Ein Lob dem langsamen Reiter

Besuch beim Spätlese-Erfinder und im ersten Riesling-Weingut der Welt: Schloss Johannisberg

Wer zu spät kommt, den belohnt das Leben

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Johann Wolfgang von Goethe, Der Erlkönig

Nein, es ist nicht der Vater mit seinem Kind, wie der klassisch gebildete Bildungsbürger bei der Frage nach dem Reiter korrekt und in diesem Fall doch falsch antworten würde. Denn auf Schloss Johannisberg lernten wir, dass das Leben nicht immer denjenigen bestraft, der zu spät kommt: manchmal (aber nur manchmal…) ist ein gerüttelt Maß an Muße auch der Weg zu etwas ganz Großem.

Schloss Johannisberg1775 beispielsweise brauchte ein Kurier vom Schloss Johannisberg deutlich mehr als die üblichen acht Tage, um dem Fürstbischof in Fulda – dem das Schloss seit 1716 gehörte – ein paar Trauben zur Probe zu bringen und mit der Genehmigung zur Ernte zurück zu kommen. „Die Gründe der Verspätung sind unbekannt“, heißt es lapidar auf einem Schild, aber was zählt, sind bekanntlich ja eh nicht Entschuldigungen, sondern Ergebnisse. Das Ergebnis dieser Verspätung: die Trauben waren deutlich reifer als in all den Vorjahren, größtenteils sogar schon in Fäulnis übergegangen.

Was tun? Einen ganzen Jahrgang auf Wein verzichten? Verwalter Johann Michael Engert machte in seiner Verzweiflung das einzig Richtige: nur nix wegwerfen! Er ließ den Wein getrennt lesen, grüne und faule Tropfen getrennt ausbauen. Am 10. April 1776 schrieb er enthusiastisch dem Hofkellermeister in Fulda: „Solche Wein habe ich noch nicht in den Mund gebracht!“ So also ward die Spätlese erfunden, der (System erkannt!) wenig später Auslesen, Beere- und Trockenbeerenauslesen folgten.

Schloss johannisbergErst kürzlich hat eine internationale Jury die World’s Best Vineyards ermittelt. Egal, was man von derlei Rankings hält – wenn man dabei ist, ist das immer schön! Drei deutsche Weingüter finden sich in der Liste, Schloss Johannisberg auf Platz 21. (Der Vollständigkeit halber: das Weingut Dr. Loosen (Mosel) belegte Platz 10, Schloss Vollrads (ebenfalls Rheingau) Platz 33.) Die mit rund 500 Wein- und Reise-Experten üppig bestückte Jury hat bei ihrer Auswahl natürlich auch auf das Ambiente geachtet – und das ist auf dem ältesten Riesling-Weingut der Welt (noch so ein Etikett!) nun wirklich zum Fotografieren schön.

Schloss mit Rekorden

50. Breitengrad bei JohannisbergWir stehen an der Brüstung des Schlosses und schauen runter: erst kommen die Weinberge, dann der Rhein, der hier – zwischen Ingelheim und Oestrich-Winkel – mit 800 Metern seine breiteste Stelle hat. Eins sehen wir erst nach dem Hinweis unserers local guides: Sandsteinpfosten an der Mauer und im Weinberg. Sie weisen darauf hin, dass der 50. Breitengrad durch den Johannisberg verläuft. Unwissenden Touristen wird der 50. Breitengrad gerne als nördlichste Grenze des Weinbaus verkauft, worüber nicht nur die Spitzenwinzer vom Breitengrad 51 lächeln…

Man muss ja auch nicht am Rande des Weinbaus leben, um gut zu sein. Wie wär’s denn mit ein paar anderen Rekorden? „Wir sind das älteste Weingut in Deutschland!“, erzählt Reiner Philipp, der uns an diesem Morgen kenntnisreich informiert. Es gibt nämlich aus dem Jahr 817 eine Urkunde von Ludwig dem Frommen, in der er über den Weinberg schreibt. Ludwig war Sohn und Nachfolger von Karl dem Großen, der sich wohl auch schon für Weinbau interessiert hat, was man noch heute genussreich merken kann: wegen ihm gibt’s nämlich die Strauß- bzw. Besenwirtschaften! 793 hatte er die Regelung erlassen, dass Winzer im eigenen Haus den eigenen Wein ausschenken dürfen. Gute Idee!

Es streiten sich (im netten Sinn, natürlich, am liebsten beim Wein) übrigens drei Weingüter im Rheingau, wer das älteste sei – wobei ganz obenan die Frage steht, ab wann ein Weingut ein Weingut ist. Ans Jahr 817 kommt eh keiner ran, aber im 12. Jahrhundert war ja auch einiges los in Sachen Weinbau, weil die Zisterzienser sich gut auf Landwirtschaft und eben auch Weinbau verstanden. Im Rheingau schauen heute neben Schloss Johannisberg auch noch Schloss Vollrads und Kloster Eberbach auf eine lange Geschichte zurück und gehören so zur Riege der wirklich alten noch existierenden Weingüter. Das erste Riesling-Weingut der Welt ist Schloss Johannisberg aber unstrittig, weil 1720 in den Weinbergen der alten Benediktiner-Abtei 294.000 Riesling-Reben gepflanzt wurden, womit der erste geschlossene Rieslingweinberg der Welt entstand.

