaktur in Meißen) von 1985 bis 1990 Student. Sein Lehrer Heinz Werner „gehört zu den einflussreichsten Meissener Künstlern der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Mit dem Formgestalter Ludwig Zepner und dem Plastiker Peter Strang bildete er 1960 das sogenannte Künstlerkollektiv der Manufaktur, zu dem später die Maler Rudi Stolle und Volkmar Bretschneider hinzustießen. Gemeinsam schufen sie den modernen Porzellanstil der Manufaktur.“ (Jubiläumskollektion 2010 300 Jahre Manufaktur MEISSEN S. 84/85 (PDF; 12,0 MB)
Dass Lehrer und Schüler nun zusammen ausstellen, ist der Lebenstraum von Kay Leonhardt. Dass er mit dem Meister nicht nur die Bilder gestalten konnte, sondern ihn jetzt jeweils an den Adventswochenenden während der Ausstellung auch sieht, das i-Tüpfelchen. Wenn an den Adventswochenenden die Künstler anwesend sind, kann man mit ihnen schwatzen und einiges erfahren. Sonst sieht man eben nur die Bilder, in denen – jeweils zusammen auf einem Blatt – die beiden Stile (Werner immer noch ganz der Porzellanmaler, LEO eher der bekannte schräge Vogel) sich sehr harmonisch zu einem Ganzen fügen und hat auch sein Vergnügen. Und wenn das mal fernab tiefgründiger Kunstbetrachtung so notiert werden darf: wenn die beiden Künstler miteinander tuscheln und sacherzen, sieht man auch in ihren Gesichtern eine große Ähnlichkeit. Seelenverwandtschaft visualisiert sich – das wissen wir seit Loriot – nicht nur bei Hund und Herrchen, sondern offensichtlich auch unter Künstlern bemerkbar.
Theoretisch kann man die Bilder, die seit 2015 in gemeinsamer Arbeit entstanden sind, auch kaufen. Praktisch waren am vergangenen Samstag bei einem Besuch in der Ausstellung schon fast alle mit einem roten Punkt versehen, der nun einmal unweigerlich signalisiert: da gibt’s schon einen neuen Besitzer. Wer also jetzt noch hingeht, kann sich die 88 Werke (so viele Bilder wie der Professor an Jahren zählt, falls jemand nicht an Zufälle glaubt!) wenigstens ansehen und sie, ganz frei und beherzt nach dem Kleinen Prinzen, ins Herz schließen.
Lebenstraum
Ausstellung mit gemeinsamen Werken von Prof. Heinz Werner und Kay LEO Leonhardt
21. November 2016 – 4. Januar 2017
An den Adventswochenenden 2016 jeweils zwischen 11 und 18 Uhr präsentieren die Künstler ihre Arbeiten, dazu ist eine Anmeldung erbeten. Eintritt frei.
Kapelle im Taschenbergpalais
Taschenberg 3
01067 Dresden
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