Der ganze Rheingau ist ja arg rieslinglastig, 78 % der Fläche sind so bepflanzt (andere Weißweinsorten machen nur ca. 6 % aus, der Rest ist Rotwein (davon knapp 13 % Spätburgunder). Dabei wurde doch gar nicht so weit weg von Schloss Johannisberg an der damaligen Forschungsanstalt Geisenheim im Jahr 1882 vom Schweizer Hermann Müller aus dem Schweizer Kanton Thurgau die nach ihm benannte Rebe gezüchtet. Müller-Thurgau ist mit 22.934 ha (2010) Anbaufläche weltweit die erfolgreichste Weißweinneuzüchtung. In Deutschland war der Müller zwischen 1975 und 1995 die Rebsorte Nummer 1 (25% der Fläche!), mittlerweile sind es etwa 12.400 ha (Wert von 2015), das entspricht etwa 12 % der Rebfläche.

Geisenheim liegt etwas rheinabwärts vorm Johannisberg, die Forschungsanstalt ist mittlerweile eine Universität. Weinbauingenieure aus der ganzen Welt werden hier ausgebildet. Nach dem Krieg war die ertragreiche Müller-Rebe auch im Rheingau sehr beliebt – aus gutem Grund. „Die Leute hatten hier früher nur Wein – aber nichts zu essen. Und die Bauern im Taunus hatten alles andere, aber keinen Wein. Also fuhren die Fleisch, Milch, Butter, Eier, Käse, Brot. Da ging’s um viel Wein! Also wurde jeder Fleck bis an den Waldrand mit Wein bepflanzt, und weil der Riesling da nicht reif wurde, pflanzte man Müller und Silvaner“, erläutert uns Reiner Philipp.

Im Keller

Schloss JohannisbergVon nun an geht’s bergab. Nämlich in den beeindruckenden Keller, den sie hier auf Johannisberg den „neuen“ nennen, obwohl er doch auch schon knapp 300 Jahren alt ist. Dort ruhen heute insgesamt 300 000 Liter Wein in rund 140 Holzfässern. Die Fässer sind aus Eichenholz, und wenn mal neue hinzukommen, sind die aus eigenen Wäldern („Wir haben 260 ha Wald zwischen hier und Rüdesheim“, berichtet Philipp. Das Holz für die neuen Fässer wurde 2003 gefällt und vier Jahre getrocknet.

Schloss JohannisbergEtliche der alten Holzfässer sind verziert – es gibt die unterschiedlichsten Motive, von gregorianischen Noten zu einer passenden alttestamentarischen Zeile („und der Wein erfreue des Menschen Herz“) bis hin zu bemerkenswerten Worten von Dichtern und Weintrinkern. Heinrich Heine hätte ja sagen können: der Wein ist gut! Aber damit wäre er nie als zitierfähig aufs Fass gekommen, weswegen er romantisierte: „Mon Dieu! wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, daß ich Berge versetzen könnte – der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe.“

Schloss JohannisbergVon hier ist es nicht weit in die Bibliotheca subterranea. „Ich geh‘ mal eben in die Bibliothek…“ klingt ja viel seriöser als die Ankündigung, dem Weinkeller einen Besuch abstatten zu wollen, aber nichts anderes ist diese bibliotheca im alten Keller. Es ist die berühmte Schatzkammer von Schoss Johannisberg, mit 22.000 alten Flachen. Eingelagert werden nur die guten Weine eines Jahrgangs – wobei gut schon mal voraussetzt, dass sie genug Süße und genug Säure haben. Der älteste genießbare Wein hier sei von 1821 – aber ob der wirklich noch schmeckt? „Keine Ahnung!“, bekennt Reiner Philipp, er habe ihn schließlich noch nicht probiert. Eine Einzelflasche, mundgeblasen übrigens, aus dem Jahr 1748 (und somit noch von den Mönchen geerntet und gekeltert) findet sich auch noch im Bestand, sie ist nun wirklich die älteste Pulle des Weinguts – aber nur für Sammler, die gerne 25.000 Euro oder mehr für eine nicht mehr trinkbare Rarität als Staubfänger benötigen.

Schloss JohannisbergAktive Weintrinker halten sich da lieber an den (bei der Führung namenlos gebliebenen) amerikanischen Professor der Boston University, der am Ende eines wissenschaftlichen Vortrags all sein Reden so zusammenfasste: „Jeder Tag ohne Wein ist ein Risiko für die Gesundheit!“ – für einen Wissenschaftler ein überraschend prägnanter und einfacher Satz!

Schloss Johannisberg
65366 Geisenheim-Johannisberg

Tel. +49 6722 70090
www.schloss-johannisberg.de

[Besucht am 19. Juli 2019 | Der Erlkönig zum Nachlesen und Hören]


Hinweis:
Die Recherchen zu den Rheingau-Berichten wurden von der Rheingauer Weinwerbung, dem Rheingau Musik Festival, der Rheingau-Taunus Kultur- und Tourismus GmbH sowie der Stiftung Kloster Eberbach im Rahmen einer Pressereise unterstützt.

 

 

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